Ein kurzer Tod

Dombrowski rauchte die blaue Zigarette zu Ende. Die Kanarienvögel hatten aufgehört, mit ihm zu sprechen, als er in der Küche einen verschnürten ...

Dombrowski rauchte die blaue Zigarette zu Ende. Die Kanarienvögel hatten aufgehört, mit ihm zu sprechen, als er in der Küche einen verschnürten Stoffbeutel griff, auf dem sein Name stand. Er verließ das Haus, das nach ihm nicht mehr das gleiche sein sollte; die Fallrohre und Blitzableiter würden sich von nun an gegen ihn wenden. Der Untergrund, auf dem er ging, war in dem Maße verdichtet, wie seine Schritte (schlechte Wegdecke) die Schläge wiedergaben, schien es ihm und er schlenderte wenig später über das Raucherpflaster des Bahnsteigs; wartete, rieb sich aus Gewohnheit die Augen.

Es würden dieselben Verschleppten in den Sitzschalen kauern und die, wenn auch wenig veränderten, Sonnenflüchtigen mit ihren Nierengurten, die in der Dunkelheit der Tunnel Zuflucht suchten, ahnte Dombrowski. Eine Frau im Mittelgang sprang ihm ins Auge, weitete die Pupille, als wäre sie ihm gerade körperlich begegnet, als hätte sie sich mit der Fahrtbeleuchtung auf ihn geworfen. Dombrowski fuhr sich über die Nasenflügel, die sich wie Segel gespannt hatten; er roch die durch Zellstofftücher entströmenden Flüssigkeiten und Sekrete einiger Fahrgäste. Er spürte wie in seinem Körper, einem Akkordeon gleich, die Rippen hüpften und erste Töne hervorquetschten. Wie konnte er diese Frau in sich verwickeln, dachte er; er musste vorrücken in wenigen Sätzen, er musste sich unauffällig zu ihr verrücken.

Dombrowski sah durch das Abteilfenster auf die Kacheln des ausgerufenen Bahnhofs und fand sie Aquarien verwandt; eine Metro zum Meer, dachte er jetzt.

Die Leute drängten bereits zum Ausgang, als er sich in ihrem Nacken vergrub.

"Willst du mit mir Sex haben" fragte sie ihn. "Vielleicht" antwortete Dombrowski und schwieg.

Sie drehte sich um und lachte. Sie musste eine Wolke sein; denn vor seinen Augen hat sie ihr Aussehen verändert, dass er in sich zusammenzuckte und einen Schmerz in der Leistengegend fühlte.

Sie war ein Gewitter, das schnell aufkam und verging, begriff er.

Dombrowski blieb zurück auf den Treppen. Sein Auge war nun zwischen den Tritten der Ausströmenden, deren schiefgetretene Absätze ihm die Aussicht genommen hatten; so dass er sich beinah vergaß im Gemenge der Beine, die offen schienen wie das Licht, in dem diese Frau abhanden gekommen war.

Er würde ihr noch einmal im Schlaf begegnen, wusste er wohl, mit halb geöffneten Augen und aufgerissenem Mund.

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