„Eine Frage des Wollens“

Transparenz Kann ein Lieferkettengesetz helfen, Kinderarbeit in der Kakaoindustrie zu verhindern? Zwei Experten diskutieren
Fairtrade-Kooperationen helfen vor Ort, um die Preise zu stabilisieren
Fairtrade-Kooperationen helfen vor Ort, um die Preise zu stabilisieren

Foto: Christoph Köstlin

Kinderarbeit, viel zu niedrige Preise, Umweltschäden – für den Anbau von „unserem“ Kakao werden Menschenrechte und Umweltschutz untergraben. Friedel Hütz-Adams und Claudia Brück diskutieren im Gespräch über Probleme und Lösungsansätze.

der Freitag: Frau Brück, Herr Hütz-Adams, die Probleme der Kakaobranche sind bekannt. Laut aktuellen Umfragen sind zwei Drittel der Deutschen für ein Lieferkettengesetz, das hier Abhilfe schaffen soll. Wie beurteilen Sie das?

Claudia Brück: Mit einem dieser Tage erscheinenden Bericht wird wieder gezeigt, dass Kinderarbeit immanent ist in der Kakaoindustrie, in den beiden hauptsächlichen Produktionsländern Ghana und der Côte d’Ivoire. Und dass freiwillige Ansätze offensichtlich nicht die Durchgriffskraft haben, die sie haben sollten.

Friedel Hütz-Adams: Das Interessante ist ja, dass dem nahezu alle großen Unternehmen in dieser Branche zustimmen. Das hört man von Barry Callebaut, von Nestlé, von Mars, von Mondelez, Ritter Sport, alle möglichen Unternehmen fordern, dass der Gesetzgeber handelt, am besten direkt auf europäischer Ebene. Die Kakaobranche ist etwa seit dem Jahr 2000, in dem es viele Berichte über Kinderarbeit und Kinderzwangsarbeit gab, mit der Frage konfrontiert worden, wie sie das Ganze in den Griff bekommen will. Schon 2002 in einer der ersten Studien zu diesem Thema wurde festgehalten: Die Hauptursache der Kinderarbeit ist die Armut der Familien. Man hat dann trotzdem über viele Jahre so getan, als könne man über eine Steigerung der Produktivität die Einkommen der Familien ausreichend erhöhen. Nur führt eine Steigerung der Produktivität bei Agrarprodukten meist sofort zu einem Preisverfall. Die Industrie hat nie Mindestpreise oder Prämien festgelegt, die tatsächlich die Situation der Familien verbessern würden. Der Grund ist der gleiche wie in anderen Branchen: Wenn ein einzelnes Unternehmen ein paar Cent pro Tafel Vollmilchschokolade mehr ausgeben würde – über mehr reden wir nicht –, dann ist sie im Regal teurer als beim Wettbewerber.

Hat sich denn, seit das Problem bekannt ist, überhaupt etwas getan?

Hütz-Adams: Die letzte Studie im Kakaosektor ist gestern veröffentlich worden. Im Entwurf war noch von zwei Millionen arbeitenden Kindern die Rede. Dann wurde eine Weile gerechnet und man landete bei 1,5 Millionen, in Ghana und der Côte d’Ivoire. Selbst wenn man nicht den Eindruck hätte, dass gerechnet wurde, um Erfolge zeigen zu können: 1,5 Millionen arbeitende Kinder sind 1,5 Millionen arbeitende Kinder. Keines darf laut internationalen Vereinbarungen und nationalen Gesetzen arbeiten.

Nun gibt es aber unterschiedliche Auffassungen darüber, wie so ein Lieferkettengesetz gestaltet werden müsste, vor allem bei der Frage, bis zu welchem Glied zurückverfolgt werden muss.

Brück: Ich glaube, das ist eine Frage des Wollens. Es ist nicht kostenneutral, es ist aufwendig. Aber wenn das die einzige Möglichkeit ist, Kinderarbeit zu verhindern, dann muss man diesen Aufwand betreiben.

Hütz-Adams: Ich sehe das genauso. Die Kakaohändler haben vor ein paar Jahren noch behauptet, das ginge alles nicht. In den letzten Jahren hat die Branche aber gezeigt, was man dann tun muss: Wenn die Lieferkette intransparent ist, muss man sie schlicht und einfach verkürzen. Mehrere der großen Kakaohändler kaufen jetzt zunehmend direkt bei Bäuerinnen und Bauern oder deren Organisationen. Sie haben auch zum Teil lokale Zwischenhändler erworben, um den direkten Zugriff auf den Plantagen zu erhalten. Diese werden per GPS erfasst und die Fläche vermessen. Das sind Dinge, wo man noch vor wenigen Jahren behauptet hätte, das ginge gar nicht.

Das ist doch aber etwas?

Hütz-Adams: Man tut das jetzt meiner Ansicht nach zynischerweise nicht so sehr wegen der Kinderarbeit und anderer Menschenrechtsverletzungen, sondern wegen der Abholzungsdebatte. Rund ein Drittel des Kakaos in der Côte d’Ivoire stammt von Flächen, die eigentlich geschützt sind und illegal abgeholzt wurden. Derzeit droht in der EU ein Gesetz zum Verbot von Import aus Entwaldung, und jetzt ist die Industrie mit Riesenschritten vorangegangen. Wenn sie wollen, können sie Ketten verkürzen. Wenn sie wollen, können sie die Bäuerinnen und Bauern erfassen. Man versteckt sich oft hinter der Komplexität dieser Ketten. Die hat man aber selbst herbeigeführt, zum Teil um nicht direkt mit den Zuständen in Verbindung gebracht werden zu können.

Zu den Personen

Claudia Brück ist Mitglied des Vorstandes bei Fairtrade Deutschland und dort für Öffentlichkeitsarbeit und Politik zuständig

Friedel Hütz-Adams ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Südwind-Institut. Er forscht zu ökologischen und sozialen Problemen von Wertschöpfungsketten

Es hilft also nur das Gesetz?

Brück: Das sehe ich nun wiederum anders. Es ist nur nicht möglich, mit Freiwilligkeit einen ganzen Sektor zu verändern. Was ein Lieferkettengesetz bisher nicht diskutiert, ist: Was ist der Preis für ein existenzsicherndes Einkommen für einen Bauern? Wie kann man dafür sorgen, dass die Eltern ein Einkommen haben, das reicht, damit sie nicht ihre Kinder zur Arbeit schicken müssen? Ein Gesetz muss den Rahmen setzen. Aber das heißt nicht, dass sich eine Industrie dann zurücklehnen und sagen kann: Ich mache nur das, was das Gesetz verlangt. Deswegen braucht es weiterhin Best Practices, viele freiwillige Ansätze, die nach Lösungen für die Misere suchen, in der wir seit Jahrzehnten stecken. Daher ist Fairtrade aus meiner Sicht natürlich als perfekte Ergänzung zum Lieferkettengesetz zu sehen. Wir sind mit lokalen Strukturen und Beratern vor Ort und streiten über die Frage, welchen Preis der Kakao kostet.

Hütz-Adams: Der Verweis auf Fairtrade in dieser Diskussion zeigt, wie nötig ein Gesetz ist. Fairtrade hat ausgerechnet, wie hoch der Preis für ein existenzsicherndes Einkommen sein müsste. Um dieses zu erreichen, müssten Preise und Prämien signifikant über dem liegen, was Fairtrade momentan festsetzt. Das Dilemma ist aber: Wenn Fairtrade derzeit – ohne Verpflichtungen – die existenzsichernden Einkommen garantieren will, würden den kakaoverarbeitenden Unternehmen, die das Label unter den neuen Bedingungen verwenden wollen, schlicht und einfach die Kunden aus der Schokoladenindustrie abspringen. Die Unternehmen haben in den letzten Jahren immer Lippenbekenntnisse zu Menschenrechten geäußert, aber sobald es darum ging, den Preis zu bezahlen, wurde mit standardsetzenden Organisationen verhandelt und klar signalisiert, dass außerhalb von Pilotprojekten eben keine signifikant höheren Preise gezahlt werden. Und wenn das nicht funktionierte, haben sie ihre eigenen Label aufgesetzt.

Brück: Wenn das auf freiwilliger Basis bleibt, werden die Unternehmen nur mitmachen, wenn es dafür eine Käuferschicht gibt. Dann sind wir wieder bei einem Großteil der Verbraucherinnen und Verbraucher, die vor dem Regal stehen und lieber die Tafel für 59 Cent kaufen. Da muss jeder von uns sich an die Nase fassen. Es ist wahnsinnig wichtig, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass diese Preise dafür verantwortlich sind, wie viel Armut in den produzierenden Ländern herrscht und dass dann unter Umständen Kinder arbeiten müssen – für ein Produkt, das hier hauptsächlich von Kindern konsumiert wird. Ritter, Mars, Nestlé – keine dieser großen Schokoladenindustrien kann es sich erlauben, offiziell mit Kinderarbeit in Verbindung gebracht zu werden.

Höhere Preise bedeuten aber auch, dass sich das dann hier nicht mehr jeder leisten können wird.

Hütz-Adams: Frau Brück sprach gerade von 59 Cent. Der Preiseinstand bei den Eigenmarken von Rewe, Aldi, Lidl, Edeka – die haben ja alle ihre eigenen Billigmarken –, der lag bei 45 Cent, als ich vor ein paar Wochen geschaut habe. Vor ein paar Jahren lag der Preis sogar bei lediglich 35 Cent. Eine Tafel mit 100 Gramm Vollmilchschokolade enthält Kakao im Wert von rund 8 Cent, von denen in Westafrika etwa 5 Cent bei den Bäuerinnen und Bauern ankommen. Wenn wir das verdoppeln würden, was bei den Bäuerinnen und Bauern ankommt, steigt der Preis noch gering. Entgegen den Aussagen einiger Vertreter aus der Industrie könnte man sich auch danach mit wenig Geld eine Tafel leisten.

Brück: Mit ein paar Cent mehr für die Produkte würden wir einen großen Unterschied vor Ort machen. Warum es nicht möglich ist, diese paar Cent aufzuschlagen, geht mir nicht in den Kopf.

Hütz-Adams: Gleichzeitig steckt in einer Tafel Markenschokolade häufig mehr Geld für die Werbung, deutlich mehr Geld, als für den Kakao ausgegeben wird. Einerseits schlage ich etliche Cent für Werbung auf die Tafel drauf, um meine Marktanteile zu erhöhen, wenn es dann aber um ein paar Cent für Kakao geht, wird auf deutsche Verbraucher*innen mit niedriger Kaufkraft verwiesen. Das ist auch eine zynische Diskussion, die es aber in anderen Sektoren auch gibt. Oft wird bei den für die Einhaltung der Menschenrechte notwendigen Maßnahmen gesagt, das ginge nicht. Zur Einhaltung der Qualität in Wertschöpfungsketten wird das Gleiche längst gemacht. Wenn man in der Autoindustrie fragt, ob die wissen, wo ihr Kupfer oder ihr Stahl herkommt – sobald es um qualitätsrelevante Dinge geht, dann wissen die es ganz genau.

Hat der Verbraucher denn jetzt auch ohne Lieferkettengesetz eine Möglichkeit, sich zu informieren, ob für seine Schokolade Kinder arbeiten mussten?

Brück: Ganz ehrlich: Niemand kann derzeit kinderarbeitsfreie Schokolade garantieren.

Hütz-Adams: Weil es bei den derzeitigen Preisen nicht anders funktioniert. Als 2016 beispielsweise der Kakaopreis abstürzte, erhielten Bäuerinnen und Bauern in der Côte d’Ivoire kurz darauf 36 Prozent weniger für ihren Kakao. Als ich zu diesem Zeitpunkt vor Ort in der Côte d’Ivoire bei einer großen Tagung war, stand eine Bäuerin auf und fragte: „Ich hab kein Geld für die Schulgebühren und ich kann keine erwachsenen Arbeitskräfte bezahlen, was soll ich tun?“ Da sind die verschiedensten Label auf Kaffee, Bananen, Äpfeln, Fisch, Papier etc. – und wir erwarten von den Verbrauchern, dass sie sich tagesaktuell darüber informieren, wer den neuesten Skandal hat und was man noch kaufen kann? Das kann es nicht sein. Ich muss ans Regal gehen und einigermaßen sicher sein können, dass bei der Herstellung des Produkts, das ich kaufen will, grundlegende Menschenrechte gewahrt wurden. Und dies muss der Gesetzgeber vorschreiben.

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