Ein Land spart sich kaputt

Zukunft Die Bundesregierung und ihre Berater feiern die deutschen Haushaltsüberschüsse. Dabei gründen diese auf einer Investitionschwäche, die Schulen verrotten lässt
Ausgabe 39/2016

Deutschland geht es so gut wie nie – das behauptet jemand, der es wissen muss. Es ist ein Mann, den Medien gerne als „Wirtschaftsweisen“ bezeichnen. Denn Lars Feld, Professor aus Freiburg, berät mit vier anderen Ökonomen im Sachverständigenrat die Bundesregierung zu allen Wirtschaftsfragen. Sinkende Arbeitslosigkeit, steigende Löhne und Gehälter, solide Staatsfinanzen – eigentlich spricht alles dafür: Deutschland geht es gesamtwirtschaftlich bestens.

Doch leider hat der Befund einen Haken. Wenn wir nicht aufpassen, werden wir in wenigen Jahren betrübt feststellen, dass es Deutschland nie wieder so gut gehen wird – abgesehen von der Frage, ob es heute wirklich allen besser geht. Verfallene Straßen, Brücken oder Schulgebäude: Ganze Landstriche drohen so weit zu verrotten, dass wir bald No-Go-Areas für Investoren ausrufen werden. Schleichend erodiert die Infrastruktur, und zwar weil den klammen Kommunen das Geld fehlt.

Denn nur auf den ersten Blick sehen die Staatsfinanzen rosig aus. Im ersten Halbjahr 2016 nahmen alle öffentlichen Haushalte in Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen mehr ein, als sie ausgaben: 18,5 Milliarden Euro Überschuss, trotz gestiegener Ausgaben für die Flüchtlinge. Das sind 1,2 Prozent unserer Wirtschaftsleistung, noch von einer „schwarzen Null“ zu sprechen, ist längst untertrieben. Alles läuft darauf hinaus, dass die Staatsschulden auch dieses Jahr sinken. Erst 2015 waren sie erstmals seit Jahrzehnten merklich geschrumpft – um 25 Milliarden Euro.

Fast könnten wir meinen, unsere Politiker hätten es endlich kapiert: Wenn immer mehr Beschäftigte in Rente gehen und bis 2030 rund fünf Millionen Arbeitskräfte fehlen werden, die in die Sozialkassen einzahlen, dann wird der Staat gerüstet sein. Schließlich bürden wir unseren Kindern und Enkeln weniger Schulden auf.

Ökonomen wie Lars Feld schreien auf, wenn sie auch nur die kleinste Gefahr für die schwarze Null wittern, durch mutmaßlich gierige Länder und Kommunen, die vermeintliche Investitionsschwächen ausbügeln wollen. Zu gerne blendet der Wirtschaftsweise aus, was uns amtliche Statistiker längst berichten: Flossen nach der deutschen Einheit bis 2002 unter dem Strich noch 65 Milliarden Euro in den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur, hat der Trend längst gedreht. Alle Regionen zusammengenommen geben seitdem keinen einzigen Euro mehr für neue Infrastrukturprojekte aus. Schlimmer noch: Die ausgebliebenen Ausgaben zum Erhalt von Straßen, Gebäuden oder Brücken summieren sich seit 2003 auf fast 70 Milliarden Euro. Den Einheitsboom haben wir uns bereits komplett weggespart. Die aufgelaufenen Wertverluste der Infrastruktur werden wir und künftige Generationen tragen müssen.

Auf Kosten der Kinder

Allerdings übertünchen die Zahlen das wahre Ausmaß der Malaise: Denn gerade die reicheren Gemeinden im Süden stehen denen im Norden gegenüber, die sich oft den Erhalt der Infrastruktur nicht mehr leisten können. Die staatliche Förderbank KfW ermittelt jedes Jahr den Investitionsbedarf in den Kommunen: Mittlerweile sind es 136 Milliarden Euro – allein 35 Milliarden Euro entfallen auf Straßen und den Verkehr, 34 Milliarden auf Schulgebäude.

Die Investitionsschwäche ist in Berlin kein Geheimnis mehr. Doch fatalerweise drehen sich die Expertenkommissionen, in einer sitzt unser Professor Feld, nur im Kreis: Sollen wir neue Schulden aufnehmen oder nur Ausgaben umschichten? In normalen Zeiten eine berechtigte Frage. Nur sind die Zeiten nicht normal, wenn wir in Deutschland noch immer jede Spur von überbordendem Wachstum vermissen. So bleibt es beim Tropfen auf den heißen Stein: Gerade einmal fünf Milliarden Euro zusätzlich will die Bundesregierung in den nächsten Jahren an die Kommunen fließen lassen. Als ob der Bund sich derzeit kein Geld zum Nulltarif leihen könnte.

Der Chefvolkswirt der Bank Unicredit, Erik Nielsen, kommentierte Deutschlands öffentlichen Investitionsstau kürzlich sehr treffend: „Dies wird wahrscheinlich als der größte politische Fehler seit Jahrzehnten in die Geschichte eingehen!“ Da würde es schon helfen, würde die nächste Regierung Berater wie Lars Feld einsparen. Unsere Kinder und Kindeskinder werden es uns sicher einmal danken.

André Kühnlenz ist Wirtschaftsjournalist und bloggt im Netz unter weitwinkelsubjektiv.com

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