Kurt Biedenkopf, der erste und überaus erfolgreiche Ministerpräsident des Bundeslandes Sachsen, hat unter dem Titel Ringen um die innere Einheit umfangreiche Aufzeichnungen aus seinem Tagebuch von August 1992 bis September 1994 veröffentlicht. Der Zeitausschnitt ist wohl nicht zufällig gewählt. 1992 war Sachsen richtig in Fahrt gekommen und die nächsten zwei Jahre waren Arbeitsjahre, in denen fast alles gelang. Seither weiß jeder, dass in den neuen Bundesländern Sachsen unumstritten die Nummer eins ist – was den wirtschaftlichen Erfolg angeht.
Wertvoll ist Biedenkopfs Tagebuch im Feld der politischen Literatur, weil es bisher kein Werk gibt, in dem die Arbeit eines Länderchefs so kompetent, detailliert und eingängig dargestellt worden ist wie hier. Das ist bei der föderalen Struktur der Bundesrepublik gar nicht hoch genug einzuschätzen. Wer dieses Buch gelesen hat, hat etwas gelernt. Hoffentlich lesen es viele.
Aber man ist auch „König Kurt“ begegnet, wie ihn vermutlich viele in Erinnerung haben. Helmut Kohl geht es in Bonn immer schlechter. Biedenkopf versäumt keine Gelegenheit, das zu registrieren. Kohl, hofft man in Dresden, wird bald stürzen. Biedenkopf, so klingt es immer wieder an, soll sich für Bonn bereithalten. Ein Gespräch mit Richard von Weizsäcker wird erwähnt, in dem sich beide einig sind, dass Kohl keine vierte Amtszeit bekommen dürfe. Das hätte der frühere Bundespräsident gewiss nicht gern gelesen, denn so hat sich keiner seiner Vorgänger und Nachfolger gegen einen Kanzler positioniert, wie es hier erscheint.
Dass Biedenkopf den Abdruck seines Tagebuchs im September 1994 enden lässt, führt zu einer charakteristischen Pointe. Am 11. des Monats sind sächsische Landtagswahlen, ein Triumph. Die CDU holt 58,1 Prozent der Stimmen, es sind Biedenkopf-Stimmen. Der letzte Satz hier, eine Woche später notiert, lautet: „Der Rohbau steht, das Richtfest ist gefeiert. Lasst uns denn wieder ans Werk gehen!“ Hätte er seine Aufzeichnungen nur wenige Tage weitergeführt und veröffentlicht, könnten wir lesen, wie er den Sieg Helmut Kohls bei den Bundestagswahlen registriert. Das wollte sich der König nicht zumuten.
Ein subjektiver Eindruck nach der Lektüre soll nicht verschwiegen werden. Biedenkopf tat viel, für Wirtschaft, Struktur der Regierungsarbeit, der Verwaltung, der Parteiorganisation. Was aber eine CDU zur CDU macht, zur Partei für die Republik, davon erfährt man wenig. Vielleicht deshalb ist Sachsen heute zwar das wirtschaftlich erfolgreichste, politisch aber rückständigste ostdeutsche Bundesland.
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