Ein Möglichkeitsraum

Urbanes Leben Mit einer Coca-Cola auf der Guerilla-Schaukel: Hanno Rauterbergs Essay „Wir sind die Stadt!“
Ausgabe 44/2013

Das Motto „Wir sind die Stadt!“ hätte man vor einigen Jahren noch dem Repertoire linksradikaler Stadtteilaktivisten zugerechnet. Inzwischen taugt es auch als Titel eines Essays zur neuen städtischen Mitmachkultur. Hanno Rauterberg, Feuilletonredakteur der Zeit, beschreibt darin, wie sich Menschen heute im Stadtraum mithilfe digitaler Technologien verabreden, das urbane Leben mitgestalten und sich mit dem neuen Urbanismus von unten Räume temporär aneignen.

„Die Stadt wird zum Brennpunkt eines erhofften Aufbruchs“, schreibt Rauterberg, der die Stadt zu Anfang des 21. Jahrhunderts vor allem als Möglichkeitsraum versteht. Der Titel seines Buches, betont er, soll aber kein Schlachtruf sein, sondern eine kollektive Empfindung benennen. Das derzeitige Interesse an der Stadt und die niedrigschwelligen Strategien zur Aneignung öffentlicher Räume wie „Guerilla Gardening“ oder „Outdoor Clubbing“, sind für ihn der Gegenpol zur virtuellen Sphäre des Internets, die es aber dem Bürger der Digitalmoderne erst ermöglicht, diese Aktivitäten vernetzt und in einem sozialen Kontext wirkmächtig zu gestalten.

Bot die Stadt im 19. Jahrhundert noch das Versprechen von Wohlstand und sozialer Entwicklungsfähigkeit, wurde mit der fordistischen Krise der siebziger Jahre auch die „Krise der Stadt“ ausgerufen. Die Innenstädte leerten sich, paradigmatisch dafür stand das Bahnhofsviertel mit seinen Sexkinos. Diese Krise ist vorbei, im postfordistischen Zeitalter zieht die Ideen produzierende Creative Class in die neuen Innenstadtquartiere. Und in den Großstadtnischen sieht Rauterberg die Option, „den Ohnmachtsgefühlen angesichts weltumspannender Kapitalinteressen“ eine lokale Antwort entgegenzuhalten.

Ein Parkplatz als Garten

Dabei geht es ihm nicht um die große Systemkritik, sondern um Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb einer bestehenden Ordnung. Für Rauterberg haben die am paramilitärischen Vokabular orientierten Praktiken widerständiges Potenzial, egal ob es die „Space-Hijackers“ sind, die U-Bahnen temporär besetzen und als Partyräume nutzen, ob mit „Guerilla Crosswalks“ Zebrastreifen aufgemalt und der Autoverkehr verlangsamt wird oder „Guerilla Swings“ auftauchen, also Schaukeln an allen möglichen Stellen. Letztgenannte sind gerade als Ausdruck des neuen urbanen Lebensgefühls in einem Coca-Cola-Werbespot im Fernsehen zu sehen. Diese Vermischung privatwirtschaftlicher Interessen und einer digital gestützten Do-it-yourself-Kultur behandelt Rauterberg aber nur am Rande.

Ein Beispiel sind sogenannte Parklets. Die Idee: Ein Parkplatz wird in einen Garten oder ein Kunstwerk verwandelt, um in den öffentlichen Raum zu intervenieren. Was 2005 als Guerilla-Aktion begann, wird inzwischen von der Stadt San Francisco zur Nutzung ausgeschrieben. Ganz im Sinne des Kosten-Outsourcings werden Parklets vom „Pächter“ auf eigene Kosten umgestaltet und dann der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, was oft bedeutet, dass dies in Form von Cafés und Geschäften geschieht.

Rauterbergs Essay, so reich es an Beschreibungen neuer urbaner Praktiken ist, lässt die klare Linie einer Abgrenzung zur alles durchkreuzenden Verwertungslogik vermissen, die gerade in diesen Grauzonen ihre Wirkung entfaltet. „Die Digitalmoderne (…) verschleift, was eindeutig schien. Sie privatisiert das Öffentliche, veröffentlicht das Private, sie verunklart den Ort und die Zeit und die Funktionen“, schreibt er. Nur gilt es, sich über die Mechanismen einer möglichen Absorption dieser Widerstandspraktiken im Klaren zu sein. Denn in der Auseinandersetzung um die Stadt geht es nicht nur um eine Modifizierung alltäglicher Praktiken, sondern um grundlegende gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen. Der Soziologe David Harvey erklärt dementsprechend richtig in seinem ebenfalls in diesem Jahr bei Suhrkamp erschienenen Buch Rebellische Städte, es gehe darum, die „Horden der unorganisierten Urbanisierungsproduzenten“ in ihren vielfältigen sozialen Räumen und mit den verschiedenen Identitäten vom Bauarbeiter über den Krankenpfleger, die Kellnerin, die Architektin bis hin zum Künstler zu mobilisieren.

Wir sind die Stadt – Urbanes Leben in der Digitalmoderne
Hanno Rauterberg Suhrkamp 2013, 159 S., 12 €

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