Graphic Novel Berufliche Sinnkrise, Bindungsangst und "fette Tüten": Manu Larcenet zeichnet in „Der alltägliche Kampf“ die Ängste und Selbstzweifel seiner Generation mit schnellem Strich
Seit Jahren gehört er zu den produktivsten unter den jungen Comiczeichnern in Frankreich. Der ehemalige Punkrocker Manu Larcenet beherrscht die schrille Parodie so gut wie die leise Erzählung oder den respektlosen Kindercomic. Nun liegt eine seiner stärksten Arbeiten erstmals in einer deutschen Gesamtausgabe vor. Der alltägliche Kampf ist nicht nur ein tragikomischer Entwicklungsroman. Mehr noch liefert die ursprünglich vierbändige Serie beinahe nebenbei das Porträt einer verunsicherten Generation.
Der Comic begleitet seinen Protagonisten Marco Louis durch fünf prägende Jahre und endet im Frühsommer 2007 kurz nach dem Wahlsieg Sarkozys. Am Anfang stehen einschneidende Veränderungen: Der Mittzwanziger, der sich wegen Angststörungen
ngststörungen seit Jahren psychotherapeutisch behandeln lässt, durchlebt eine berufliche Sinnkrise und provoziert so, dass ihn die Agentur, für die er erfolgreich als Kriegsfotograf gearbeitet hat, entlässt. Während eines seiner seltenen Familienbesuche muss er feststellen, dass es seinem kranken Vater schlechter geht, als er angenommen hatte. Sein Verhältnis zu dem pensionierten bretonischen Werftarbeiter ist kompliziert; Vater und Sohn sind gleichermaßen in sich gekehrt, vieles zwischen ihnen bleibt unausgesprochen. Auch als Marco eine Beziehung mit der Tierärztin Émilie beginnt, steht ihm seine Bindungsangst im Weg.Problemüberladen, trist oder sentimental wirkt Der alltägliche Kampf aber auf keiner Seite, und darin zeigt sich das erzählerische Können Larcenets. Viele seiner Dialoge verraten eine Vorliebe für absurden Humor. Zudem gewährt er seinem Protagonisten ruhige, zufriedene Momente oder lässt ihn spätpubertär blödeln; Marco und sein Bruder begehen jedes Wiedersehen mit kindlich ausgelassenen Späßen, einer Runde Playstation und „fetten Tüten“.Grafisch kleidet Larcenet solche Szenen in einen schnellen, karikaturhaften Strich, während er Marcos wiederkehrende Innenschau mit menschenleeren, beinahe fotorealistischen Landschaften in Sepia oder mit Porträtaufnahmen unterlegt. Obwohl Larcenets Zeichnungen oft beiläufig wirken, stecken sie voller Details. Das ist vor allem an den Bildhintergründen erkennbar und gilt für Marcos Ikeamöbel und die alte Kücheneinrichtung seiner Eltern ebenso wie für die Werfthallen, in denen Louis Senior sein Arbeitsleben verbrachte.Skizzenhaft und verspieltEs sind diese Beiläufigkeit der Grafik, der subjektive Zugang und der oft schwarze Humor, die Larcenet mit anderen Comickünstlern seiner Generation verbinden. Längst spricht man in Frankreich von einer „Nouvelle Bande Dessinée“, einer neuen Generation von Zeichnern. Die Assoziation mit der filmischen Nouvelle Vague ist gewollt und durchaus treffend. Denn ähnlich wie seinerzeit die jungen Regisseure brechen heute Zeichner und Autoren wie Larcenet, Joann Sfar (Die Katze des Rabbiners) oder Lewis Trondheim (Herr Hase) mit den dominanten Darstellungsformen im anspruchsvollen Comic. Anstelle eines handwerklich sauberen Realismus setzen die Künstler einen deutlich verspielten, rohen, skizzenhaften Strich.Dabei kommt ihnen zugute, dass sie den Comic in Frankreich weder als Massenmedium etablieren, noch seine hochkulturelle Anschlussfähigkeit herstellen müssen. Für die Popularität sorgten spätestens in den fünfziger Jahren Künstler wie Goscinny und Franquin, die Anerkennung als ernstzunehmende Kunst errang später die Generation von Bilal, Tardi und Moebius. Diese Vorgeschichte half den Jüngeren um Larcenet, Sfar und Trondheim, mit ihren alltäglichen Themen, ihrer Selbstironie und ihrem schrägen Witz vergleichsweise schnell in den Mainstream vorzustoßen. Ihrem mitunter drastischen Humor hat der Erfolg nicht geschadet, wie ein Blick auf die gemeinschaftlich betreute, wild wuchernde Donjon-Serie verrät, eine Fantasy-Parodie, in deren Verlauf die Köpfe nur so rollen.Von solch lärmenden Effekten ist Der alltägliche Kampf allerdings weit entfernt. Im Gegenteil besticht der Comic durch die Sensibilität, mit der Larcenet die Sinn- und Glückssuche seines Protagonisten begleitet. Marco stellt sich der Herausforderung einer Beziehung und findet zwei väterliche Freunde, mit denen er den verpassten Generationendialog nachholen kann. Eine Zukunftsperspektive eröffnet ihm dann ausgerechnet der Blick zurück, als er Porträtfotos der ehemaligen Arbeitskollegen seines Vaters macht.Mithilfe der Darstellung der bretonischen Werftarbeiter wirft Larcenet durch die Linse seines Protagonisten einen beinahe zärtlichen, aber nicht verklärenden Blick auf die sogenannten kleinen Leute. Der Autor weiß um die Härten ihrer Arbeit, zeigt aber auch den Stolz und Zusammenhalt derjenigen, die diesen Umständen ein würdiges Leben abtrotzen. Die Verachtung, die dem Arbeitermilieu heute zuweilen entgegenschlägt, quittiert Larcenet mit lakonischen Kommentaren, hinter denen die unterdrückte Wut lauert. So lässt er einen alten Werftarbeiter über den Globalisierungsdruck sagen: „Wenn den Bossen erlaubt wird, ihre Fabriken in der Dritten Welt zu bauen, muss man schon ein verdammter Heuchler sein – oder ein Sozialist –, um sich darüber zu beschweren, dass sie es auch tun.“Wahl und PflichtPolitik verhandelt Larcenet eher am Rande: Nur gelegentlich fließen zeitgeschichtliche Ereignisse in die Handlung ein, etwa wenn Marcos Schwägerin Naїma den Einzug Le Pens in die Stichwahl ums Präsidentenamt 2002 kommentiert: „Die Franzosen haben solchen Schiss um ihre Häuser, dass sie vergessen, dass es unsere Eltern waren, die sie gebaut haben…“Obwohl Larcenets Charaktere gelegentlich erfrischend Klartext reden, fehlt es ihnen doch an Gewissheiten – nicht nur politischer Natur. Die Jüngeren in dieser Geschichte sind verunsichert, insbesondere Marco und sein Bruder. Während ihre Lebensgefährtinnen beruflich wie privat Stabilität verkörpern, kämpfen sie mit prekären Arbeitsverhältnissen, Selbstzweifeln und Ängsten. Wie aus einer anderen Epoche wirken da die Eckpfeiler, die das Leben der Eltern bestimmt haben – die klaren politischen Orientierungsmarken oder der Beruf, dem man der Notwendigkeit halber nachgeht. Marco und seine Altersgenossen profitieren von einer Freiheit der Wahl, die ihnen zugleich als Pflicht zur Suche erscheint: Sie müssen ihren Platz im Leben finden. Dass dies nie einfach ist, aber gelingen kann, zeigt Manu Larcenet in seiner bewegenden grafischen Erzählung.
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