Ein Ramone mag es nicht gerne dreckig

Literatur Lieber kleinlaut-japanisch in Reih und Glied als schmutzig-europäisch: Bücher, die den Spießer im Punk verraten
Als schmuddelige Absteige vieler früherer Musikgrößen bekannt, muss ein Gast heute für eine Nacht im legendären Chelsea Hotel in New York tief in die Tasche greifen
Als schmuddelige Absteige vieler früherer Musikgrößen bekannt, muss ein Gast heute für eine Nacht im legendären Chelsea Hotel in New York tief in die Tasche greifen

Foto: Timothy A. Clary / AFP / Getty Images

Die Ramones gelten als Urgesteine des US-Punkrock. Müssten die Lederjacken und verwachsene Beatles-Frisuren tragenden Rock-Dinosaurier der popkulturellen Evolutionsgeschichte dann nicht radikal anti-bürgerlich sein? Weit gefehlt, wie zwei neue Bücher nahelegen. Johnny Ramone war überzeugter Republikaner und hat nie kapiert, warum Vietnam „nicht einfach von der Landkarte gebombt“ wurde. Das erzählt er in seiner Autobiografie Commando (Tropen-Verlag), wo der Ramones-Songwriter über der betreffenden Passage mit Stahlhelm und Sturmgewehr abgebildet ist. Der homophobe Ramone erinnert sich auch gerne an die Zeit, als alle noch stolz auf Amerika waren. Zu den rassistischen fünfziger Jahren bemerkt er: „Damals war Amerika noch ein anderes Land, alle kamen miteinander aus.“

Zu dieser reaktionären Haltung passt dann auch die biedere Kleinunternehmer-Mentalität. Johnny Ramone, der immer davon träumte Baseballstar zu werden, und sich mit über 40 noch Autogramme von Profisportlern geben ließ, spielte bei den Ramones den Kassenwart. Für sich persönlich hatte er das „Ziel“, irgendwann einmal eine Million Dollar zu besitzen. Anfang der Neunziger war es dann soweit. Wie ein kleiner stolzer Junge, der seine erste Eisenbahn bekommt, erzählt der Alt-Punker von den Fonds und Anleihen, die er sich damals kaufte. Echte Streber bringen es eben zu was. Sonst mochte es Johnny Ramone gerne sauber, weswegen er auch nicht so gerne in Europa spielte, wo die Punks immer so dreckig waren und auf die Bühne spuckten. In Japan, wo die Fans in Reih und Glied auf Stühlen saßen und die Schnauze hielten, während er spielte, fühlte er sich deutlich wohler.

Der Junkie mag es kleinbürgerlich

Von dieser Piefigkeit ist der drei Jahre jüngere Dee Dee Ramone meilenweit entfernt. Die eigentliche Seele der Ramones verließ die Band 1989. Danach lebte der zum Teil in West-Berlin aufgewachsene Dee Dee von der Hand in den Mund und verbrachte die Neunziger im legendären New Yorker Chelsea Hotel. Davon handelt sein autobiografischer Gespenster-Roman Chelsea Horror Hotel (Milena-Verlag). In dieser Absteige, die auch heute noch in jedem New York-Reiseführer steht, soll Sid Vicious im Drogenrausch seine Geliebte ermordet haben, Leonard Cohen hatte hier eine Affäre mit Janis Joplin, und Jack Kerouac schrieb auf Zimmer 422 „On the road“. Arthur Miller, Dylan Thomas und William Burroughs hausten auch zeitweise in diesem popkulturellen Standort von internationalem Rang. Während Johnny Ramone also gerade in die von der Leine gelassene Finanzindustrie investierte, fristete Dee Dee ein Junkie-Dasein in einer versifften Absteige. Aber auch hier kommt wieder ein kleinbürgerlicher Geist zum Vorschein. Denn Dee Dee will meist nur mit seinem Hund spazieren gehen und mit der Freundin rummachen. Nichts nervt ihn so sehr wie der Dreck im Hotel, in dem es überdies noch spuken soll. Die Geister des Punk, die dann keiner der beiden kompromisslosen Lederjacken-Spießer gerufen haben konnte, tauchen aber dann doch in Dee Dees Roman auf. Im Keller des Hotels werden nicht nur blutige Satanisten-Rituale durchgeführt, es spielt dort auch eine Punk-All-Star-Band verstorbener Größen wie Sid Vicious. Johnny spielt da jedenfalls nicht mit, der muss ja die Börsenkurse in der Zeitung studieren. Aber Dee Dee darf mitspielen, bis das Hotel einstürzt und dieses Kapitel der Punkgeschichte unter sich begräbt.

Hans-Dieter Plönberger forscht in dem interdisziplinären Projekt „Value is everything – fuck value!“ über die Möglichkeiten und Grenzen einer wertkritischen Bewegungs-Linken

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