Ein Lehrstück für die Politik

Krim-Krise Krieg zu vermeiden ist das vorrangige Ziel von Politik. Aber wie weit darf man dabei gehen? Und vor allem: wie? Bei Max Frisch kann man es lernen
Ausgabe 14/2014

Bla, bla ist besser als bumm, bumm, soll Winston Churchill gesagt haben, ein Mann, der keinem Krieg aus dem Weg ging, sei es, um ihn mitzumachen – gegen den Mahdi –, sei es, um ihn zu führen – gegen Hitler. Krieg zu vermeiden ist gleichwohl das vorrangige Ziel von Politik. Aber wie weit darf man dabei gehen? Und vor allem: wie?

Ein „Lehrstück ohne Lehre“ nannte einst Max Frisch sein Stück „Biedermann und die Brandstifter“. Sogar Friedrich Dürrenmatt fand es gut, obwohl er sonst nicht viel vom dramatischen Talent seines Kollegen hielt. In dem Stück geht es um einen Unternehmer, der in einer von Brandstiftern heimgesuchten Gegend wohnt. Als ein kräftiger Mensch mit primitiven Manieren in seine Villa kommt, möchte er ihn gleich wieder hinauswerfen, traut sich aber nicht und lässt sich mit ihm, aus Angst den Verständnisvollen spielend, auf ein Gespräch ein. Dann bewirtet er ihn, nimmt steigende Ansprüche hin und gewährt ihm schließlich ein Nachtlager, und nicht nur für eine Nacht. Der Eindringling, halb mitleidheischend – von der Köhlerhütte ins Waisenhaus – und halb drohend – Ich „dreh mich bloß um, bloß um ihn anzublicken, schon hat er die Schulter gebrochen“ –, holt Kumpanen nach, die er Biedermann vorstellt, und der lässt in seinem Haus umso mehr geschehen, je mehr er sich auf diese Leute einlässt.

Warum ruft er nicht die Polizei? Zunächst, in den ersten Minuten kann er nicht, weil er fürchtet, der grobe Kerl werde es verhindern. Später kommt die Polizei sogar ins Haus. Da haben die unheimlichen Gäste schon Benzinfässer auf dem Dachboden gelagert. Biedermann stellt sie deshalb zur Rede, sie leugnen gar nicht, aber als der Beamte fragt, was in den Fässern sei, sagt der Hausherr: „Haarwasser“. Er fürchtet jetzt auch die Folgerungen, die ein Polizeieinsatz bedeutet. Am Ende gibt er den Brandstiftern Feuer, da diese vorgeben, keine Streichhölzer zu haben.

Warum Biedermann sich so verhält, zeigt Frisch überdeutlich. Wie er sich verhalten könnte oder sollte, sagt er nicht. Er gibt keine Lehre. Als das Stück uraufgeführt wurde – 1958 –, lag der von den Sowjets blutig niedergeschlagene Ungarn-Aufstand zwei Jahre zurück. Aber an Deutschlands Schulen – es war Pflichtlektüre – verwies man bei der Interpretation auf Hitler, auf die Appeasement-Politik. Das war damals möglich. Es herrschte Kalter Krieg in Europa.

Was gab es – ohne Lehre – zu lernen? Es gab zu lernen, dass man sich nicht auf ein falsches Denken einlassen, es nicht einüben darf, auch wenn man der Praxis, die andere aus falschem Denken heraus vorführen, nicht sogleich mit selbiger Praxis begegnen kann. Bei Brecht gibt es eine ähnliche Geschichte. Der Unterdrücker zwingt den Unterdrückten zu Arbeiten aller Art und verlangt obendrein dessen Zustimmung. Als der Unterdrücker schließlich fällt, sagt der Unterdrückte: „Nein“. Er hatte seine Lage und den Anspruch des anderen nie akzeptiert. Darum geht es. Man soll sich keine Handlungsmaxime aufzwingen lassen, sich daran aber auch nicht durch wirkliches oder vermeintliches Verstehen anderer gewöhnen.

Schullektüre sollte junge Menschen in Stand setzen, das zu lernen und gegen allfälliges Verständnisgerede immun zu sein, ob es vom Nachbarn am Stammtisch vorgetragen wird oder von einem früheren Bundeskanzler, der von seiner Partei als Weltweiser gefeiert wird. In dem Konflikt, in dem jetzt der alte Ost-West-Gegensatz wieder aufzubrechen droht, muss man im Westen darauf achten, auf keinen Fall die Denkweise Putins zu übernehmen und Verständnis für seinen Gewaltakt auf der Krim zu artikulieren. Verständnis für Realpolitik jeder Art zu haben, ist der erste Schritt zum Krieg. Putin hat sich von der Politik entfernt. Er muss dahin zurück.

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