Ein neuer Mutmacher geht um

Antrittsrede des Bundespräsidenten Von Herzogs "Ruck"-Slang zu Köhlers "Ideen"-Shop

Ganz so schlimm, wie es zu erwarten war nach Horst Köhlers Wahl am 23. Mai, ist es nicht gekommen. Damals beschwor er ernsthaft "neue Gründerjahre". Gründerjahre? Das war der kurze Boom im Deutschland der Jahre 1871 bis 1873, als nach einer Reform des Aktiengesetzes in einem Jahr mehr Aktiengesellschaften gegründet wurden als zuvor in 70 Jahren. Viele der neuen Gesellschaften erwiesen sich als spekulative Blasen. Als 1879 im Bismarck-Staat zur wirtschaftlichen "Großen Depression" (1873-1895) eine politische Krise hinzu kam, lieferten die Spekulationen der "Gründerjahre" gratis den Anlass für die Entfaltung einer wüsten antisemitischen Kampagne. An deren Spitze stand Heinrich von Treitschke - der Einpeitscher des neudeutschen Nationalismus. Er schob dem "Semitentum" und dessen "frecher Gier" die Schuld am "Gründer-Unwesen" zu: " ... in Tausenden deutscher Dörfer sitzt der Jude, der seine Nachbarn wuchernd auskauft."

Natürlich steckt Horst Köhler nicht in Treitschkes Stiefeln. Aber was, bitte sehr, hatte er sich denn gedacht, als er die Idee (dazu gleich mehr) hatte, "neue Gründerjahre" herbeizureden? Ist einer Spekulationswelle von der Art der New Economy ein Rettungsring? In seiner Antrittsrede kam Köhler auf "neue Gründerjahre" nicht mehr zurück. Sie mutierten - eine geniale Idee - zum "neuen Aufbruch".

Den zweiten Fauxpas vom Mai wiederholte er. Nach wie vor "liebt" Horst Köhler "Deutschland", was man nicht tun kann, ohne sich zu blamieren, spätestens seit Gustav Heinemann - der verkannte Bundespräsident - ultimativ feststellte, er liebe seine Frau, aber nicht Deutschland. Überhaupt hat sich Köhler in den vergangenen fünf Wochen eher wenig Neues einfallen lassen, was nicht so auffallen würde, wenn er nicht schon im Mai gleich zweimal von der Bundesrepublik Deutschland als "einem Land der Ideen" gesprochen hätte. "Ideen", seiner Lieblingsvokabel, ist er treu geblieben - wenigstens zehnmal gebrauchte er sie in der Antrittsrede und warnte davor, dass das Land "zum Brachland der Ideen" verkomme, attestierte ihm aber erneut, noch sei es ein "Land der Ideen". Köhler zufolge brauchen wir "kreativere Ideen", "noch mehr Ideen", "Ideen Made in Germany" und "ideenreiche Köpfe" - mindestens auf dem Niveau von Leibniz und Goethe.

Nach so vielen Pirouetten um jede Art von Ideen greift man sich an den Kopf und fragt zurück, wie es denn wäre, wenn der Köhlersche Ideengenerator ein paar Ideen - möglichst eigene oder wenigstens nicht nur billigste Ladenhüter - präsentierte. Das gäbe dem präsidialen Ideenbeschwörer mehr Glaubwürdigkeit als sein Hinweis auf den Gemeinplatz "Wir sitzen alle in einem Boot". Wirklich alle? Zumindest auf die Idee, dass dieses Boot ziemlich unterschiedlich bequem eingerichtete Arbeits- und Ruheplätze besitzt, hätte jedenfalls ein Gymnasiast kommen müssen, um eine anständige Aufsatznote zu kriegen. Bei den Oberschulmeistern Franz Müntefering und Angela Merkel kam Horst Köhler glatt durch - es sei "eine große Rede" gewesen, befand Müntefering, und Frau Merkel entdeckte im rigorosen Verzicht auf Ideen "neue Ideen".

A propos Noten: "Es gibt unzählige Beispiele, wo Ideen in Deutschland entstanden sind, die Arbeitsplätze aber anderswo." Für die syntaktisch-stilistische Bonität der "Köhler"-Sentenz, "wo" natürlich "Idee" nicht fehlen darf, sind wohl die kreativ- ideenreichen Redenschreiber verantwortlich. Wir hätten da eine ideenreiche Idee parat: Nachsitzen und "in Deutsch investieren", wie Köhler sagen würde.

Vom Herzogschen "Ruck"-Slang sind wir in Köhlers "Ideen"-Shop angelangt, von dem aus in den nächsten Jahren ein "Ideen-Ruck" durchs Land gehen soll. Köhler erwähnte die "Ruck"-Rede von 1997 explizit. Eine ganz verwegene Idee. Der neue "Mutmacher" (FAZ) im Land weiß auch, woran dieses leidet: "Man braucht Ideen, die verwirklicht werden. Jeder einzelne hat Ideen, Sie und ich. Aber wir kämpfen nicht genug um ihre Verwirklichung. Wir alle warten!" Da muss energisch widersprochen werden, denn das schlägt den bekannten Tatsachen ins Gesicht: In Westerwelles Küche wurde die Idee ausgeheckt, Köhler zum Präsidenten zu machen. Arm in Arm mit Frau Merkel kämpfte Westerwelle für die Verwirklichung der Glanzidee "Köhler". Der letzte Satz ist dagegen goldrichtig bis zum Ausrufezeichen: "Wir alle warten!" Worauf? Auf Köhlers "Ideen".


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