Aromatisiert mit einem Extrakt von Zubrowka, dem duftenden Kraut, das von den europäischen Bisons geliebt wird", steht auf der Wodkaflasche, die ich im Duty-Free-Shop von Krakau auf Rat von Barbara Andrunik, Mitarbeiterin bei der Schweizer Kulturstiftung Pro-Helvetia, noch kaufte, bevor ich Ende September 2002 wieder nach Zürich zurückflog. Das Lieblingsgras der europäischen Bisons schmeckt nach Marzipan, der polnische Wodka, der nach ihm Zubrowka genannt wird, ist innerhalb eines einzigen Abends in Krakau zu meinem Lieblingswodka avanciert, und von Wodkas, das immerhin darf ich behaupten, kenne ich nicht wenige. Dass es allerdings irgendwo in Europa noch Bisons geben soll, ist mir neu, so wie mir nach meinem Besuch in Krakau vieles neu war. Denn den sogenannten Osten k
n kannte ich bisher kaum. Ich kannte Berlin, Paris, London, Rom, Wien, New York, Hongkong und ein paar weitere Städte, die nach Millionen klingen, den Osten aber kannte ich einzig von einer eintägigen Fahrt nach Budapest und Budapest hatte ich an jenem Tag nicht unter irgendwelchen "ostalgischen", sondern einzig unter k.u.k-nostalgischen Blickwinkeln wahrgenommen.Die Ost-West-Debatte, wie sie in Deutschland tagtäglich geführt wird, ist in meinem schweizerischen Leben eine Marginalie. Natürlich las ich im Gymnasium Plenzdorf und Christa Wolf, natürlich saß ich amüsiert in Leander Hausmanns Film Sonnenallee und dachte: "Aha, so also war das? Klasse." Natürlich verehre ich den Ex-DDR-Theaterregisseur Frank Castorf und habe regelmäßig schlaflose Nächte, weil ich mich nicht entscheiden kann, welches Theater das bessere ist, Castorfs Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Ex-Ost-Berlin oder Marthalers Zürcher Schauspielhaus. Aber sonst macht mir der Osten keine großen Sorgen. Als ich deshalb in Krakau gefragt wurde, wie gut ich Osteuropa kennen würde, sagte ich, östlicher als bis Budapest wäre ich noch nie gekommen, Krakau würde mir schon sehr weit weg vorkommen, und ich wunderte mich, dass mich alle so komisch anschauten. Budapest und Krakau, so habe ich dann zu meiner Beschämung festgestellt, befinden sich beide sehr nah am zwanzigsten östlichen Längengrad.Aber ich wurde ja auch nicht wegen meiner geografischen Un-Kenntnisse nach Krakau eingeladen, sondern weil ich gelegentlich auch als junge deutschsprachige Autorin gelte. Im Normalfall bedeutet dieser Teil meines Lebens, dass ich an irgendeinen mäßig attraktiven Ort reise, das heißt vielleicht ist der Ort ja sogar attraktiv, aber ich komme abends an, immer bei Regen, suche das Veranstaltungslokal, das Hotel, lese, beantworte Publikumsfragen, esse etwas mäßig Attraktives mit den Veranstaltern, die ich nie mehr in meinem Leben wieder sehen werde (meistens auch nicht mehr sehen möchte), fahre nach Hause oder übernachte und fahre dann nach Hause.Manchmal allerdings erlebt man auch Ausnahmen, und Krakau war eine davon. Als ich also eines Tages im September am Flughafen Kloten vor dem LOT-Schalter stand um mein von der Pro Helvetia Krakau reserviertes Flugticket abzuholen, begrüßte mich die polnische LOT-Hostesse mit einem "Ach, Sie müssen Frau Meier sein. Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Flug nach Krakau!", noch bevor ich überhaupt einen Ton gesagt hatte.Als Journalistin war ich natürlich vom Eifer getrieben, irgendetwas aufzudecken, die maroden Strukturen der Pro Helvetia Krakau beispielsweise, ihre vollkommen mafiösen Verstrickungen mit dem Goethe Institut Krakau, ihre devote Abhängigkeit von den privilegierten Kulturmagistraten, die in der Villa Decius, etwas außerhalb von Krakau, residieren. Denn Kulturstiftungen, so hatte ich mir bisher immer gedacht, Kulturstiftungen müssen absonderlich anachronistische Maschinen zur Verschleuderung von Steuergeldern sein. Doch nun fand sich da nichts Böses. Da fanden sich in all den Büros unfassbar freundliche, hervorragend ausgebildete, überwiegend weibliche Fachkräfte, die jeden Winkel der Stadt Krakau und der polnischen Kultur- und Literaturgeschichte zu erklären wussten und überdies ab 14 Uhr nachmittags zu den abgefeimtesten Wodkatrinkerinnen wurden, die ich je kennen gelernt habe.Dazu kamen unsere Lesungen - wir, das waren Heike Geissler, Juli Zeh und ich - die drei Abende hintereinander in vollen Lokalen stattfanden, und dies, obwohl wir auf Deutsch lasen. Uns wurde eine professionelle Betreuung zuteil, für die man in Deutschland und in der Schweiz weit mehr getan haben müsste, als ein erstes Buch zu publizieren, das Krakauer Publikum nämlich wurde mit Kopfhörern und einer Simultanübersetzung während der Lesung und der noch einmal mindestens ebenso lange dauernden Diskussion ausgerüstet, die Diskussionen selbst waren so gründlich vorbereitet, als müssten die betreffenden Moderatorinnen mindestens eine Magisterarbeit über unsere Bücher schreiben. Mir wurde die Chefredakteurin der einzigen feministischen Zeitschrift Polens zugeteilt, eine sehr nette Frau, die mein Buch zu meiner großen Freude erstens als Meilenstein der feministischen Literatur interpretierte und sich zweitens ungeheuer komplexe Fragen ausgedacht hatte.Unsere Lesungen standen im Rahmen des SZUM, eine rätselhafte Abkürzung, hinter der sich folgendes versteckte, ich zitiere: "Ein Programm, das von dem Nürnberger Haus in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Inter Nationes Krakau, der schweizerischen Kulturstiftung Pro Helvetia und der Villa Decius vorbereitet wird." Das SZUM beinhaltet "einen Deutschsprachkurs, einen Übersetzerworkshop, ein Seminar für Deutschlehrer an Lyzeen, einen Workshop für junge polnische Literaturkritiker (der unter anderen von der Zürcher Kritikerin Gunhild Kübler geleitet wurde) und eine Reihe von Lesungen, welche die Generation der deutschsprachigen Schriftstellerinnen, die in den siebziger Jahren geboren sind", dem polnischen Publikum näher bringen sollten. Die Veranstaltung konnte also mit dem Prädikat "wertvoll" versehen werden.Das sentimentale, ja schon beinah religiöse Gefühl ungläubiger Dankbarkeit, das mich in diesen drei Tagen Krakau erfasste, lag wohl an den anhaltenden Wodkadegustationen und nicht an jener legendären Wiese vor Krakau, auf der jedes Jahr der Papst predigt. Und es lag, neben der Gastfreundschaft und der schönen Stadt, vor allem an der Tatsache, dass ich in Krakau seit langem wieder einmal Leuten begegnete, die Literatur ernst nahmen. Die ihr eine Verantwortung und Aufgaben zuschrieben, und - pardon - Popliteratur Kacke finden. Die alle ihren Houellebecq gelesen haben und ihn für überflüssig halten. Die Ansprüche stellen und ihr Interesse an der Literatur nicht auf den Unterhaltungswert oder die Model-Qualitäten einer Jungautorin abgestellt haben.Das Berührendste, was ich in dieser Beziehung erlebte, war eine ganz kleine Begebenheit: Ein Mann steigt aus einer schwarzen Limousine. Die Limousine hielt vor einem Kaffee, dem "Camelot", in dessen Kellertheater am nächsten Tag die Lesung von Juli Zeh stattfinden sollte, und ich hätte sie nicht weiter beachtet, wenn Barbara Andrunik nicht mit einem Ausdruck tiefster und aufrichtigster Bewunderung den Namen "Milosz" gehaucht und den Blick nicht mehr von dem schwarzen Wagen abgewandt hätte. Polen ist das Land mit zwei lebenden Literaturnobelpreisträgern, Czeslaw Milosz (1980) und Wislawa Szymborska (1996), und der Zufall wollte es, dass Czeslaw Milosz an jenem Nachmittag neben dem "Camelot" zu einer Gedenkfeier an seine verstorbene Frau gefahren wurde. "Milosz" hauchten plötzlich all die jungen Polinnen und Polen, die vor dem "Camelot" unter großen zu Regenschirmen umfunktionierten Sonnenschirmen saßen, und das war ein großer, ungewöhnlicher Moment. Oder können Sie sich vorstellen, dass in Zürich die versammelten Gäste einer In-Bar völlig ergriffen "Muschg" oder "Loetscher" flüstern würden? Ich nicht.Simone Meier, geboren 1970 in Lausanne, lebt als Journalistin und Autorin in Zürich. 2000 erschien ihr erster Roman Mein Lieb, mein Lieb, mein Leben.
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