Im 31. Jahr seiner Herrschaft scheint Libyens Revolutionsführer wieder politisch salonfähig geworden. Vor allem aus dem State Departement hatte der Oberst in den vergangenen 30 Jahren wenig Freundliches gehört. Das ist nun anders. Der "Schurkenstaat" soll auf dem Weg der Läuterung sein. Ein Unterstaatssekretär des US-Außenministeriums hat das gerade festgestellt. Die Essenz der vorsichtigen Evaluierung hört sich in etwa so an: Libyen habe seine Unterstützung des internationalen Terrorismus doch deutlich verringert, so dürfe sich die Gruppe des Palästinensers Abu Nidal nicht mehr auf libyschen Boden tummeln. Auch teile Tripolis die Zurückhaltung seiner Nachbarn gegenüber dem saudischen Übeltäter Usama bin Laden. Zu erg
änzen wäre: Die mutmaßlichen Lockerbie-Attentäter sind ausgeliefert, die UN-Sanktionen ausgesetzt, und der erste Staatsbesuch eines westlichen Regierungschefs hat stattgefunden: Italiens Premier Massimo D'Alema war im Dezember ganz offiziell für zwei Tage in Tripolis. Die ehemalige Kolonialmacht ist noch immer Libyens wichtigster Wirtschaftspartner. Im Hafen von Tripolis, wo einst Mussolini mit Prunk einfuhr, um die Gestade seines Mittelmeerimperiums zu besichtigen, kreuzen heute die Linea Messina und die Containerschiffe anderer italienischer Reedereien. "Die kommen alle wieder", raunen die Zuschauer an der Kaimauer und freuen sich wie Schiffbrüchige, die endlich Land sehen. - Sieben Jahre hat das UN-Embargo gedauert. Sensible Technik durfte nicht ins Land, die internationalen Flugverbindungen waren gestrichen. "Wir sind zurück!", posaunen in den Foyers der teuren Hotels bereits Werbeplakate von British Airways.Nachts auf dem Weg nach Sebha, der Stadt in der Sahara, wo der junge Gaddafi ein wenig studiert und viel agitiert hat. Der Bus hält an einer Straßensperre, wozu er alle 100 Kilometer gezwungen ist. Draußen schlägt ein Militärpolizist zu, zweimal und mitten ins Gesicht. Als sein Opfer, ein stämmiger junger Schwarzer, den Ernst der Lage begreift und mit einiger schauspielerischer Leistung um Nachsicht bettelt, erhält es eine dritte Ohrfeige. Unmut regt sich im Bus, benommen von der langen Nachtfahrt verfolgen die Reisenden aus den Fenstern das Spektakel. In Tripolis lässt Gaddafi wahre Demokratie und - vor allem seit dem OAU-Sondergipfel im libyschen Sirte (September 1999) - die Bruderschaft mit Schwarzafrika predigen, doch nachts weit draußen im Land zeigt Libyen ein anderes Gesicht. - Morgens um drei Uhr hatte ein Fahrgast mit einem Mal den jungen Schwarzen als Reisenden aus Niger denunziert. Die Papiere sollten falsch sein. Der Beschuldigte musste daraufhin sein Gepäck aus dem Bus holen und hätte wohl allein mit den prügelnden Polizisten zurück bleiben sollen. Doch da wendete sich das Blatt: Ein dritter Fahrgast meldete sich zu Wort, an der Sache mit den falschen Papieren war offenbar nichts dran. "Sprich' gefälligst richtiges Arabisch mit mir!", herrscht der Polizist den Denunzianten an, auch der ein Schwarzafrikaner, aber mit einem libyschen Paß und voll des Lobes für den "Großen Führer".Nach drei Jahrzehnten seiner Herrschaft hat der Revolutionsführer den Libyern die Hinwendung zu Afrika verordnet, enttäuscht von den arabischen Bruderstaaten, die Gaddafis Exzentrik schon lange nicht mehr schätzen. "Afrika ist unser Herzland", salbadern Plakate an den Häuserwänden von Tripolis. "Afrika ist der Kontinent des Reichtums, großer Fähigkeiten und unerschöpflicher Ressourcen. Afrika ist das Paradies, das nie verloren ging." Bei besagtem Gipfel von Sirte wurde denn auch wieder einmal die Idee der "Vereinigten Staaten von Afrika" beschworen - eines Staatenbundes, der sich institutionell durch eine gemeinsame Zentralbank, einen Währungsfonds und einen afrikanischen Gerichtshof formieren soll. Schon 2001 will die OAU - erneut in Sirte - bilanzieren, wie weit sie damit ist. Aber abgesehen von einigen nordafrikanischen Staaten und - mit Abstrichen - von Ägypten stoßen Gaddafis Avancen am Äquator auf eher verhaltene Freude.In Libyen selbst wird die "afrikanische Botschaft" geschluckt wie andere Erklärungen des Revolutionsführers, auch wenn sich bei den nur vier Millionen Libyern die Abneigung gegen die Afrikaner aus den Nachbarländern hält. "Der Oberst ist ein Mann mit sehr viel Glück", meint ein libyscher Geschäftsmann ironisch. "Das Land ist voll mit Erdöl, und niemand hier hat gefährliche Ideen. Die Leute sind damit beschäftigt nachzudenken, wie sie zu ihrem Essen kommen oder zu großen Autos. Es gibt niemanden, der Gaddafis Platz haben will."Sieben Monate nach Aussetzung der UN-Sanktionen hat sich der Alltag der meisten Libyer nicht geändert. "Wir sehen nichts vom Öl", klagt ein Taxifahrer, der eigentlich als Ingenieur für die Sirte Oil Company arbeitet. Dort, bei der früher verstaatlichten Esso-Filiale, verdient er 300 Dinar im Monat. Eine Woche Taxifahren bringt dreimal so viel. Junge Männer aber brauchen in Libyen viel Geld: Wer nicht gesellschaftlich geächtet sein will, muß heiraten und zahlen - 80.000 Dinar für die eigene Wohnung, das Auto, das Fest und die obligatorischen 250 Gramm Gold für die Braut.Das Interesse an den Visionen des Gaddafi-Clans geht dabei unter, doch nach wie vor gelten des Revolutionsführers Grünes Buch und seine Universaltheorie über direkte Demokratie - selbst auf den Flugtickets der Libyan Airlines prangt auf englisch einer seiner Slogans: "Peoples' committees everywhere!" (Volkskomitees an allen Orten).Eine islamische Opposition existiert dennoch - nur zu sehen ist sie nicht. Anders als in Kairo oder Damaskus sind auf den Straßen der libyschen Metropole kaum Uniformierte unterwegs, die Arbeit erledigen Sicherheitsdienste in Zivil. So sollen allein 1999 nach Angaben von Amnesty International an die 100 Personen, darunter Ingenieure und Akademiker, wegen angeblicher Zugehörigkeit zur Untergrundpartei Libysch-islamische Gruppe verhaftet worden sein.Für den Bischof von Tripolis, Monsignore Giovanni Martinelli, steht indes die Loyalität zu Gaddaffi außer Frage: "Wir sind völlig frei hier - zumindest wir Christen", ergänzt er. Das sieben Jahre dauernde Embargo sei zu "100 Prozent ungerecht" gewesen und der Vorwurf des Staatsterrors nur ein Vorwand, um einen störenden Staatschef wie Gaddafi zu zügeln. "Man mag von Libyen denken, was man will, aber es ist das einzige Land, das die Iraker oder Afrikaner bei sich arbeiten läßt", lobt Martinelli. In seiner San-Francisco-Kirche sind die Gläubigen aus Nigeria oder Sudan längst zur größten Gemeinde geworden. Hier wenigstens ist Libyen jene "Brücke nach Afrika", wie es die neue Politik des "Großen Führers" will.
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