Eine Frage des Staatsinteresses

Hooligans Wenn es um politische Proteste geht, kennt die Polizei oft wenig Zurückhaltung. Bei den Ausschreitungen rund um die EM in Frankreich agiert sie auffällig passiv. Warum?
Ausgabe 24/2016
Verglichen mit anderen Polizeieinsätzen fast schon zurückhaltend: die Staatsgewalt in Marseille am 11. Juni
Verglichen mit anderen Polizeieinsätzen fast schon zurückhaltend: die Staatsgewalt in Marseille am 11. Juni

Foto: Carl Court/AFP/Getty Images

Um ein hässliches Kapitel erweitert wurde nun das Thema Hooligans. Wenn es stimmt, was offiziell aus Frankreich zu hören ist, dann konnte von den etwa 150 russischen Schlägern in Marseille deshalb kein einziger von der Polizei festgenommen werden, weil diese Hooligans gut organisiert aufgetreten waren und gut geführt blitzschnell verschwanden, als die Ordnungskräfte am Ort des Geschehens die Oberhand gewannen. Die Russen hatten englische Fans provoziert – was leicht ist – und sich dem Zugriff der französischen Polizei komplett entzogen – was schwer ist.

Deutsche Sicherheitsexperten singen gern das Loblied von den Fan-Beauftragten, die wesentlich dazu beitragen, dass man hierzulande die Hooligans einigermaßen unter Kontrolle halten kann. Was ein Fan-Beauftragter bei den Russen bewirkt hätte, ist da doch die Frage. Die Antwort könnte lauten, die muskulösen Russen waren gar keine Fans, sondern Randalierer, die zur Fußball-Europameisterschaft nach Frankreich gereist waren, um dort etwas „Spaß“ zu haben, da sie hoffen durften, auf Gleichgesinnte aus anderen Nationen zu treffen.

Dass die Hooligans keine Fußball-Fans seien, hört man auch in Deutschland immer wieder dann, wenn es am Rande von Spielen zu Ausschreitungen gekommen ist. Dann hilft freilich auch kein Fan-Beauftragter. Immerhin ist die deutsche Polizei seit der Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land einigermaßen auf solche Gewaltexzesse eingestellt. Dennoch wird jeder, der sich an Polizeieinsätze gegen robust auftretende Demonstranten vor 30 oder 40 Jahren erinnert, erstaunt sein über das Maß an Zurückhaltung, das gegenüber den Hooligans geübt wird. Und das gilt erst recht für die französische Polizei, die man einst im Pariser Quartier Latin ganz anders erleben konnte.

Dabei ist, um ein altes Wort hierherzusetzen, das Losprügeln einiger hundert Randalierer an einem Ort, wo Zehntausende friedlich ein Sportfesterleben wollen, nichts anderes als Landfriedensbruch. Dem konnten Polizei und Justiz, als es damals um die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf oder das AKW Brokdorf ging, machtvoll begegnen. Aber damals ging es wohl um ein Staatsinteresse, das sich mit dem Wirtschaftsinteresse verbunden hatte. Bei den Hooligans geht es um ein gesellschaftliches Interesse, aufgrund dessen Fußballer und ihre Vereine viel Geld verdienen. Sind beim Schutz der Gesellschaft Polizei und Justiz weniger konsequent als beim Schutz dessen, was der Staat als schützenswert ausgibt? Der Staat sind wir. Der Staat lebt von der Gesellschaft, die ihn trägt.

Der Autor und Journalist Jürgen Busche schreibt in seiner Kolumne Unter der Woche regelmäßig über Politik und Gesellschaft

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