Ein stiller Putsch

Ägypten Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob der ägyptische Militärrat jemals ernsthaft daran dachte, sich gänzlich von der Macht zu verabschieden
Kartenverkäufer auf dem Tahrir-Platz – Feldmarschall Tantawi mit seinem Mündel Mubarak
Kartenverkäufer auf dem Tahrir-Platz – Feldmarschall Tantawi mit seinem Mündel Mubarak

Foto: Mohamed Abed/AFP

Er werde seine Machtbefugnisse Ende Juni an den neu gewählten Präsidenten abgeben, hat der Militärrat mitgeteilt. Aber man muss kein Hellseher sein, um zu ahnen, dass sich die Generäle mit dem Ergebnis der Präsidentenwahl nicht abfinden werden. Ihr Wunsch, dass die Vollmachten eines Staatschefs wie die Budgethoheit oder der Oberbefehl über die Armee eingeschränkt werden, könnte die Demokratie voranbringen, wenn die entsprechenden Befugnisse Volksvertretern – etwa einem Parlament – übertragen würden. Aber das wurde gerade kassiert. Ägypten driftet in eine offene Militärdiktatur und wirkt so autokratisch, als wäre der todkranke Hosni Mubarak noch an der Macht.

Offenbar hatten die Obristen geglaubt, dem Parlament mit seiner islamistischen Mehrheit einen Präsidenten nach eigenem Gusto, nämlich Ex-Premier Ahmed Shafik, entgegensetzen zu können. Als sich der Sieg Mohammed Mursis, des Frontmanns der Muslim-Brüder, abzeichnete, konnte Marschall Hussein Tantawi nur noch die Flucht nach vorn antreten und das Parlament auflösen. Damit gerät Ägypten auf eine ähnlich schiefe Bahn wie Algerien 1992, als Wahlen annulliert wurden, weil die Islamische Heilsfront FIS gewann. Was folgte, war ein Bürgerkrieg.

Verfassung als konstitutionelles Fundament unverzichtbar

Der durch die Tahrir-Revolution mögliche Wandel des ägyptischen Staates nahm von vornherein einen prekären Verlauf. Anders als in Tunesien steuerte man auf Wahlen zu, ehe eine neue Verfassung ausgearbeitet war. Das ist insofern ein paradoxer Vorgang, weil Parteien, die nach der alten Magna Charta verboten waren, auf der gleichen Basis nun plötzlich zugelassen wurden. Der Militärrat beauftragte zwar das gewählte Parlament, eine neue Verfassung vorzulegen. Nur blieb unklar, ob das Volk darüber je hätte abstimmen dürfen. Inzwischen heißt es, die Generäle hätten eine Verfassung in Auftrag gegeben – eine lächerliche Ankündigung, denn sie bedeutet nichts anderes, als dass der Militärrat sie schreiben lässt. Sicher werden Verfassungen oft missachtet, doch bleibt ein konstitutionelles Fundament für jede Nation unverzichtbar, allein weil die Suche danach in einen nationalen Dialog münden kann. Dass die große Verfassungsdebatte in Ägypten bisher nicht stattgefunden hat ist kein Zufall, sondern hat mit der Sorge des Militärs zu tun, bereits der Diskurs könnte zu innerer Konfrontation führen. Denn aus islamistischer Sicht wird eine Verfassung gar nicht gebraucht, sie gilt – gemessen an der Scharia – als geringeres Rechtsgut und kann demzufolge leichter als in einem laizistischen System ignoriert werden.

Eher als die Militärs in Kairo können sich offenbar die USA vorstellen, ein Arrangement mit einer islamistischen Regierung zu finden. Außenministerin Clinton drängt am meisten auf die Einhaltung des demokratischen Procedere. In der Tat sind in vielen arabischen Staaten sunnitische Islamisten stets bereit gewesen, den Amerikanern gefällig zu sein. Auch Ägyptens Militär dürfte sich beugen – schließlich wird es von den USA finanziert – und begreifen, dass es sich mit einer demokratischen Fassade viel bequemer herrschen lässt. Das beruhigt das Ausland und lässt die Tahrir-Querulanten ins Leere laufen. Die müssen sich dann nämlich auf den langen Marsch durch die Institutionen machen.

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