Mitte der sechziger Jahre kehrt Dariusch Aryana heim nach Teheran, wo er über vierzig Jahre zuvor geboren wurde. Aber als Junge ging er bereits ins Ausland und da ist er geblieben – im Libanon, in Frankreich, England oder Amerika.
Es war eine unbestimmte Sehnsucht, die ihn zurückehren ließ. Dariusch Aryana weiß nicht einmal mehr, ob er noch Familie im Iran hat. Und um die Wahrheit zu sagen: Beim Schreiben auf persisch unterlaufen dem gebildeten Man schon mal einige orthographische Fehler. Er hat den Kontakt verloren zum Land seiner Eltern und seiner Herkunft.
Er durchstreift die Stadt, und je mehr er begreift, wie die Dinge hier laufen, umso fremder fühlt er sich. Dazu kommt noch ein besonderes Unglück: Er hat seinen iranischen Personalausweis verloren
weis verloren – nicht nur der letzte Beweis seiner iranischer Abstammung, sondern auch ein notweniges Papier, um wieder ausreisen zu können. Und das will Dariusch Aryana bald.Auf diese Weise lernt er die iranische Bürokratie kennen. Die hat nichts mit einer funktionierenden Verwaltung zu tun, sondern besteht ausschließlich aus so korrupten wie faulen Amtsträgern, die ölige Phrasen der Dienstbarkeit und Beflissenheit dreschen, doch meist allein in die eigenen Taschen wirtschaften. Bestenfalls sind sie bloß inkompetent.Diese Bürokratie ist auch für jeden Einheimischen ein Problem, aber man weiß sich zu arrangieren. Doch Dariuschs Auftreten sorgt für eine verschärfte Verwinkelung der Problempfade im Amtslabyrinth. Statt hier ein kleines Bakschisch zuzustecken, statt sich dort auf die erfundene Bekanntschaft mit einem General zu berufen oder selbst auf der Klaviatur blumiger Ergebenheitsadressen zu spielen, gibt er sich als moderner aufgeklärter Bürger, der seinen Anspruch auf staatliche Dienstleistung reklamiert.Auf seiner Reise durch die Gänge einer grotesken Administration gelangt Dariusch schließlich in die höchsten Kreise, wird gar Zeuge einer wundersamen Demokratisierung, für die der amtierende Ministerpräsident einen guten Bekannten zum Führer der Opposition ernennt.Dariusch Aryana ist angewidert und beruft sich wütend auf moderne amerikanische Verhältnisse – bis ihn jemand fragt, wie er denn erklären könne, dass ausgerechnet seine hochgeschätzten Amerikaner die tragende Säule des gegenwärtigen Regimes seien, eines so lächerlichen wie brutalen Regimes.Teil der HeimatDoch im Modernitätsbewusstsein von Dariusch zeigen sich noch andere Risse. Irgendetwas an diesem Land, dessen Verhältnisse ihm so unerträglich sind, berührt ihn auch tief innen – nicht zuletzt eine einfache Frau, mit der er betörende Nächte verbringt.„Ist es wirklich von Belang, dass sie kein Vergnügen hat an der Musik, die mir gefällt, den Büchern, die ich lese, den Unterhaltungen, die mich erfreuen? Sie gibt mir das Gefühl der Erdverbundenheit, der Nähe zu meiner Vergangenheit, wie es keine intellektuelle Anregung vermag. Vielleicht sollte ich, wenn ich ins Ausland gehe, eine iranische Frau mit mir nehmen, vielleicht sogar diese Safura. Wenn ich sie mitnehme, nehme ich einen Teil meines Heimatlandes mit, und jedes Mal, wenn ich Heimweh bekomme und mich nach Rückkehr sehne, werde ich in sie eindringen, sie ansehen und meine ganze Traurigkeit, meine Einsamkeit, meine Sehnsucht an ihr stillen, bis die Leere sich füllt und ich ein wenig Trost empfinde.“Dieser Roman ist durch die Entwicklung der letzten Jahrzehnte eher noch aktueller geworden. Er handelt von Migration, von Heimat und Heimatverlust, von Identitäten und Verlust von Identitäten. Es ist zum Teil die Geschichte von Fereidoun Esfandiary selbst: Der iranische Schriftsteller Fereidoun M. Esfandiary wurde 1930 in Brüssel als Sohn eines iranischen Diplomaten geboren. Er wuchs in England, Iran, Afghanistan und Indien auf. Esfandiary war Schriftsteller, Diplomat, Dozent. Später hat er sich den Namen FM-2030 gegeben.Einerseits in der Hoffnung, 100 Jahre alt zu werden, andererseits sah er in den konventionellen Namen die Festschreibung einer Person, in Hinblick auf Herkunft, Volkszugehörigkeit, Nationalität und Religion. Esfandiary sagte: „Ich bin nicht der, der ich vor zehn Jahren war und gewiss nicht der, der ich in 20 Jahren sein werde. ... Der Name 2030 spiegelt meine Überzeugung wieder, dass die Jahre um 2030 eine magische Zeit sein werden. ... 2030 ist ein Traum und ein Ziel.“ Esfandiary starb im Jahre 2000 in den Vereinigten Staaten, und im Moment sieht es nicht so aus, als ob um 2030 eine magische Zeit anbricht. Doch seine Romane sind aktueller denn je.Das Erschreckendste an diesem wunderbar präzisen Roman ist, dass sich in den letzten Jahren an der Wahrnehmung zwischen den Kulturen wenig verbessert hat – im Gegenteil: wahrscheinlich ist die Lage noch viel schwieriger geworden. Die religiösen und kulturellen Differenzen werden heute in hohem Maße politisch instrumentalisiert.Da ist Esfandiary schon einen Schritte weiter. So unerbittlich er die iranischen Verhältnisse darstellt, so klar macht er, dass der verächtliche Blick der westlichen Moderne wenig versteht und noch weniger hilft. Esfandiarys Roman ist geradezu ein Lehrbuch über den Umgang mit den enormen zivilisatorischen Brüchen auf Erden. Das Buch ist weise, nicht weil es Lösungen anbietet, sondern weil es die Probleme im zerrissenen Herzen eines Menschen zeigen kann.In einer kurzen Vorbemerkung schreibt Esfandiary, dass das Manuskript des Romans auf einem Teheraner Postamt abgefangen und konfisziert worden sei. Nur dem Fleiß eines Kopisten ist es zu verdanken, dass das Buch schließlich 1966 in den USA erscheinen konnte. Es ist die Zeit des Schahs von Persien, der – wie man sich heute noch sorglos erinnert – ein guter Freund des Westens war, obwohl er der Herrscher über ein grausames Reich von Folter und Repression war.Und was den Roman so scheinbar von der Gegenwart entfernt, macht ihn in Wahrheit nur aktueller. Denn wir erkennen spezifische iranische Traditionen, die das Reich des Schahs mit dem Reich des Mullahs bei aller behaupteter Gegensätzlichkeit verbindet – und wir erkennen an diesem Beispiel wie korrupt die politische Moral des Westens ist. Was bleibt sind die Brüche, die auf beiden Seiten immer mehr zur Liegenschaft der Hassprediger werden.
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