Eine hervorragende Einheit

Neoliberalismus Lexikon der Leistungsgesellschaft: Sozialismus oder Orgasmus auf Knopfdruck – warum sich entscheiden?
Ausgabe 30/2019

Schnell, effizient, ergebnisorientiert – so ist er, der Womanizer. Das Sex-Toy, das die Klitoris durch pulsierende Druckwellen stimuliert, ist der Shootingstar der vergangenen Jahre; der Mercedes-Benz, oder zeitgemäßer ausgedrückt: das iPhone der Branche. Millionenfach hat sich der Womanizer aus Deutschland bereits weltweit verkauft. Dank der Technik, dank des Images; und dank des Kapitalismus. Dazu später mehr.

Zunächst zu den emanzipatorischen Seiten dieses Wundergeräts: Auf seiner Homepage pocht der Hersteller auf das Recht der Frau auf einen Orgasmus.Und in der Tat: Im Netz schwärmen die Fans, dank der Orgasmusmaschine zum ersten Mal überhaupt einen Höhepunkt erlebt zu haben. Und dann auch noch so effizient: „98 Prozent aller Benutzerinnen kommen in weniger als fünf Minuten“, wird der Womanizer beworben. Und auf Bewertungsportalen wissen die Käuferinnen dies zu schätzen. Dank des Womanizers lässt sich zwischen zwei Meetings mal schnell ein Orgasmus einschieben.

„Mein Leben ist eng getaktet – es muss bei mir schnell gehen“ und „Ich nehme ihn mit in die Dusche – zwei Dinge auf einmal zu erledigen, bin ich gewohnt“, schwärmen zwei Frauen in einem lesenswerten Artikel über das Wunderteil, der Anfang des Jahres im SZ-Magazin erschienen ist. Nur von der Zeitschrift Brigitte kommen auch kritische Töne: Es sei ein komisches Gefühl, „das Gerät nur auf eine Stelle zu halten und innerhalb von Sekunden so stark stimuliert zu werden – eine Art Fast-Food-Orgasmus“.

Ob der Womanizer das Sexleben verbessert, ist zumindest umstritten. Weitgehend unumstritten ist hingegen, dass der Sozialismus einen positiven Einfluss auf das Liebesleben hat. Was in den 1980er Jahren bereits der DDR-Sexualwissenschaftler Kurt Starke herausfand, behandelt nun die US-amerikanische Ethnologin Kristen R. Ghodsee ausführlich in ihrem Buch Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben, das Ende Oktober auch in deutscher Sprache erscheint. Dafür hat Ghodsee Interviews mit Frauen in Ost- und Westdeutschland aus den 1980er Jahren ausgewertet. Und siehe da: Frauen in der DDR hatten doppelt so viele Orgasmen wie die Frauen im Westen. Jedenfalls vor dem Mauerfall.

Als Grund nehmen die Wissenschaftlerinnen an, dass Frauen in den realsozialistischen Ländern ökonomisch unabhängiger waren: weniger Stress, bessere Kinderversorgung und wer schwanger wurde, musste nicht um den Job fürchten. Kinder alleine zu erziehen, war im Vergleich zum Westen ein geringeres Problem. Kurzum, das Beziehungs- und Liebesleben war weniger an Versorgungsängste geknüpft. Einem Mann zu dienen, damit dieser einen ernährt, war weniger lebensnotwendig. Frauen konnten sich leichter scheiden lassen, Abtreibungen waren in der DDR legal. Im Westen musste das Heimchen nicht nur den Herd, sondern sich auch den Mann warmhalten, im Osten ging es vergleichsweise selbstbestimmter zu. Und freudiger.

Sex und Sozialismus bildeten auch schon für die russische Revolutionärin Alexandra Kollontai eine hervorragende Einheit. Sie, die erste Ministerin der Welt, pochte auf das Recht auf Sex, der für Männer wie Frauen zum Leben dazugehöre und etwas Natürliches wie Hunger und Durst sei. Kollontai war klar, dass die Befreiung der Frauen eine ökonomische Basis brauche. Finanzielle Abhängigkeit vom Mann steht der Emanzipation entgegen. Jede Frau habe das Recht, zu begehren und Kinder sorgenfrei aufzuziehen.

Der Womanizer versucht sich an einer technischen Lösung innerhalb des Bestehenden, aber er rüttelt wohl kaum an der Basis. Wie schön wäre das Leben mit einem Orgasmusgerät also erst im Sozialismus – mit viel mehr Zeit für viel mehr Orgasmen?

Sebastian Friedrich ist Journalist und führt in dieser Kolumne sein 2016 als Buch erschienenes Lexikon der Leistungsgesellschaft fort, welches veranschaulicht, wie der Neoliberalismus unseren Alltag prägt

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