Um ein hässliches Kapitel erweitert wurde nun das Thema Hooligans. Wenn es stimmt, was offiziell aus Frankreich zu hören ist, dann konnte von den etwa 150 russischen Schlägern in Marseille deshalb kein einziger von der Polizei festgenommen werden, weil diese Hooligans gut organisiert aufgetreten waren und gut geführt blitzschnell verschwanden, als die Ordnungskräfte am Ort des Geschehens die Oberhand gewannen. Die Russen hatten englische Fans provoziert – was leicht ist – und sich dem Zugriff der französischen Polizei komplett entzogen – was schwer ist.
Deutsche Sicherheitsexperten singen gern das Loblied von den Fan-Beauftragten, die wesentlich dazu beitragen, dass man hierzulande die Hooligans einigermaßen unter Kontrolle halten kann. Was ein Fan-Beauftragter bei den Russen bewirkt hätte, ist da doch die Frage. Die Antwort könnte lauten, die muskulösen Russen waren gar keine Fans, sondern Randalierer, die zur Fußball-Europameisterschaft nach Frankreich gereist waren, um dort etwas „Spaß“ zu haben, da sie hoffen durften, auf Gleichgesinnte aus anderen Nationen zu treffen.
Dass die Hooligans keine Fußball-Fans seien, hört man auch in Deutschland immer wieder dann, wenn es am Rande von Spielen zu Ausschreitungen gekommen ist. Dann hilft freilich auch kein Fan-Beauftragter. Immerhin ist die deutsche Polizei seit der Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land einigermaßen auf solche Gewaltexzesse eingestellt. Dennoch wird jeder, der sich an Polizeieinsätze gegen robust auftretende Demonstranten vor 30 oder 40 Jahren erinnert, erstaunt sein über das Maß an Zurückhaltung, das gegenüber den Hooligans geübt wird. Und das gilt erst recht für die französische Polizei, die man einst im Pariser Quartier Latin ganz anders erleben konnte.
Dabei ist, um ein altes Wort hierherzusetzen, das Losprügeln einiger hundert Randalierer an einem Ort, wo Zehntausende friedlich ein Sportfesterleben wollen, nichts anderes als Landfriedensbruch. Dem konnten Polizei und Justiz, als es damals um die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf oder das AKW Brokdorf ging, machtvoll begegnen. Aber damals ging es wohl um ein Staatsinteresse, das sich mit dem Wirtschaftsinteresse verbunden hatte. Bei den Hooligans geht es um ein gesellschaftliches Interesse, aufgrund dessen Fußballer und ihre Vereine viel Geld verdienen. Sind beim Schutz der Gesellschaft Polizei und Justiz weniger konsequent als beim Schutz dessen, was der Staat als schützenswert ausgibt? Der Staat sind wir. Der Staat lebt von der Gesellschaft, die ihn trägt.
Kommentare 7
Die Polizei ist keine Maschine, sondern menschlich. Das vielzitierte Versagen der Kölner Polizei hat wohl da ihre Ursache: die Beamten wollten auch ein schönes Sylvester und auch ein bisschen feiern, wenigstens in Ruhe um 0 Uhr mit was auch immer anstoßen.
Die französische Polizei hat überhaupt keine Lust, sich mit Fangruppen zu schlagen, die aufeinander losgehen und die eine Nacht im französischen Knast als Kick und Höhepunkt ihrer Reise ansehen. Ob dabei die Russen wirklich schlimmer sind als die Briten, wage ich nicht zu beurteilen.
Die deutschen Hools ziehen mit der Reichskriegsflagge durch Lille, der Partnerstadt von Köln. Interessant wäre dabei ein Bericht über die Rolle der Fan-Beauftragten bei solchen ultraprovokativen Fan-Aktionen. Da kommt kein Aufschrei, denn das würde ja "wir" gefährden. Trotz aller Sympathien für Löw und die Mannschaft, ich kann nicht für ein "Wir" unter der Reichskriegsflagge sein. Könnte sein, dass dadurch die Motivation einiger Nationalspieler auch sinkt. Anstatt das zu dulden und zu verschweigen, sollten alle Verantwortlichen, DfB, Fan-Beauftragte und weitere, Klartext reden. Oder maschieren die deutschen Faschisten womöglich demnächst mit Hakenkreuzbinde durch die Welt, mit der Nationalmannschaft als Speerspitze?
alles nur ein problem der medialen präsenz/zurück-haltung.
wenn die medien über aus-schreitungen nicht berichten
(wie vor-geschlagen) gäbs bloß
die bedauernswerten opfer in den krankenhäusern...
tout va bien.
Bei den Russen kann man sehr schön beobachten wie Fußball-Hools als politische Reservearmee auftreten. Sie haben Zuspruch aus den braunen Ecken der Politik und vertreten ihre Nation genauso eifrig wie die Spieler auf dem grünen Feld. Die emotionale Komponente von Straßenkämpfen auf derart professionellem Niveau ist jedenfalls größer als der beschissene Rumpelfussball der russischen Fußballspieler. Hier wird live und in Echt (nicht etwa in irgendeinem Netz) gezeigt, wie man stocknüchtern, austrainiert und gut organisiert eine satte Überzahl von schmerbäuchigen, besoffenen und auch sonst völlig dekadenten NATO-Hools in die Flucht schlägt. Sie kommunizieren das überaus geschickt ohne den blassesten Versuch einer Rechtfertigung. Nationalistischer Kampf als selbsterklärende Naturgewalt. Unsere Dynamo/Schalke/Dortmund-Hools genießen genau die gleiche Art von Anerkennung bei gleichtzeitiger verbaler Distanzierung aus Politik, Sicherheitskräften und rechter Öffentlichkeit. Ich möchte mal wissen wieviel Polizisten und Bundeswehr-Freaks am Wochenende der weitgehend ungezügelten Menschenjagd nachgehen. Eben war so ein Ex-Polizist in einer TV-Doku zu sehen. Für die ist das alles ganz normaler Freizeitspaß solange auf Liegende nicht eingetreten wird. Die Antifa steht ohne jeden politischen oder gesellschaftlichen Rückhalt nur für sich. Aller Ehren wert aber chancenlos wenn die Reservearmee den Freizeitcharakter verliert und eine neue Ordnung ausgerufen wird.
wer weiss?
vielleicht sind es doch geschickte gesandte botschafter des neuen rußlands, die manifestieren: ja, wir sind ebenso normal: wir haben auch pöbel, den wir pampern.
Heute wurde doch tatsächlich der EU-Botschafter in Moskau einbestellt wegen der inhaftierten Sportsfreunde. Ich halte diese Farce für einen Vorgeschmack auf die politischen Strömungen, die wir zu erwarten haben wenn Putin mal beseitigt sein wird. Vielleicht legen sie es auch willentlich darauf an, die WM 2018 nicht ausrichten zu müssen. Sie haben wohl aus der Winterolympiade gelernt, dass sie mit solchen Veranstaltungen in Zeiten des 2. kalten Krieges nur verlieren können. Jede Menge unkontrollierbare Infiltration und die Profite gehen doch woanders hin.
Panem et circensis: da kann man schon mal Fünfe gerade sein lassen, erst recht wenn das internationale Publikum Polizeieinsätze rund um die EM interessiert begleitet.
Europameisterschaft, Nationalismus, GMX, „Moderner Sport: Fußball – völkerverbindend?“ https://wipokuli.wordpress.com/2016/07/02/moderner-sport-fussball-voelkerverbindend/
Andreas Schlüter
Soziologe
Berlin