Ein Traumspiel in Berlin

Bühne Die Berliner Bühnenlandschaft gleicht derzeit einer mittelgroßen Baustelle. Das ist - in Anbetracht des Unfugs, der gelegentlich zu lesen ist, sei es ...

Die Berliner Bühnenlandschaft gleicht derzeit einer mittelgroßen Baustelle. Das ist - in Anbetracht des Unfugs, der gelegentlich zu lesen ist, sei es betont - im Wortsinn zu verstehen: Die Staatsoper und die Volksbühne werden ab beziehungsweise in dem kommenden Jahr renoviert. Diese Maßnahme wollte das Deutsche Theater just in diesen Tagen abgeschlossen haben: Laut Planungen sollte nur eine Lüftungsanlage installiert werden, doch dann fand man Asbest. Weil die Sanierung dauert, hieß eine der dringlichsten Aufgaben des Interimsintendanten - der alte ging im letzten Sommer, der neue kommt im nächsten -, alternative Spielstätten zu suchen. Fortune, vorsichtig gesagt, hat er dabei nicht bewiesen.

Eines der "Fundstücke" zum Ausweichen ist ein monolithischer Betonklotz mit Zuckerbäckerfassade am Ostbahnhof, der einst als Heizwerk diente und heute den Techno-Club Berghain beherbergt. Der äußere Eindruck von Größe steht jedoch in krassem Missverhältnis zur Enge, die im Inneren tatsächlich herrscht: Der Saal ist so klein, dass kaum 200 Zuschauer Platz finden, und als Bühne dient ein Podest, das von Betonpfeilern zerstückelt wird. Als Spielfläche bleibt ein schmaler Streifen fast ohne Tiefe, aber von eklatanter Höhe, die sich bis unters weit entfernte Dach erstreckt. Hier zeigt das DT bis Jahresende Ein Traumspiel von August Strindberg, ein 201 Jahre altes Stück, das als surrealistisch avant la lettre gilt, weil es in einer wirren Szenenfolge von einer Göttertochter berichtet, die auf der Erde in Erfahrung bringen will, was es heißt, ein Mensch zu sein.

Als Regisseur verpflichtete das DT den Australier Barrie Kosky, der vor allem Musiktheater inszeniert und 2012 die Leitung der Komischen Oper in Berlin übernehmen wird. So kommt es nicht eben überraschend, dass Kosky auch bei dieser Arbeit auf die Ausdrucksmöglichkeiten der Musik vertraut, hier vor allem Madrigale des Engländers John Dowlands, vorgetragen vom Vocalconsort Berlin, das von einem Chor verstärkt und von drei Instrumentalisten begleitet wird. Ein möglicher Zugewinn deutet sich zu Beginn des Abends an, als weiß geschminkte Schatten ins dämmrige Neonlicht treten und zur Laute ein Lied über "des Todes Ebenbild" anstimmen. Ehe sich die moribunde Stimmung breit machen kann, wird sie jäh unterbrochen - hier vom Klingeln eines Telefons.

Die Annahme, der Aufeinanderprall von Gegensätzen habe strategische Funktion, erweist sich jedoch als falsch, sobald Agnes (Stefanie Eidt) auftritt. Im gelben Kleid und schwarzen Stiefeln von allen anderen unterschieden (Kostüme: Klaus Bruns), wohnt sie dem Geschehen zunächst passiv bei. Je mehr sie sich ins echte Leben wirft, desto mehr gerät Agnes´ Kleidung in Unordnung, bis sie schließlich lehmverschmiert und mit wirrem Haar zitternd vor einem Betonpfeiler kauert. Die Musik, mit dem Text ziemlich im Gleichgewicht, bezieht zur platten Bildlichkeit keine Gegenposition, sondern verstärkt sie bis zur Mystifizierung, weil sich Chor und Sänger in wechselnden, aber nur vermeintlich surrealen Kostümen am Spiel beteiligen oder es bedeutungsvoll kommentieren, indem sie ihren Standort an der Rampe oder auf der Galerie im ersten Stock beziehen. Von dort - von oben herab - muss auch Sven Lehmann als herrischer Gatte Agnes an ihre Pflichten als Mutter und Ehefrau erinnern.

Anzulasten sind solche Seichtheiten weder den Musikern noch den Darstellern: Sie alle belegen, dass sie ihr Handwerk unbedingt verstehen. Das dürfte auch für den Regisseur gelten, der allerdings hätte bemerken können, dass der Abend mit deutlich über zwei Stunden deutlich zu lang geraten ist. Dessen eigentliches Problem aber steckt in der alten Binsenweisheit, dass Theater extrem vom Raum abhängig ist, in dem es spielt. Und wenn eine Aufführung wie Ein Traumspiel in Erinnerung ruft, dass nicht jeder Raum geeignet ist, ist das durchaus ein Verdienst.

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