Ein Waschbär erzählt

Literatur Thomas Brussigs Roman „Die Verwandelten“ ist vor allem Trash-Comedy
Ausgabe 32/2020
Mögen Müll und manchmal Menschen: Waschbären
Mögen Müll und manchmal Menschen: Waschbären

Foto: ITAR-TASS/Imago Images

Einmal gibt es im neuen Roman von Thomas Brussig eine Anspielung auf die deutsche Teilung. Die Waschbärenpopulation war, so Brussig, geteilt in „Ausgesetzte“ und „Ausgebombte“. Im Westen wurden die Waschbären, die ja keine originär europäische Spezies sind, sondern aus Amerika „eingeschleppt“, in einem Naturschutzgebiet ausgewildert, im Osten befreiten sie sich nach einem Bombentreffer 1945 aus einer Pelztierfarm selbst. Weiter verfolgt er das Thema, mit dem er in Helden wie wir von 1995 einen Riesenerfolg hatte, nicht. Muss er auch nicht. Jetzt ist er auf die Waschbären gekommen.

Wenn zwei Menschen sich in Waschbären verwandeln, dann blinkt für Sekunden der Name Kafka im Kopf auf. Was bei Kafka die rätselhafte Verwandlung in ein Riesen-Ungeziefer ist, ist bei Brussig die Folge eines, sagen wir: Unfalls. Fibi und Aram fällt im Internet eine Verwandlungsanleitung in die Hände. Sie gehen mit ihr in eine Autowaschanlage, essen wie vorgeschrieben gesammelte Beeren und sind – Waschanlage und Beeren – Waschbären. – Ein urst komischer Gag!

War sein Roman Helden wie wir wegen der Mischung aus Witz und Aberwitz, Ironie und Satire, aus Günter Schabowski und Christa Wolf ein selbstbewusster, intelligenter Schelmenroman, so ist Die Verwandelten eher Trash-Comedy. Als erste Nachrichten von der wundersamen Verwandlung aus Mecklenburg, wo es passiert ist, in die Hauptstadt dringen, reisen die unvermeidlichen Medien an. Beispielsweise in Gestalt eines mageren Mittdreißigers, „der wegen seines grau-grünen Hauttons auf Wiebke wirkte wie eine Scheibe Bierschinken, die außerhalb des Kühlschranks übernachtet hatte“. Er stellt sich als Produktionsleiter vor und betritt forsch das Haus eines der Verwandlungsopfer, als wäre es seins. Im Roman heißt er von nun an nur noch „Bierschinken“.

Nur kurz hatte Fibis Vater nach der Anleitung zur Verwandlung in einen Waschbären geforscht. In der Hoffnung, dabei auf das Rezept zur Rückverwandlung zu stoßen. Das bleibt erfolglos, und schnell finden sich alle mit der neuen Waschbären-Realität ab. Die Handlung schwenkt um auf Medienkritik. Die Intendantin des TV-Senders, der auch das Dschungelcamp produziert, trifft ein und bietet Fibis Eltern zehn Millionen, wenn sie mitspielen. In der Summe ist enthalten, dass Fibi als sprechender Waschbär eine Talk-Show übernimmt. Die größten Stars drängen sich bald in Fibis Show: Tom Hanks, Lady Gaga und David Beckham. – Thomas Brussigs Erzählen tritt auf der Suche nach Humor gern mal über die Ufer und kommt aus dem literarischen Fahrwasser.

Will Brussig in seinem Roman die Medienwelt vorführen? Für den Schriftsteller schien nach 30 Jahren Mauerfall und deutscher Einheit vor allem ein Themenwechsel geboten. In Die Verwandelten lässt er nun die britische Singer-Songwriter-Ikone Ed Sheeran in die Handlung einfliegen, der Sänger und Fibi gestehen sich ein, Produkt der Unterhaltungsindustrie zu sein. Fibi weiß allerdings, dass sie nur zufällig etwas Besonderes ist. Warum aber Brussig diesen Move macht, bleibt so unbestimmt wie die Verschiebung der Handlung in die Zukunft.

Warum muss der Roman zwischen dem 13. August 2023 und 26. September 2026 spielen? Deutet sich hier das bevorstehende Armageddon an, das Jüngste Gericht? Sicher nicht. Auf solche Feinheiten will Thomas Brussig nicht hinaus. Er lässt einen seiner zwei Waschbären zehn Seiten vor dem Ende vom Auto überfahren, um ihn aus dem Roman zu kriegen. Ein bisschen Jüngstes Gericht ist dann doch im Spiel. Denn Fibi hofft auf ein zweites Wunder: Arams Rückkehr aus dem Totenreich: „Es gibt nichts, was ich meinem kleinen frechen Bruder nicht zutraue.“ Das wäre der Gag für einen zweiten Teil des Romans, den es hoffentlich nicht gibt.

Info

Die Verwandelten Thomas Brussig Wallstein-Verlag 2020, 328 S., 20 €

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