Ein Strich im Sand

Finanztransaktionssteuer Der Kasino-Kapitalismus belohnt das Raffen. Eine Steuer auf Wertschriftengeschäfte ist nicht nur moralisch richtig, sie bringt dem Staat auch die nötigen Milliarden

Braucht Deutschland eine Steuer auf Finanztransaktionen? Die Frage ist interessant – wenn man sie ausweitet. Braucht Deutschland neue Steuereinnahmen? Wofür? Was braucht Deutschland überhaupt? Wie kann man das am besten finanzieren?

Zumindest bei der politischen Rechten sind Steuern unbeliebt, weil sie den Staat stärken und weil sie angeblich private Güter verdrängen. Doch bei drei Millionen Arbeitslosen, mindestens ebensovielen Unterbeschäftigten, fünf BIP-Prozent Exportüberschuss und jährlich netto 50.000 Auswanderern allein in die Schweiz kann von Verdrängung keine Rede sein. Deutschland braucht Konsum, Konsum und noch einmal Konsum, nicht nur, um die Arbeitslosigkeit zu verringern, sondern auch, um die chronischen Exportüberschüsse abzubauen, die den Euro-Raum sprengen.

Doch warum hinkt seit bald 30 Jahren in allen Industrieländern der Konsum so weit hinter der rasch wachsenden Produk­tionskapazität her? Zum einen nimmt bei steigendem Einkommen die Bedeutung zusätzlicher Produkte und Dienstleistungen ab. Fünf Minuten mehr Freizeit sind wichtiger als noch ein paar Kubikzentimeter mehr Hubraum im Drittauto. Zum anderen schaffen wir es nicht, die latente Nachfrage nach arbeitsintensiven Dienstleistungen zu wecken. Bei öffentlichen Gütern wie Gesundheit oder Umwelt fehlen die nötigen Steuer­einnahmen zur Finanzierung.

Das traurige Ergebnis dieser Einschränkungen ist ein Teufelskreis: Die Lücke zwischen Produktivität und Konsum schafft Arbeitslosigkeit und drückt die Einkommen der Schwächsten. Das mittlere reale Einkommen aus Arbeit und Kapital der ärmeren Hälfte der deutschen Haushalte ist zwischen 1999 und 2009 um 13 Prozent ge­sunken. Die Gewinne sind allesamt den reichsten fünf Prozent zugeflossen.

Rücktransfer von Kaufkraft

Deutschland konsumiert also weit unter seinen Verhältnissen, weil die Versorgung mit öffentlichen Gütern nicht finanziert wird und weil die zunehmende Ungleichheit den Konsum von privaten Gütern hemmt. Diese Misere kann nur mit einem massiven und dauerhaften Rücktransfer von Kaufkraft von ganz weit oben nach unten behoben werden. Steuern können dazu einen kurzfristig wirksamen Beitrag leisten. Der Wiener Ökonom Stephan Schulmeister hat ausgerechnet, dass eine Steuer von 0,05 Prozent auf allein in Deutschland getätigte Wertschriftengeschäfte jährlich 30 Milliarden Euro einbringen würde. Immerhin. Nur schon ein Viertel Prozent Marge auf alle Finanztrans­aktionen brächte 150 Milliarden Euro Gewinn. Dafür müssen sämtliche deutschen Arbeit­nehmer fast anderthalb Monate arbeiten.

Der Kasino-Kapitalismus belohnt nicht das Schaffen, sondern das Raffen – und untergräbt so den sozialen Zusammenhalt. Eine Steuer auf Finanztransaktionen setzt somit genau den richtigen Hebel an – fiskalisch und moralisch. Doch was, wenn London, die Schweiz oder die Bermudas nicht mitziehen? Dann sind wir am Kern des Problems: Die Reichen sparen Löhne und Steuern, weil sie die Staaten gegeneinander ausspielen können. Irgendwann muss ein Strich in diesen Sand gezogen werden. Am besten gleich hier!

Werner Vontobel, Volkswirt und Journalist, arbeitet in der Schweiz

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