Dass ausgerechnet Wolfgang Schäuble die Idee von der Unabhängigkeit der Zentralbank nachhaltig beschädigt hat, ist ein durchaus überraschendes Verdienst des Bundesfinanzministers.
Denn eigentlich hat ja die Unabhängigkeit der Bundesbank wie der Europäischen Zentralbank (EZB) gerade in Deutschland den Status eines unumstößlichen Glaubenssatzes, an dem zu zweifeln den Ausschluss aus jeder seriösen wirtschaftspolitischen Debatte nach sich zieht. Jene Unabhängigkeit war ein Totem der BRD: Grundlage für das heilbringende Wirken der Bundesbank vom Wirtschaftswunder bis zum Euro und Garant einer harten D-Mark. Kein Wunder also, dass die BRD ihren Glaubenssatz von der Zentralbankunabhängigkeit im Maastricht-Vertrag 1992 der Eurozone aufgenötigt hat.
Nun kritisiert ausgerechnet Schäuble die EZB immer forscher: Es sei Zeit, die extrem expansive Geldpolitik zu beenden, die inzwischen „mehr Ursache als Lösung des Problems“ sei. Schäubles Missbilligung gipfelte in einer Spitze gegen EZB-Präsident Mario Draghi: „Sei ganz stolz“, habe er dem gesagt, dass die Hälfte des Erfolgs der AfD auf Draghis Konto gehe. Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) legte noch einen drauf und forderte ein Ende der Niedrigzinsen, die deutsche Sparer verdrießen: „Die Bundesregierung muss einen Richtungswechsel in der Geldpolitik einfordern.“
Beiden dürfte Artikel 107 des Maastricht-Vertrages bekannt sein, mit dem Deutschland allen anderen EU-Mitgliedern die geldpolitischen Hände gebunden hat: „Die Regierungen der Mitgliedstaaten verpflichten sich, nicht zu versuchen, die Mitglieder der Beschlussorgane der EZB oder der nationalen Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinflussen.“
Würde sich ein Politiker aus Griechenland, Italien oder Portugal erdreisten, der EZB ins Handwerk zu pfuschen wie Schäuble und Söder, dann würde ihm gewiss aus Deutschland alsbald mit dem Hinweis auf das hehre Prinzip der Unabhängigkeit der EZB Einhalt geboten. In dieser paradoxen Konstellation aber, dass gerade die Gralshüter der Zentralbankunabhängigkeit eben diese mit den Füßen treten, wird sichtbar, in welche Widersprüche die Idee der Unabhängigkeit selbst verstrickt ist.
Die Kritik an der EZB lässt zunächst eines klar erkennen: Draghi und der Rest des EZB-Direktoriums sind der demokratischen Kontrolle enthoben. Man kann sie nicht abwählen. Es ist dies ja eigentlich die Idee der unabhängigen Zentralbank selbst, dass sie antidemokratisch ist, die Geldpolitik bewusst politischer Kontrolle und demokratischer Willensbildung entzieht und einer Riege von Experten anvertraut.
Immer mehr Befürworter
In der Geburtsstunde der Zentralbank als Institution war von Unabhängigkeit noch keine Rede. Im Gegenteil war die Zentralbank anfangs ja zur Finanzierung von Staatsausgaben gedacht, zum Zweck der Kriegsführung etwa die Bank of England.
Im Laufe der Zeit jedoch gewann die Idee einer unabhängigen Zentralbank mehr und mehr Befürworter, vor allem wegen des vorgeblichen Vorteils, dass sich so niedrigere Inflation und größere Stabilität erzielen ließen, als wenn die Geldpolitik je nach Couleur der jeweiligen Regierung stets neu ausgerichtet würde, was zwangsläufig zu größerer Volatilität führen würde.
Mit der erstaunlichen Erfolgsgeschichte der central bank indepedence hat sich die in Großbritannien lehrende Ökonomin Gulkin Ozkan genauer befasst. Vor allem nach Perioden höherer Inflation in den 1960ern und 1970ern sei die Idee immer attraktiver erschienen, mit unabhängigen Zentralbanken niedrigere Inflationsraten zu erreichen. Grob lässt sich urteilen, dass der Siegeszug des Neoliberalismus mit dem Vormarsch der inflationsfixierten Zentralbankunabhängigkeit zumindest in Teilen überlappt. 1985 etwa theoretisierte der US-Ökonom Kenneth Rogoff in einem einflussreichen Aufsatz, dass eine unabhängige, konservative Zentralbank die optimale Lösung der Geldpolitik sei, weil man so niedrige Inflation fast ohne Kosten bekomme. 1988 zeigten Alberto Alesina und Lawrence Summers, dass eine unabhängige Zentralbank unter fast allen Umständen Inflationsraten verringerte. Die beiden beschrieben die Geldpolitik so, als müsse sich der demokratische Souverän wie Odysseus vor den Sirenengesängen höherer Inflation selbst am Mastbaum einer unabhängigen Zentralbank festbinden: Es gehe darum, die Wünsche der Mehrheit auszuhebeln, um zu erreichen, was für alle besser sei.
Ozkan verweist auf die verschiedenen Ausgestaltungen der Unabhängkeit: die der Ziele einer- und die der Mittel andererseits. So ist die Bank of England nur beschränkt unabhängig, denn der britische Finanzminister diktiert ihr das Inflationsziel, das sie dann operational unabhängig mit den Mitteln der Geldpolitik zu erreichen versucht. Und während etwa bei der Bundesbank allein die Preisstabilität als Ziel festgelegt ist, haben andere ein weitreichenderes Mandat, etwa die Federal Reserve der USA, die nicht nur die Inflationsrate, sondern auch die realwirtschaftliche Entwicklung und die Arbeitslosigkeit im Blick hat.
Ein beredter Kritiker des Mythos der Zentralbankunabhängigkeit als universeller Wahrheit ist Jörg Bibow, ein in New York lehrender Keynesianer. Er zieht die deutsche Selbsterzählung in Zweifel, derzufolge die unabhängige Bundesbank als Antwort auf die Weimarer Hyperinflation entstanden sei, die den deutschen Sparern noch in den Knochen gesteckt habe: „Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es erst mal gehörigen Widerstand gegen eine unabhängige Zentralbank, einerseits von der Industrie, aber auch von skeptischen Beobachtern wie Walter Eucken, dem großen Ordoliberalen. Weil man sich noch erinnerte, dass die Reichsbank sowohl während der Hyperinflation als auch während der Großen Depression unabhängig war. In Deutschland hatte man also im Grunde sehr schlechte Erfahrungen mit Zentralbankunabhängigkeit gemacht, als krassestes Versagen in beiden Richtungen, bei Hyperinflation und Depression.“
Immer mehr Kritiker
Selbst Adenauer sei in den ersten Nachkriegsjahren strikt gegen Unabhängigkeit gewesen, sah sie als „verfassungswidrig“ an, während Ludwig Erhard „sich als Befürworter der Unabhängigkeit profilierte, weil er nicht wollte, dass die anderen ihren Einfluss auf die Bank ausüben können“. So findet sich Wolfgang Schäuble in illustrer Gesellschaft mit der Devise: Wir befürworten Unabhängigkeit, so lange sich dies mit unseren Interessen deckt, und versuchen, die Zentralbank zu beeinflussen, wenn ihre Entscheidungen für uns von Nachteil sind.
Geldpolitik als interesselose Wahrheitssuche war immer Fiktion. In Deutschland etwa bildeten die Sparer einen Interessenblock, der auf „Preisstabilität über alles“ pocht und bis heute auf seinem imaginierten Recht auf Zinsen besteht. Ein anderer war die deutsche Exportindustrie, so Bibow, „die traditionell immer davon profitiert hat, dass Deutschland eine relativ niedrigere Inflation als andere Länder hatte und dadurch beständig Wettbewerbsvorteile durch die Hintertür erlangt hat“. Schäuble hat also die Idee einer wahrhaft unabhängigen Zentralbank als das sichtbar gemacht, was sie eigentlich ist: ein anti-demokratisches Arrangement, das verschleiert, dass es sehr wohl manche Interessen bedient und sich anderen versagt. Wenn dem aber so ist, dann wäre es höchste Zeit, die Geldpolitik nicht länger der politischen Debatte zu entziehen.
Kommentare 16
Genau wie die freihandelsdoktrin ist die unabhängigkeit der zentralbank von der politik eine zwecklüge interessierter kreise. Denn natürlich haben die heute den welthandel beherrschenden länder auf ihrem territorium selbst nie "freihandel" zugelassen; erst als sie in allen bereichen eine überlegene konkurrenzposition erlangt haben, fordern sie von allen anderen "freihandel".
Genauso bei der zentralbank, deren wichtigste - von den geldvermögensbesitzern erteilte - aufgabe es ist, den geldwert stabil zu halten. Dazu muss sie unbedingt für "unabhängig" deklariert werden, weil nämlich die sicherung einer "harten währung" (die die grossen geldvermögen vor entwertung schützt!) mit anderen wirtschaftspolitischen zielen durchaus in widerspruch geraten kann - insbesondere mit der konjukturpolitik und dem versuch, arbeitsplätze zu schaffen.
Dann zucken die politiker bei entsprechenden forderungen nach einer industriepolitik mit den schultern und erklären, dass sie "leider" nichts machen könnten, die zentralbank sei eben unabhängig.
Die nagelprobe liesse sich ganz leicht machen - in dem moment nämlich, wo die zentralbank (wie jetzt die EZB) die geldwertstabilität auf's spiel setzt, ist es auch sofort vorbei mit der ihrer "unabhängigkeit", die eh nur eine nützliche zwecklüge war und ist.
Der große Euro-Schwindel, ARD 05.07.2012
... soviel zur Unabhängigkeit der EZB
Der Vergleich der EZB mit der Bank of England hinkt
Die Bank of England arbeitet für EINE EINZIGE Volkswirtschaft und Währung und somit zusammen mit EINER EINZIGEN Wirtschaftspolitik.
Die EZB arbeiter für eine Einzige Währung, aber für 19 (NEUNZEHN) verschiedene Volkswirtschaften, die sich alle nicht an die vereinbarten strengen Regeln der EZB gehalten haben.
Verkürzt dargestellt können unterschiedliche Volkswirtschaften bei unterschiedlicher Produktivität ihre Währungen gegeneinander floaten. Das hat Auswirkungen auf den Im- und Export, aber weniger Wirkung auf die internen Geldflüsse. Mit der alleinigen Währung Euro bleibt den unterschiedlichen Volkswirtschaften nur noch ein Preisdumping mit verheerenden Wirkungen auf die inländischen Geldflüsse und Sozialsysteme.
Zur Kritik des EURO
Welche Knalltüte hat eigentlich behauptet, die nationalen Währungen müßten bei der Einführung des EURO aus dem Verkehr gezogen werden?
Wenn der EURO als Referenzwährung neben den nationalen Währungen weiter besteht, gibt es sehr viel weniger Probleme, weil jede Einzelwährung floaten könnte. Gleichzeitig währe der EURO für alle EU-Staaten offen und eventuell für weitere Staaten, vergleichbar dem Bancor von Keynes und Schumacher.
Die Diskussion ist reichlich akademisch. "Unabhängigkeit" ist immer relativ; jede halbwegs verantwortungsvolle ZB wird die Entwicklung der Gesamtwirtschaft im Blick haben bei ihren Entscheidungen und bemüht sein, dieser keine Steine in den Weg zu legen.
Wenn die heutige Situation eines zeigt, dann dass die Geldpolitik der "unabhängigen" EZB ohnehin nur eine sehr begrenzte Wirkung entfalten kann - zumindest alleine. Sie kann nur den Ist-Zustand stabilisieren und Schlimmeres verhindern - tatsächliche Impulse setzen kann jedoch nur die Wirtschafts- und Fiskalpolitik. Die EZB kann dieser maximal ein günstiges Umfeld bieten, und das tut Draghi geradezu vorbildlich.
Das wäre faktisch eine Umbenennung der DM in Euro, mit entsprechenden Vorteilen für D und andere Hartwährungsländer.
Vor allem wäre das eine echte zweite Leitwährung, die von mehreren Volkswirtschaften getragen würde, und nicht nur von einer einzigen, wie beim US$. Diese ReferenzWährung wäre als Leitwährung auch für NahostStaaten, Russland, Indien und China akzeptebel.
Das war die DM ebenso, also akzeptabel;-)
Das Problem an diesen Leitwährungen ist, dass sie den ausgebenden Ländern große Vorteile verschaffen, da sie sich in eigener Währung verschulden und internationale Kredite vergeben können. Bei einem "Zweiteuro", der de fakto von Deutschland kontrolliert würde, wäre das ähnlich.
Aber die Frage ist doch, wie insgesamt dieses neokoloniale Währungssystem aufgebrochen werden kann, nicht wie 'wir' etwas mehr von der Torte kriegen können.
Warum sollen alle Länder des Globalen Südens in Dollar/ Euro/ Pfund/ ... sparen und damit den hiesigen Banken und Kapitalanlegern Gewinne verschaffen? Und bei jeder Krise ihr Eigentum unter Wert verscherbeln, um Fremdwährungskredite zu bedienen?
China und die BRICS sind dabei, dieses System aufzubrechen, indem sie Währungen nur kontrolliert schwanken lassen und mittels jederzeit abrufbarer Währungsswaps (strategische Vorsorge-Kreditlinie) absichern. Wenn das sich durchsetzt, wird z.B. Argentinien Anleihen zu vernünftigen Zinsen in Pesos ausgeben können, weil die Anleger keine Angst vor einem Zusammenbruch der Währung mehr haben müssen. Damit wäre die Währungs-Macht der OECD-Staaten gebrochen.
Wer redet oder schreibt von einem ZweitEuro?
Ob eine Währung als Referenzwährung akzeptiert wir, hängt von ihrer Stabilität ab. Der Euro könnte vom Volumen her diese Währung sein und basiert auf allen Volkswirtschaften, die daran teilnehmen.
Das setzt voraus, daß die EuroZonenStaaten ihre nationale Währung wieder aktivieren und intern jeweils eine eigene Wirtschafts- und Geldpolitik betreiben, damit andere Staaten in Europa und sonstwo dieser EuroWährung beitreten können.
Das ist kein ZweitEuro, sondern ein erweiterter Euro als zusätzliche globale Währung.
Sie ;-) - zumindest würde ich Ihren Vorschlag zu bezeichnen.
Und ich habe bereits zwei deutliche Schwächen dieses Systems aufgezeigt und dargelegt, dass es de fakto dem vor-Euro-Zustand entspräche. Und gleichzeitig ein gerechteres, demokratischeres System vorgeschlagen.
Da liegt offensichtlich ein Mißverständnis vor, das aus der bisherigen Praxis stammen könnte. Der Euro, zur Unterscheidung nennen wir ihn einmal Zweiteuro, wäre kein alleiniges Zahlungsmittel, alternativlos, wie die deutsche Politik nun mal ist, sondern eine gemeinsame Verrechnungseinheit, wie Keynes und Schumacher den Bancor geplant hatten. Neben BRICS und EU wären auch die CAN Staaten mit im Boot.
Ich betrachte diese Konstruktion als Gegengewicht zu US$ und IMF/Weltbank.
Ok, dann eben global - aber warum dann nicht die schon existierenden SDR benutzen? Oder ein koordiniertes System multipler gegeneinander abgesicherter Währungen, wie es die Chinesen gerade aufbauen?
SDR ist gut, sitzen die nicht in Washington DC?
Ich habe gerade gelesen, daß der IWF feststellt, und schon öfter mal festgestallt hatte, Fehler gemacht zu haben, aber nichts ändert - warum wohl?, lassen wir den IWF also mal für einige Zeit außen vor. Die BRICS tun das ja auch.
»Oder ein koordiniertes System multipler gegeneinander abgesicherter Währungen, wie es die Chinesen gerade aufbauen?«
Klar, genau darauf läuft eine echte Referenzwährung hinaus:
1. Auf eine eigenverantwortliche nationale Währung.
2. Auf eine koordinierte Entwicklung der Währungen.
3. Auf eine beliebige Vergleichsgröße, einen Verrechnungsindex über alle Währungen.
4. Auf eine Institution, die diese Verrechnung kontrolliert (das soll mindestens so gut funktionieren, wie eine simple Heizungsregelung)
5. Wenn da eine Institution ist, die den Index führt, kann die auch eine Realwährung über diesen Index heraus geben - nennen wir ihn einmal EuroZwoo.
ff.
Um der nächsten Frage vorzubeugen:
Nicht jede Geschäftsbank und nicht jede Notenbank darf beliebig viele Kredite in EuroZwoo vergeben. Die Geldmenge orientiert sich am realen Wachtum (wie in der Guten Alten Zeit) und wird von der Kontrollinstitution kontrolliert, darum heißt die Kontroll.Institution.
Das entspricht also einem Vollgeld.Konzept.
Unnötig kompliziert (und unrealistisch); 3.-5. brauchen Sie nicht. Und 3. gibt es eben mit den SDR ohnehin schon.
Der IWF sitzt in Washington, aber wenn er nicht irrelevant werden will, bleibt ihm selbst ohne weitere Reform (die kommen wird) gar nichts Anderes übrig als seine Politik zu ändern, weil China sonst allen Ländern ein besseres Angebot macht. Der Aufbau eigener paralleler Institutionen ist zuvorderst ein Druckmittel, um echte Reformen des Bestehenden zu erzwingen.
Und wenn die Kreditmenge gedeckelt wird, gibt es tendenziell immer noch genug Geld für "renditeträchtigere" Spekulation, aber nichts für Realinvestitionen. Vollgeld bringt nichts.
Damit haben wir unsere unterschiedlichen Meinungen erschöpfend ausgetauscht und können hoffen, daß die Finanzmärkte irgend wann einmal mit Blasen aufhören, weil blasen noch nie Wachstum erzeugt hat.
Kommt drauf an wo und für wen...;-)