Ein Schritt in Richtung Überwachung

Daten-Spionage Deutsche Politiker empören sich über den US-Geheimdienst NSA, da tritt ihr eigenes Abhörgesetz in Kraft. Die Piraten-Geschäftsführerin Katharina Nocun klagt dagegen
Ausgabe 27/2013

Spätabends im Bundestag passieren wundersame Dinge. Ein paar Abgeordnete von Union, FDP und SPD beschließen eine Änderung des Telekommunikationsgesetzes. Parteiübergreifend ist man sich erschreckend einig, dass Geheimdienste, Polizei und Strafverfolgungsbehörden die Telefon- und Internetnutzer leichter ausspionieren können sollten. Anfang dieses Monats ist das neue Gesetz in Kraft getreten. Doch ob es Bestand haben wird, wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Zusammen mit dem Kieler Piraten-Abgeordneten Patrick Breyer lege ich Verfassungsbeschwerde ein, und mehr als 4.000 Bürger klagen mit.

Es ist eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet mitten in der Debatte um die Geheimdienst-Überwachung aus Übersee ein Telekommunikationsgesetz mit neuen Zugriffsbefugnissen für deutsche Geheimdienste in Kraft tritt. Der zeitliche Zufall bietet die Chance, dass über deutsche Überwachungsgesetze stärker diskutiert wird. Das ist auch dringend nötig.

Im neuen Gesetz geht es um die sogenannten Bestandsdaten bei unseren Telefon-, Mobilfunk- und Internetanbietern. Dazu gehören Name, Adresse, Kontoverbindung, Telefonnummer und E-Mail-Adresse, aber eben auch Passwörter und PUK vom Handy, von E-Mail-Postfächern und Internet-Chatdiensten. All diese Daten können Geheimdienste, Polizei, Bundeskriminalamt und Zoll prinzipiell bekommen. Das Bestandsdatengesetz ändert die Voraussetzungen, unter denen die Sicherheitsbehörden auf die Informationen zugreifen dürfen. Weil elektronische Datenschnittstellen eingeführt werden, sind künftig auch Massenabfragen möglich – zum Beispiel aller Internetnutzer, die sich für eine „verdächtige“ Internetseite interessiert oder nach „anrüchigen“ Wörtern gesucht haben.

Ohne Richterbeschluss

Zudem sind die Hürden für einen Zugriff sehr niedrig. Um Internetnutzer mithilfe der IP-Adresse zu identifizieren, ist kein Richterbeschluss notwendig, der bloße Verdacht einer Ordnungswidrigkeit reicht. Geheimdienste und Bundeskriminalamt dürfen sogar ganz ohne konkreten Verdacht zugreifen. Der Gesetzentwurf ist in vielen Bereichen unklar und lässt weiten Interpretationsspielraum. Es ist kaum abzusehen, welche Dienste davon betroffen sind. Die Behörden werden versuchen, möglichst weitgehend auf die Daten auch bei Internetdiensten wie Facebook zuzugreifen.

Das neue Gesetz ist bezeichnend für den Umgang mit unseren Bürgerrechten seit 2001. Bei der Ausweitung von Zugriffsbefugnissen und Einführung neuer Datenbanken haben sich Rot-Grün, Schwarz-Rot und Schwarz-Gelb die Klinke in die Hand gegeben. Ob Einsatz von Drohnen, Großer Lauschangriff, biometrische Daten in Personalausweis und Reisepass oder der Online-Zugriff US-amerikanischer Behörden auf deutsche Fingerabdruck- und DNA-Datenbanken: Die Selbstbestimmung über unsere Daten ist immer das erste Opfer im „Kampf gegen den Terror“.

Pikant dabei ist: Bereits das rot-grüne Vorgängergesetz zur Bestandsdatenauskunft wurde erfolgreich von Breyer beklagt. Rot-Grün ist an den Vorgaben der Verfassung gescheitert, und Schwarz-Gelb-Rot muss wohl auch von den Karlsruher Richtern zurecht gewiesen werden. Das Beschließen verfassungswidriger Grundrechtseingriffe ist leider keine Besonderheit mehr. Kein Minister würde heutzutage in einem von Karlsruhe einkassierten Gesetz einen Rücktrittsgrund sehen, das ist die eigentliche Schande. Alleine während der Kanzlerschaft Angela Merkels wurden rund 50 Bundesgesetze für verfassungswidrig erklärt. Seit 2001 wird von den Regierungskoalitionen ein permanenter Denial-of-Service-Überlastungsangriff auf Karlsruhe gefahren.

Die Sicherheitsideologie der Politiker macht Bürgerrechtler zu Karlsruhe-Touristen. Gebraucht werden die Bürgerrechtler aber in den Parlamenten. Wir müssen endlich einen Neuanfang wagen, der uns vom Mühlstein der exzessiven und schädlichen Überwachungsgesetze der letzten Jahre befreit. Nur, wer sich nicht ständig beobachtet und überwacht fühlt, kann sich unbefangen und mutig für unsere Rechte und eine gerechte Gesellschaft einsetzen.

Katharina Nocun ist die politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland. Mitklagen kann jeder Bürger unter stopp-bda.de

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