Ein Close Shot auf zwei in Intimität verschlungene Männerkörper in heftiger Bewegung; die Konturen sind gebrochen im groben Korn der filmischen Auflösung. Die Farben sind wärmer und goldener als natürlich. Es wird gestöhnt und gestreichelt, gezittert und gebebt. Doch was so körperoberflächengeladen daherkommt wie eine Sequenz aus einem künstlerisch aufgebrezelten Schwulenporno, ist die Anfangsszene aus Aleksander Sokurovs neuestem Film Vater und Sohn. Und was - auch mit diesem Wissen - immer noch wie Sex aussieht, soll väterlicher Trost sein nach einem schlechten Traum.
Ob nun Avantgardist oder Altmeister, der russische Filmemacher Aleksander Sokurov gehört wohl aktuell zu den Filmregisseuren, die bei Kritik und Publikum die widers
blikum die widersprüchlichsten Emotionen auslösen. Eine weltweite Jüngergemeinde verehrt den Meister wegen seiner spirituellen Tiefe und künstlerischen Ausdruckskraft und verschafft ihm regelmäßig Preise bei renommierten Festivals. Andere haben nach einen kurzen Einblick in sein Werk beschlossen, nie wieder einen Fuß in einen Sokurov-Film zu setzen, weil sie die kunstgewerbliche Aufgeblasenheit und die reaktionären Botschaften des Meisters abstoßen. Denn dass Sokurov sich mit seinen kulturpessimistischen Elegien letztendlich in vordemokratische Gesellschaftsmodelle zurückwünscht, konnte man zumindest in seinem letzten Film The Russian Ark kaum übersehen, der anhand eines langen Spaziergangs durch die Eremitage glückliche Zarenzeiten heraufbeschwor. Öffentliche Beachtung fand der Film allerdings vor allem wegen seiner formalen Attitüde: In einer einzigen Kameraeinstellung gedreht, ist The Russian Ark eine aufwendige manieristische Studie in Technikeinsatz und Komparseriebewegung.Auch Vater und Sohn, zweiter Teil einer intendierten Trilogie zu den Dramen menschlicher Beziehungen, die er 1997 mit Mutter und Sohn begann, zeigt den Künstler als einen Mann, der sein Handwerk versteht. Kein Detail künstlerischer Gestaltung ist hier dem Zufall überlassen. Die Farbpalette schwelgt in einem monochromatischen Delirium milder Erdtöne. Der Soundtrack ist aus Dialogstücken, scheinbar zufälligen Hintergrundgeräuschen und immer wieder heranwehenden Tschaikowsky-Fetzen kunstvoll zusammengesetzt. Die flächige Auflösung der Figuren in der Kadrage lässt sie immer wieder malerisch im Hintergrund aufgehen. Und auch die Filmarchitektur ist Produkt unbedingten künstlerischen Ausdruckswillens: eine unwirkliche Geisterstadt mit steilen Hügeln und quietschenden Straßenbahnen, in der hoch oben über den Dächern zwei Männer in symbiotischer Abgeschiedenheit wohnen. Die Stadt unten ist aus Versatzstücken von St. Petersburg und Lissabon künstlich zu einem Traumort zusammengesetzt. Die Landschaft oben über den Dächern ist im Studio gebaut und erinnert mit ihrer Topografie aus Mansardenfenstern, Dächern und Schornsteinen an das Paris in alten Filmen.Hier wohnt der verwitwete Vater (Andrej Shchetinin) mit seinem fast erwachsenen Sohn Alexej (Alexej Neymyshew) in einer Mansardenwohnung, die mit ausufernden Dachschrägen und weitem Meerblick romantischen Sehnsüchten ideal entspricht. Ein scheinbares Winterlicht wirft goldenen Glanz über alles. Doch es muss warm sein, denn Vater und Sohn, die vom Altersunterschied wie vom Verhalten her eher wie Freunde wirken, stellen auch außerhalb der anfänglichen Bettszene ihre durchtrainierten Oberkörper ausgiebig zur Schau. Sonst passiert nicht viel. Sascha, der Sohn eines Mannes kommt zu Besuch, der früher bei der Armee ein Freund des Vaters war und jetzt verschwunden ist. Auch Alexej ist beim Militär, wo der Vater ihn manchmal besucht. Irgendwann machen Alexej und Sascha einen Straßenbahnausflug durch die Stadt. Irgendwann sehen wir auch Alexejs Freundin oben auf einem Balkon, die sich aber gleich von ihm trennt.Nach Andrej Swjaginzews Die Rückkehr, der letztes Jahr in Venedig den Goldenen Löwen errang und Koktebel (Boris Chlebnikow, Alexej Popogrebskij) kommt nun mit Aleksander Sokurovs Vater und Sohn (Preis der internationalen Filmkritik 2003 in Cannes) der dritte russische Film ins deutsche Kino, der ausdrücklich die Beziehung zwischen Vätern und Söhnen thematisiert. Offenbar liegt das Thema im putinesken Russland in der Luft, wo mit den alten Verhältnissen auch die Autoritäten einen Knacks bekommen haben. Doch während die beiden anderen Filme - wenn auch in sehr unterschiedlicher Ausrichtung - das Problematische der Vater-Sohn-Beziehung thematisieren, ist bei Sokurov im buchstäblichen Sinne fast alles Sonnenschein und edle Liebe. Kein wirklicher Konflikt ist in Sicht, das einzige Drama ist die latente Bedrohung der Symbiose durch die zukünftige Trennung, die jetzt erstmal in bedeutungsschwangeren Dialogen heraufbeschworen wird.Swjaginzew hatte seinem Film mit dem Rückgriff auf Tarkowskij und die biblische Isaak-Fabel zusätzliches Gewicht verschaffen wollen, dabei trug seine Emanzipationsgeschichte sich ohne Probleme selbst. Sokurov verweist im Dialog immer wieder auf den Kreuz-Opfer-Mythos zwischen Gottvater und Sohn. Doch solche Kunstgriffe helfen hier nur bedingt weiter, indem sie den christlich aufgeladenen Hintergrund anzeigen, vor dem Sokurovs Denken operiert. Weiter bringt dann wohl doch der Rückgriff auf die homosexuellen Anklänge der Anfangsszene. Denn auch wenn Sokurov, wie aus verschiedenen Quellen kolportiert wird, zur Premiere in Cannes alle derartigen Deutungen ausdrücklich in das Reich westlicher Dekadenz verwiesen hat und beteuert, es gehe ihm um die reine Liebe zwischen Vater und Sohn: Glauben wollen wir ihm das gerne. Dennoch ändert es - jenseits aller Autorenintention - nichts an der offensichtlichen Homoerotik der Bilder an und für sich: Hier wird in der Abendsonne auf dem Dach Body Building betrieben. Dort balgt sich Alexej mit zwei Freunden im spielerischen Kampf. Die Anziehung von nackten Oberkörpern und schmucken Uniformen auf die Kamera ist nicht zu übersehen. Die Deutung als homosexuelle Liebes- und Trennungsphantasie ist aber auch die einzige Möglichkeit, den Film irgendwie als kohärentes Kunstwerk zu verstehen. Dabei ist es gut möglich, dass dem Autor selbst solche Bezüge verschlossen sein mögen, weil sie einem scheinbar selbstverständlichen patriarchalen Weltbild entspringen, das die Männerbündelei ebenso naturwüchsig in seinen Kunstkitsch integriert hat, wie es eine Hälfte der Menschheit von seinem Allgemeinmenschlichen ausschließt. Misogynie ist ja in der russischen Intelligentsia spätestens seit Tarkowskij weit verbreitet. So kommen auch in der Männerwelt von Vater und Sohn Frauen nur als keifende Nachbarinnen und "böse Mütter" vor, die die armen Männer in ihrer Einsamkeit zurücklassen. Auch die Freundin ist so eine "böse Mutter" im übertragenen Sinn, die konsequenter Weise von Alexej auch beschuldigt wird, sich der ihr einzig angemessenen Funktion verweigert zu haben: ihm den Sohn zu schenken, der die Vater-Sohn-Kette fortsetzen kann. Im Kino aber geht es bald weiter. Sokurovs nächster Teil der Trilogie heißt Zwei Brüder und eine Schwester. Man darf gespannt sein.