Ein Totengräber als Messias

Belgien Nach den belgischen Parlamentswahlen scheint das Land einer maßvollen, aber unaufhaltsamen Erosion entgegen zu sehen

Die Situation hat etwas von einem déjà vu: eine flämische Partei landet einen überwältigenden Wahlsieg dank einer Kampagne, die dem nördlichen Teil Belgiens mehr Autonomie bringen soll. Die Hoffnungen, die auf den Mann an ihrer Spitze gesetzt werden, sind beachtlich bis bedenklich. Im katholischen Flandern ist man empfänglich für Heilsbringer, die das vermeintliche Joch der verhassten belgischen Föderation abschütteln wollen. Messias, stöhnt das geschundene Volk, erlöse uns von den Frankophonen!

Vor drei Jahren war es Yves Leterme, der in dieser Rolle steckte, ein Christdemokrat, der keinen Hehl daraus machte, mit Belgien nicht mehr sonderlich viel vorzuhaben. Nun ist es Bart de Wever von der Neu-Flämischen Allianz (N-VA). Letermes Mission hieß: den Staat reformieren, mehr Macht den Regionen – das war sein Credo. De Wever will das auch, doch nur als Zwischenschritt: Er will Belgien, nun ja, nicht abschaffen, er baut darauf, dass es sich von selbst auflöst, wenn man der Föderalregierung nur genug Kompetenzen entzieht – „Evolution, nicht Revolution!“

Die Radikalisierung der politischen Kultur in Flandern ist evident. Der Aufstieg de Wevers resultiert aus der Pleite Letermes, der seine Versprechungen nie halten konnte. Die Frankophonen nämlich weisen diese Agenda zurück und tun das um so geschlossener, je lauter der flämische Löwe brüllt. Yves Leterme scheiterte, weil die Forderungen, die im Norden des Landes Konsens sind, einen Kompromiss mit den Frankophonen verhindern. Die frappierende Konsequenz ist nun eine noch stärkere Dosis Nationalismus.

Die N-VA – diese Differenzierung tut not – ist nicht der Vlaams Belang, der in der flämischen Neonazi-Szene wurzelt. Sie ist nationalkonservativ, sie pflegt ein reaktionäres Konzept kultureller Hegemonie, doch sie ist nicht rassistisch und vor allem demokratisch. Das bedächtige Auftreten, das Bart de Wever nach dem Wahlsieg zeigt, passt zum anvisierten sanften, quasi-natürlichen Ende Belgiens. Diese Aussicht ist nicht neu, sondern Resultat fortschreitender Regionalisierung seit vier Jahrzehnten. Nun steht die Vollendung bevor. Die N-VA könnte Belgiens Totengräber werden.


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