Einbruch, selbst gemacht

Alltag Es ist Sonntag Nachmittag, und nichts ist los. Bis es an Peters Tür klingelt, davor steht die Nachbarin aus dem Erdgeschoss, ohne Jacke, ohne ...

Es ist Sonntag Nachmittag, und nichts ist los. Bis es an Peters Tür klingelt, davor steht die Nachbarin aus dem Erdgeschoss, ohne Jacke, ohne Schlüssel und Handy. Ihre Tür ist zugefallen, sie hat sich ausgesperrt. Man kennt sich aus dem Hausflur und hat schon über den Wohnungsverwalter gelästert und sich über die Gemüseernte im Kleingarten unterhalten. Peter, ein handwerklich ambitionierter Frührentner aus dem Fränkischen, bietet an, sich die Sache mal anzusehen.

"Doppelfalztüren", sagt er fachmännisch. "Da geht nur Aufbohren." In einem früheren Leben habe er in einer Eisenwarenhandlung gearbeitet, irgendwo im Keller hätte er noch einen Schließzylinder, wenn sie bohren wolle, könne er ihr die Bohrmaschine leihen und den Zylinder als Provisorium einbauen.

Sie zögert einen Moment, da entdeckt Peter durchs Fenster im Treppenhaus jemanden auf dem Gehweg, der im Nachbarhaus wohnt. Er winkt ihn herein und fragt, ob ihm nichts einfiele, wie man die Tür aufbekäme. Der Mann von nebenan heißt auch Peter, erfährt die ausgesperrte Nachbarin. Peter aus irgendwo, wo mal Jugoslawien war. Sie kennt ihn vom Sehen, denn im Sommer sitzt er täglich mit seiner Frau vor dem Haus auf einem Mäuerchen in der Sonne und schweigt. Er sagt selten etwas, weil er stark stottert. Peter aus Franken und Peter aus dem früheren Jugoslawien beginnen dennoch zu fachsimpeln. Heimwerker unter sich haben eine eigene Form der Verständigung und so verselbstständigt sich die Situation. Peter aus Jugoslawien trifft rigoros eine Entscheidung: "Schlüsseldienst teuer: Selber versuchen!"

Er holt seine Bohrmaschine und ein Verlängerungskabel von nebenan, der andere PeterÊden Werkzeugkasten. Peter aus Hausnummer neun und Peter aus Hausnummer elf fangen an zu bohren. Es dröhnt durchs ganze Treppenhaus. So einfach, wie sie dachten, geht es nicht. Das Schloss widersetzt sich. Die Nachbarin sitzt auf der Treppe und verzweifelt: Ausgerechnet heute, wo sie es wirklich eilig hatte, und die beiden haben doch sicher auch etwas anderes vor. Ob sie nicht doch besser einen Schlüsseldienst rufen soll? "Nein, nein", sagen Peter und Peter und übernehmen die Regie.

Andere Nachbarn kommen vorbei, zufällig, weil sie gerade nach Hause kommen oder irgendwohin möchten oder weil sie dem Ursprung des sonntäglichen Lärms nachspüren wollen. Sie bieten weiteres Werkzeug an. Eine Jacke für die fröstelnde Nachbarin? Vielleicht Tee, Kaffe, Bier für alle? Nein, der Lärm mache nichts, ist ja nicht zu ändern. Blöde Geschichte - und sie erzählen, wie sie sich selber mal ausgesperrt haben, über Balkone geklettert sind oder zufällig noch einen Schlüssel beim Vermieter auftrieben, der eigentlich gar keinen hätte haben dürfen.

Die Lebensgefährtin des fränkischen Peters spricht ein Machtwort undÊholt die ausgesperrte Nachbarin samt der Plauderrunde zum Teetrinken in ihre Wohnung rauf, denn den beiden Männern sei nicht zu helfen: "Lass ihn", sagt Peters Freundin, "der hat das angefangen, der macht jetzt bis er irgendwie die Tür auf hat."

Peter und Peter bohren, hämmern und trinken bayrisches Bier, doch das Schloss ist störrisch. Nach drei Stunden innigen und erfolglosen Bohrens bastelt Peter aus Jugoslawien aus dem Bügel eines Fahrradkorbes einen Dietrich und pult damit die Reste des Schließbolzens aus der Verschalung. Peter aus Franken stellt fest: "Das war ein gutes Schloss. Unsere Wohnungstüren sind echtÊeinbruchsicher!" Peter aus Jugoslawien, dem an diesem Nachmittag drei Bohrer abgebrochen sind, findet das auch: "Gute Tür!" sagt er und streicht mit den Fingern zufrieden über die abgesplitterte Farbe rund um das Schloss. Wenn Laien einbrechen, hinterlässt das deutliche Spuren an der Tür. Sie öffnen noch zwei Flaschen Bier und bauen gemeinsam den Schließzylinder ein, den Peter aus Franken in seinem KellerÊgefunden hat. "Mensch Peter", sagt er nach vier Stunden gemeinsamen Werkelns, "ich wusste gar nicht, dass wir so schön miteinander arbeiten können."

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