Ein weiterer Schwachpunkt ist natürlich die Bürste

Alltag "Die Welt zu Gast bei Freunden" verspricht das Motto der Fußball-WM. Einlösen muss es die Dienstleistungsbranche. Deutschland übt die Freundlichkeit - eine Tatsachenreportage

"Wir spielen das jetzt mal durch!" Herr Herzberg blickt aufmunternd in die Runde. "Wer möchte den Anfang machen?" Im Raum der Verkehrsakademie der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) im Bezirk Wedding herrscht Schweigen. Die Männer in blaugelber Uniform sitzen in Hufeisenform um das Lehrerpult herum und starren auf die Bücher, die vor ihnen auf den Tischen liegen: Englisch in Bus und Bahn steht auf den Umschlägen. "Na, so schwer ist es nun auch nicht", versucht Herr Herzberg, der hier festangestellt ist, um etwa Fahrstunden für Omnibusfahrer zu geben, seine Schüler zu ermuntern. Endlich meldet sich ein Beamter mit Schnauzer und Brille zu Wort: "Gut, ich mach´s." Von seinen Kollegen erntet er dafür anerkennende Blicke. "Sehr schön", findet auch der Lehrer, "dann kann´s ja losgehen: Hello, can you help me, please?" Mit einem freundlichen Lächeln sieht er zu seinem Schüler hinüber. "Yes", sagt der kurz angebunden. "How do I get to the Olympiastadion from here", fragt ihn Herr Herzberg. Die Antwort kommt nur zögernd: "You must go to the station, you go, you take....äh, mmmh, ähhhhh." Dann weiß der Beamte nicht weiter. Er starrt auf die grüne Tafel hinter dem Lehrerpult. Dort stehen Sätze wie: "Sorry, I don´t understand", "Can you say it more slowly, please?" oder "Can you say it again?" Die aber helfen jetzt nicht weiter. Der Beamte hat die Frage des Lehrers zwar verstanden. Aber beantworten kann er sie nicht. "Englisch, das ist gar nicht so einfach", kommentiert er seinen ersten Versuch im Crash-Kurs "Englisch für BVG-Beamte". Ein Kollege kommt ihm zur Hilfe: "You go at Zoo and take number zwo." Er kann die Wörter beinahe fehlerlos aussprechen. Nach kurzem Innehalten fällt ihm ein, dass "zwo" auf Englisch "two" heißt. Schnell wiederholt er den Satz noch einmal korrekt. Der Lehrer nickt. Er ist zufrieden. Das Vokabular wolle man ohnehin begrenzen, sagt er. Mit ein bisschen Übung könnten die Beamten bald das Gröbste meistern und auch ausländischen Gästen Auskunft geben.

Auf dem Parkplatz vor der Akademie ist eine Gruppe von BVG-Beamten in eine andere Art von Rollenspiel vertieft. Fünf Männer stehen vor einem leeren Omnibus, dessen Türen offen stehen. Der Seminarleiter gibt Anweisungen: "Ihr drei guckt zu. Peter, du bist der Fahrgast. Und Hans, du machst den Busfahrer. Dieses Mal so, wie es nicht sein soll: Schön unfreundlich, ok?" - "Klar, wenn ich das hinkriege", scherzt Hans. In seiner BVG-Uniform stiefelt er in den Bus und setzt sich auf den Fahrersitz. Peter streift sich eine Lederjacke über und wartet vor dem Einstieg. Dann deutet der Seminarleiter mit einer Handbewegung an, dass die beiden mit der Szene beginnen sollen. Peter stellt einen Fuß in den Bus: "Hallo. Ich kenn mich hier nicht aus, bin ganz fremd und muss zum Olympiastadion", sagt er im Klageton. Hans reagiert nicht. Er guckt nur gelangweilt aus dem Fenster. Erst nachdem Peter seine Frage wiederholt hat, rührt er sich: "Was isn los", blafft er ihn an. Der Kollege wiederholt seine Frage. Jetzt motzt Hans los: "Also, das müssen sie selber nachschauen. Ich kann doch nicht jedem Fahrgast hier seinen individuellen Fahrplan zusammenstellen. Da kommen wir ja niemals irgendwo an. Und jetzt steigen sie ein, ich will los." "Aber, aber", wimmert Peter, "was sind Sie denn so unwirsch?" "Los, machen Sie, dass Sie reinkommen", brummelt Hans weiter. Als Peter einen 50-Euro-Schein herauszieht, ist endgültig Schluss: "Mach ich nich´. Kann ich nich´. Will ich nich´." Gerade will Hans weiter pöbeln, als der Seminarleiter die Szene auflöst. "Und, wie habt ihr euch nun gefühlt", will er von den Darstellern wissen. "Schlecht", finden beide. Hans mache diese Art von Verhalten depressiv und missgelaunt. Bei Peter hätten sich ähnliche Symptome gezeigt. Schnell ist man sich einig. Das Verhalten eines Busfahrers, wie es in diesem realitätsfernen Fall gezeigt wurde, ist nicht gerade konstruktiv. "Nun wollen wir mal herausfinden, wie das im nächsten Fall ist", schlägt der Seminarleiter vor. Die Szene wird wiederholt. Peter mimt noch einmal den Jammerlappen: "Es ist mir ein bisschen peinlich, aber ich muss zum Olympiastadion!" Er steht an der Fahrertür und sieht zu seinem Kollegen Hans hinüber. Der zeigt nun sein schönstes Lächeln: "Aber, das muss Ihnen doch nicht peinlich sein! Steigen Sie ein, ich nehme Sie mit", flötet er. "Aber ich habe nur 100 Euro", klagt Peter und wühlt verzweifelt in seinem Geldbeutel. "Das kriegen wir schon hin", trällert Hans weiter, "kommen Sie erst mal rein, zusammen schaffen wir es schon." "Ja, gerne." Peter lächelt selig und steigt ein. Nach der Analyse des zweiten Rollenspiels steht für die Beamten fest: Wie man in den Wald hinein ruft, so tönt es auch heraus. Freundlichkeit und guter Service sollen jetzt großgeschrieben werden bei der BVG. Die Fußballweltmeisterschaft steht vor der Tür. "Unsere Fahrer sollen sich in die Rolle des Gastgebers versetzen", erklärt Herr Schimmelpfennig, Leiter der Verkehrsakademie. "Es ist wichtig, gut vorbereitet zu sein. Denn wenn jemand zu Besuch ist, will man gut dastehen."

Damit liegen die Berliner Verkehrsbetriebe voll im Trend. In der gesamten Stadt dreht sich plötzlich alles um Freundlichkeit und guten Service: Wie andere deutsche Städte ist Berlin im WM-Fieber. Sogar eine eigene Kampagne mit Namen "Service in the City" wurde initiiert. An den Werbeflächen hängen Plakate mit grinsenden Berlinern darauf. Der Slogan "Zu Gast bei Freunden" soll für die Gastfreundschaft der Stadt werben.

Dass Freundlichkeit und Service das A und O eines guten Gastgebers sind, hat jetzt auch der Hotel- und Gaststättenverband begriffen. Deshalb steht Frank Höchsmann in einem Tagungsraum des Hotels im Dietrich-Bonhoeffer-Haus im Bezirk Mitte. Er führt seine Schüler durch die Power Point-Präsentation, die er für den theoretischen Teil seines Seminars "Servicequalität aus der Sicht des Hotelgasts" zusammengestellt hat. Der Computer surrt, die Seminarteilnehmerinnen blicken konzentriert auf die Stichworte, die der Projektor auf die weiße Tafel vor ihnen wirft. "Freundlichkeit", "gepflegtes Aussehen", "Aufmerksamkeit", das sind einige Punkte, von denen Frank Höchsmann möchte, dass seine Schüler sie verinnerlichen. Frank Höchsmann ist Quality Auditor und dafür zuständig, den Hotelangestellten ein besseres Verständnis von Service und Freundlichkeit dem Gast gegenüber zu vermitteln. Er wedelt mit dem Zeigestab hin und her, erklärt das sogenannte Servicebarometer, zeigt welche Kleidung für den Hotelangestellten angemessen ist und welche nicht. Dann beginnt der Praxisteil der Schulung. Mit einer Checkliste ausgestattet, sollen die Hotelangestellten sich in die Rolle des Hotelgastes versetzen und Service und Qualität des Hotels nach Punkten beurteilen. "Wir fangen beim ersten Eindruck an, meine Damen!" Frank Höchsmann führt die Gruppe vor den Hoteleingang. "Wie finden Sie das äußere Erscheinungsbild dieses Hotels?", fragt er seine Schülerinnen. Die überlegen kurz. "Sieht auf den ersten Blick gar nicht aus wie ein Hotel", meint eine der Teilnehmerinnen. Auf ihrem Fragebogen macht sie ein Kreuzchen weit unten auf der Punkte-Skala.

Oben, im Hotelzimmer, macht Frank Höchsmann zuerst den Staubtest. Mit dem Zeigefinger streicht er über Tür- und Bilderrahmen. "Hier, meine Damen, sehen wir ganz eindeutig den blonden Staub. Das ist guter Staub, und von daher ist das in Ordnung." Er erklärt den Damen, dass nur der schwarze Staub, auch böser Staub genannt, Dreck beinhaltet und auf einen schlechten Hygiene-Service hinweist. Als nächstes ist die Zimmerluft dran. "Manchmal fühlt man sich als Gast unwohl und weiß gar nicht warum. Dann kann es mitunter an der schlechten Luft des Zimmers liegen", erklärt Herr Höchsmann. Die Schülerinnen schnüffeln: Die Luft hier empfinden sie als angenehm. Es gibt neun Punkte auf dem Qualitätsbarometer. Was die Betten angeht, stehen - nach dem Eindruck von Herrn Höchsmann - die Ecken des Kissenbezugs nicht aufrecht genug. Die Damen stört die Farbkombination von Bettbezug und Tapete ein wenig. Beim Beistelltisch sind sich alle einig: Das Fernsehprogramm für den heutigen Tag ist nicht aufgeschlagen, obendrein liegen Fernsehbedienung und Zeitung nicht bündig. Es kann hier nur die halbe Punktzahl vergeben werden. Im Bad, das laut Frank Höchsmann große Auswirkungen auf das Befinden des Hotelgast haben kann, herrscht äußerste Konzentration. Höchsmann präsentiert seinen ultimativen Bäder-Test. Mit geschlossenen Augen und dem Rücken zur Wand lässt er seine Hände über die Kacheln gleiten und schiebt sich so langsam die Wand entlang. "Die Hände spüren mehr als die Augen sehen können", kommentiert er und zieht dann das Resümee: "Ich kann keine Unebenheiten, keinen Kalk spüren. Es ist gut geputzt." Nachdem er auch die Duschkabine kontrolliert hat, kommt die Feuerprobe: der Klo-Check. Frank Höchsmann kriecht auf allen vieren um die Kloschüssel herum und tastet sich mit geschlossenen Augen voran. Sein Kopf ist rot angelaufen. "Ich glaube, das hier ist auch in Ordnung", keucht er und kniet sich hin. Dann zieht er die Klobürste aus der Abtropfschale. "Ein weiterer Schwachpunkt ist natürlich die Bürste", sagt Herr Höchsmann und hält die Bürste hoch, damit seine Schülerinnen alles genau beobachten können. Er dreht die Bürste einmal nach rechts und einmal nach links. "In diesem Fall ist die Bürste schön sauber, es hat sich nichts dazwischen gefangen. Infolgedessen kann man also anständige zehn Punkte vergeben", schließt er. Seine Schülerinnen tragen das in ihre Qualitätschecklisten ein.

Für seine Mühen hat Herr Höchsmann bisher immer ein positives Feedback erhalten. Was Service und Freundlichkeit angehe, würden die Hotels bei ihren Angestellten deutliche Fortschritte bemerken. Für die nächsten Monate ist Frank Höchsmann ausgebucht. "Bis zur Weltmeisterschaft können wir noch einiges tun, um den Service auf Vordermann zu bringen", findet er. Morgen wird er Kellner und Küchengehilfen im Kurs "Servicequalität aus der Sicht des Restaurantgastes" schulen.


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