Als Ikone eines trotzigen Rebellentums ist der Meister eigentlich schon seit den frühen siebziger Jahren nicht mehr zu gebrauchen. Da saß man schon landauf landab pfadfinderhaft an Lagerfeuern und jeder, der eine verstimmte Gitarre halten konnte, schrammelte den bekannten Friedens-Song vor sich hin, und der friedensbewegte Jungmensch wiegte sich im großen Konsens-Kollektiv zur sanften Beklagung des Weltelends: The answer, my friend, is blowin´ in the wind ... Was der junge Folksänger Bob Dylan im April 1962 in einem Kaffeehaus ausgebrütet hatte, war zehn Jahre später keine sensationelle Hymne eines neuen Protestbewusstseins mehr - sondern nur noch ein religiös weichgespültes Liedchen zur Erzeugung eines vagen Nicht-Einverstanden-Seins mit Gott u
mit Gott und der Welt.Aber was vermag schon das Genie gegen die Missverständnisse seiner Bewunderer? Seit er im September 1962 binnen weniger Wochen zum Superstar der Folkszene aufstieg, hat sich Robert Allen Zimmerman alias Bob Dylan immer wieder gegen die Eingemeindungs-Bedürfnisse seiner Fans zur Wehr setzen müssen.Als wiedergeborener Erlöser erscheint Sankt Robertus nicht nur seinen Fans, sondern auch seinen Biographen, die trotz aller kritischen und ironischen Verrenkungen immer nur Hagiographien schreiben. Das gilt für Anthony Scaduto, den frühen Biographen, der schon den dreißigjährigen Dylan 1971 in die Unsterblichkeit hob, ebenso wie für seinen deutschen Verehrer Willi Winkler, der jetzt dem Sechzigjährigen ein lustiges Ständchen dargebracht hat. Seine Heiligkeit Bob wird für seine wundersamen Metamorphosen bewundert, für seine Arroganz milde gerügt, für seine - leider zahlreichen - grässlich schlechten Lieder und seine christliche Anwandlungen (bei Winkler) gar harsch kritisiert, aber auf jeder Seite des Textes spricht aus dem Biographen doch ein bußfertiger Pilger, der zu den heiligen Stätten der potentiell unvergesslichen Dylan-Konzerte aufbricht.Wer sich nun ganz ohne Verklärungsblick und jugendbewegte Rührung der Künstlerlegende nähert, kommt manchmal zu dem Befund jener Ohrenzeugen aus der Vorgeschichte des Ruhms, die sich beklagten, dass der junge (und um so mehr der späte) Dylan "ein miserabler Sänger war": "Er hatte als Sänger nichts los", vermelden die Zeitzeugen bei Scaduto, "Mir war immer, als hätte er Polypen, und sollte sie sich rausnehmen lassen." Zum gleichen Phänomen der nasalen und heiseren Stimme des Meisters zitiert Winkler das Nachrichtenmagazin Time: "Seine Stimme klingt, als wehe sie über den Mauern eines Tuberkulosesanatoriums."Damit ist natürlich noch nichts gesagt über die lyrischen Potenzen des Meisters, der sich ja schon früh nicht als Songtexter oder Folksänger definierte, sondern als veritablen Dichter auf der Höhe von Walt Whitman, Arthur Rimbaud und Bertolt Brecht. "Das Entscheidende sind die Texte, Mann", beschied er einen Interviewer, "und nicht die Melodien. Die Melodien sind mir so egal wie nur was." Aber zum Rang des Dichters Dylan werden in den Biographien, wenn sie zum Werk ausnahmsweise Substantielles formulieren, nur Superlative herumgereicht. Der Lyriker Dylan ist offenbar ein Fall für adorierende Dechiffriersyndikate und Doktoranden, die schon seit den frühen Siebzigern im Werk des Meisters nach Offenbarungen suchen. Der eklektische Visionär, der eine ganze Jugendbewegung orchestrierte, wird dann gerne zum "besten Brecht aller Zeiten" (Winkler) nobilitiert, weil er in den frühen Balladen und episch weit ausgreifenden Poemen der Protestzeit die Akteure des Krieges und des kapitalistischen Eroberungswahns unzweideutig benennt. Masters of War beispielsweise wählt den Duktus der direkten Anklage, der einige Jahre später im deutschen Agitprop-Unwesen seine fatalen Triumphe feiern sollte: Kommt, ihr Meister des Kriegs,/ Die ihr all die Kanonen baut,/ All die Flugzeuge des Todes,/ Die tonnenschweren Bomben,/Ihr, die ihr hinter Mauern/ Und Schreibtischen euch versteckt:/ Ich hab hinter eurer Maske/ Euer wahres Gesicht entdeckt. Überhaupt kommen die frühen Songs, die Dylan selbst "Talkings" nannte, als balladeske Erzählungen, bänkelsängernde Moritaten oder schlicht als "Lieder zur Gitarre" daher, wie sie im vor-expressionistischen Deutschland von Wedekind und Brecht eingeführt wurden.Besonders in den epischen Notaten und Begleittexten, mit denen er seine Plattencover schmückte, präsentiert sich der lyrisch ambitionierte Dylan, der zum Beispiel in den freien Assoziationsketten der 11 Outlined Epitaphs (11 Entwürfe für einen Grabstein) eine ehrwürdige Ahnengalerie für sich reklamiert. Von Francois Villon über Brecht, Brendan Behan, Jewgeni Jewtuschenko, Allen Ginsberg bis hin zum "Mysterium von Marlene Dietrich" reicht hier die Versammlung poetischer Energien, die Dylan in seinen eigenen lyrischen Suggestionen konzentrieren und zugleich überbieten will.Und immer wieder verblüfft der Lyriker Dylan, wenn er sich von seinen sentimentalen Highway-Träumereien und Lonesome rider-Phantasien löst, mit den grandiosen Fügungen einer Großstadt-Dichtung, die so tönt, als wolle der Autor die besten Traditionen des Expressionismus beerben. Die Großstadt-Ballade Chimes of freedom (Die Glocken der Freiheit) erscheint wie eine poetische Legierung der Phantasiekräfte Walt Whitmans und Georg Heyms. Eine grandios düstere Phantasie des Untergangs, die hypnotischste von Dylans Dichtungen überhaupt, ist der Song A Hard Rain´s A-Gonna Fall, jenes hundertfach gecoverte und plagiierte Meisterstück aus dem frühen Album The Freewheelin´ Bob Dylan. Das Ich dieses Gedichtes durchwandert ein Traumuniversum voll apokalyptischer Zeichen, um im Refrain immer wieder die Ahnung des bald niedergehenden "schweren Regens" zu beschwören: Ich sah ein neugeborenes Baby, umgeben von Wölfen,/Einen Highway von Diamanten, auf dem niemand zu sehen war,/ Einen Zweig, von dem kohlschwarze Blutstropfen fielen,/ Ich sah ein Zimmer voll Männer mit blutigen Hämmern,/ Eine kalkweiße Leiter, überflutet von Wasser ... Aus dem Stoff solcher Untergangsgesichte war auch Allen Ginsbergs berühmtes Klagegedicht Howl gemacht - mit dem Unterschied, dass Dylan solche Phantasmagorien scheinbar mühelos und am laufenden Band aus dem Ärmel schütteln konnte."Ich wollt´, ich wär Bob Dylan", soll einer der besten amerikanischen Lyriker, der poeta doctus Robert Creeley, einmal geseufzt haben. Zu solch hoffnungsloser Selbstzerknirschung der lyrischen Fachkräfte besteht jedoch kein Grund. Die zahlreichen Liebesgedichte und Minne-Gesänge Dylans sind nicht mehr als konventionell. Zudem haben Schreibkrisen, schlecht kompensiert durch fundamentalistische Kehren und ruinöse Vergeudungen des eigenen Talents, weite Teile des riesigen Oeuvres verheert. Aber es bleiben unter den unsterblichen Liedern und Gedichten doch weit mehr als jene fünf oder sechs "hinterlassungsfähigen Gebilde" übrig, die einst Gottfried Benn den Meistern seines Genres zutraute. Das sollte man nicht vergessen, wenn einem der Meister in diesen Tagen nur noch als ausgebrannte Ruine seiner früheren Genialität erscheint.Bob Dylan: Songtexte 1962-1985. Deutsch von Carl Weissner und Walter Hartmann, Verlag Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2001, 37. Auflage, 1236 S., 30,- DMAnthony Scaduto: Bob Dylan. Die Biografie. Deutsch von Carl Weissner. Verlag Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1976. 486 S. (antiquarisch erhältlich)Willi Winkler: Bob Dylan. Ein Leben. Alexander Fest Verlag, Berlin 2001, 206 S., 49,80 DM
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