Die Geschichte der Olympischen Sommerspiele und die der audiovisuellen Medien hängen eng miteinander zusammen. Die erste Filmvorführung fand im selben Jahr wie die ersten Spiele in Athen statt. Das Ritual des im griechischen Olympia entzündeten und dann per Fackellauf ins jeweilige Stadion expedierte olympische Feuers wurde pünktlich für Leni Riefenstahls Film und die ersten Fernsehübertragungen der Nazi-Spiele 1936 eingeführt. Erste regelmäßige Satellitenübertragungen über die Kontinente hinweg wurden 1964 bei den Spielen in Tokio erprobt, und waren bei den Spielen in Mexiko-City vier Jahre später Standard. Seitdem begreifen die veranstaltenden Länder die Eröffnungsfeiern als Gelegenheit, ein ideales und auf Perfektion
uf Perfektion getrimmtes (Fernseh-)Selbstbild in die gesamte Welt zu liefern. In diesen televisionären Großereignissen gehen pompöses Ritual, Massenchoreographie, populäre Kultur und immer wieder Elemente aus der jeweiligen Hochtechnologie eine spektakuläre Verbindung ein, für die der Sport allein den Anlass bietet.Geschichtlicher ExkursGemessen daran, war das, was man am späten und langen Eröffnungsabend aus London auf dem Fernsehbildschirm sah, auf wunderbare Weise entspannend und lässig zugleich. London und Großbritannien präsentierten sich in der von Filmregisseur Danny Boyle inszenierten Feier in einer Mischung aus Ernst, Ironie und Selbstbewusstsein. Anders als die meisten anderen Eröffnungsfeiern der letzten 20 Jahre hatte der Regisseur im ersten Teil auf die klassische circensische Nummernrevue verzichtet, stattdessen die visuell attraktiv dargebotenen Elemente aus der Geschichte des Landes zu einer großen Erzählung verdichtet. Die Genese einer Nation vom Agrar- zum Industrieland vollzog sich vor den Augen der Stadionbesucher wie der Fernsehzuschauer in spektakulären Übergängen und tänzerischen Einlagen.Doch dieser geschichtliche Exkurs brach mit der Erinnerung an die Toten des Ersten Weltkriegs ab. Die folgenden Katastrophen wollte Boyle wohl nicht in die dann doch simplifizierende Form von Tanzeinlagen und analogen Bühnentricks überführen. Stattdessen richtete er im zweiten Teil ein musical-ähnliches Patchwork an, zu dem sich Elemente aus der Geschichte der britischen Sozialfürsorge und der englischen Kinderliteratur auf eine wundersame Weise zusammenfügten. Immer wieder durchsetzt mit visuellen Überraschungen, wie die vom Himmel niedersinkenden Figuren der Mary Poppins, die all die bösen Geister und Gespenster der konkurrierenden Kinderliteratur vertrieben.Der dritte Teil schließlich bot eine rasante Schnipseljagd durch die populäre Kultur Großbritanniens – von projizierten Zitaten aus den Fernsehserien des Landes bis zu Ausschnitten aus vielen Songs der englischen Popmusikgeschichte; so wurde auch ein Titel der Sex Pistols eingespielt, den die Queen vermutlich noch nicht allzu häufig gehört haben wird. Sie selbst war in einer der vielen selbstironischen Momente der Feier in einem Einspielfilm von James Bond persönlich im Buckingham Palace abgeholt und dann per Hubschrauber ins Stadion begleitet worden, wo sie – wollte der Schnitt der Weltregie suggerieren – per Fallschirm zu den Zuschauern herabsank. Diese ironischen Brüche setzte Boyle immer wieder dann ein, wenn die Feier in Gefahr stand, zu pathetisch zu werden und sich damit selbst zu wichtig zu nehmen.Würdiges SchlussbildAuch in anderen Punkten unterlief Boyle die Erwartungen, als er für Live-Acts die Arctic Monkeys wie den Rapper Dizzee Rascal verpflichtete, während man die Schlussnummer mit Paul McCartney, der um 1.36 Uhr und damit nach dreieinhalb Stunden die Feier mit „Hey Jude“ beendete, fest erwartet hatte. Aber auch bei jener Szene, auf der gleichsam der größte Erwartungsdruck lastete, nämlich der Entzündung des olympischen Feuers im Stadion, entschied sich der Regisseur für eine die ErwartungWen unterlaufende Geste: Kein prominenter Veteran, sondern sieben jugendliche Sportler entzündeten mehrere kleine Feuer, aus denen sich dann so viele weitere Feuer bildeten, wie Länder an den Spielen teilnehmen, ehe sich diese vielen Flammen zu einer großen vereinten. Ein würdiges Schlussbild einer stets gelöst wirkenden Feier, die nie im Pathos erstarrte. Und die nicht allein für die Fernsehzuschauer zelebriert wurde, sondern auch und vor allem für die Zuschauer im Stadion und die einmarschierenden Sportler.An all dem konnte selbst Wolf-Dieter Poschmann nichts ändern, der mit zwei Ex-Sportlern das Ereignis live für das ZDF kommentierte, auch wenn er sich alle Mühe gab, mit dümmsten Sprüchen, vielen Fehlwahrnehmungen und jede Menge Unkenntnis