Eine falsche Dualität

USA/Iran Für die progressiven Kräfte im Iran ist der Tod Soleimanis kein Grund zur Trauer. Das heißt nicht, dass sie die militärische Intervention der USA befürworten
Die US-Botschaft im Irak am 1. Januar 2020. Kurz zuvor wurde das Gebäude von pro-iranischen Demonstranten attackiert
Die US-Botschaft im Irak am 1. Januar 2020. Kurz zuvor wurde das Gebäude von pro-iranischen Demonstranten attackiert

Foto: Ahmad Al-Rubaye/AFP/Getty Images

Als die Nachricht „Iran greift US-Basen auf irakischem Boden an“ bekannt wird, telefoniere ich gerade. Ein guter Freund, der ähnlich wie ich seit Jahren über die Situation im Iran schreibt und deswegen nicht dorthin zurückkehren kann, sagt mir, als wir über innenpolitische Lage im Iran sprechen: „Der Krieg hat begonnen, Mina. Jetzt sind wir erledigt. Es ist vorbei. Alles, was wir bisher versucht haben aufzubauen, wird unter Asche und blutigen Leichen vergraben.“ Wie recht er damit hat, denke ich mir sofort.

Qasem Soleimani, General Major und Kommandeur der Quds-Einheit der Iranischen Revolutionsgarden, wurde durch einen US-amerikanischen Drohnenangriff ermordet. Im Irak war die Lage bereits davor angespannt. Pro-iranische Demonstranten, teils in Militäruniformen, griffen den Empfangsbereich der US-Botschaft an und schlugen Fenster ein. Seit Anfang des Jahres, also seit knapp einer Woche, verschärft sich die Lage in der Region. Ohne Deeskalation stehe ein Krieg bevor, so die Analyse vieler JournalistInnen und BeobachterInnen. Selbstverständlich, allerdings sollten wir nicht vergessen, dass die USA und der Iran seit etwa 40 Jahren das Mittel der Kriegsdrohung als politische Strategie nutzen, um miteinander zu kommunizieren und zugleich um innenpolitische Krisen zu bewältigen. Die Gefahr eines Krieges heraufzubeschwören, das funktioniert sowohl für den iranischen Staat und für die USA nur, wenn es glaubwürdig ist.

Vor nur zwei Monaten wurde der iranische Staat von einigen der größten Proteste seit der Gründung der Islamischen Republik herausgefordert. Kundgebungen, deren Auslöser die Erhöhung der Benzinpreise über Nacht war, die sich aber gegen die gesamte Diktatur richteten. Die einwöchige Internet-Sperre war für viele Exil-IranerInnen wie mich ein Zeichen dafür, wie massiv die Regierung versuchte, die Proteste zu zerschlagen. Wir sollten Recht behalten. Laut Amnesty International wurden mehrere Hundert Menschen bei den Protesten getötet, laut Reuters mehr als 1.500. AktivistInnen und StudentInnen wurden gezielt festgenommen.

Die iranischen Revolutionsgarden, mit Qasem Soleimani als führendem Kommandeur, waren nicht nur für Interventionen in Syrien, im Jemen oder im Irak verantwortlich, sondern auch für die Zerschlagung der Proteste im Iran. Deshalb sehen die progressive Kräfte im Iran ihn nicht als Held. Er war zentraler Akteur einer reaktionären Politik im Iran und mitverantwortlich für viele Tote und etliche Festnahmen. Und er war Teil einer Politik des iranischen Staates, die die Kriegsgefahr in der Region immer weiter verschärft. Viele Progressive haben seine Ermordung deshalb nicht betrauert. Damit heißen sie jedoch nicht eine direkte Intervention der USA gut. Sie wissen: Wenn sich die militärische Auseinandersetzung zu einem direkten Krieg zwischen den Iran und den USA entwickelt, wird das Land, und die Menschen im Iran, einen horrenden Preis bezahlen.

Aus Sicht der progressiven Kräften im Iran, aus der Sicht der vielen Frauen, StudentInnen, KurdInnen, UmweltaktivistInnen, die Opfer der Repressionen im Iran sind, ist der iranische Staat bei dieser Auseinandersetzung kein Opfer. Die falsche Dualität zwischen den Konfliktparteien führt dazu, dass jede progressive Alternative für den Iran im Keim erstickt wird. Wünschenswert wäre stattdessen eine progressive Position: gegen den Krieg und gleichzeitig solidarisch mit den Unterdrückten im Iran.

Mina Khani ist iranische Künstlerin und Publizistin

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