Eine Mauer gegen Roma

Tschechien Rechtsradikale Stimmungen entladen sich vor allem gegen die Minderheit der Roma

Schon 1977 hatte die Oppositionsbewegung mit der Charta 77, die auch vom derzeitigen Präsidenten Vaclav Havel unterzeichnet wurde, bemängelt, dass im Bildungswesen der damaligen CSSR so gut wie keine Gleichberechtigung für die Volksgruppe der Roma herrsche. Doch auch nach der Wende vom Dezember 1989, als die Regierung der KPC gestürzt wurde, blieb eine wirkliche soziale Integration dieser Minderheiten aus. Es kam sogar soweit, dass 1993 mit der Auflösung der Tschechoslowakischen Föderativen Republik (CSFR) in die beiden Staaten Tschechien und Slowakei Hunderttausende Roma über Nacht staatenlos wurden, weil ihnen die Regierung in Prag die Staatsbürgerschaft verweigerte.
Ein Bericht der UN-Kommission zur "Eliminierung rassischer Diskriminierung" hat nun nach mehr als einem Jahrzehnt der Systemtransformation festgestellt, dass 75 Prozent der Roma-Kinder Sonderschulen für geistig zurückgebliebene Schüler zum Teil ohne sachliche Begründung und gegen den Willen ihrer Eltern besuchen müssten und dadurch in ihren beruflichen Chancen massiv eingeschränkt sind. Diese Form der Diskriminierung ist einer der Gründe dafür, dass die Erwerbslosenquote der Roma im Landesdurchschnitt augenblicklich bei etwa 70 Prozent liegt.
Vielmehr als dem realsozialistischen Erbe ist es offenbar den sozioökonomischen Umbrüchen mit und nach der Wende geschuldet, dass vor allem in den nordböhmischen Industrieregionen Intoleranz und rechte Gewalt zeitweilig bedenkliche Ausmaße annahmen. Die Angst vor Überfremdung und westlichen Einflüssen vermochten Anfang der neunziger Jahre rechtsradikale Bewegungen mit einigem Erfolg für sich zu nutzen. Bei der Parlamentswahl von 1992 etwa erhielt die 1989 gegründete Vereinigung für die Republik/Republikanische Partei (SRP-RSC, seinerzeit 55.000 Mitglieder) nicht zuletzt aufgrund ihrer nationalistischen Hetze gegen Roma und Juden unter ihrem "Führer" Miroslaw Sladek knapp sechs Prozent der Stimmen, ein Ergebnis, das die SRP-RSC vier Jahre später sogar auf 8,1 Prozent steigern konnte. Inzwischen allerdings verfügt die Partei über keinen nennenswerten Einfluss mehr, nachdem sie bei im Juni 1998 anberaumten Neuwahlen mit 3,9 Prozent einen Wiedereinzug in das Prager Abgeordnetenhaus verpasste.
Zeichen für ein Schwinden des Rechtsradikalismus? Präsident Vaclav Havel sprach kürzlich in einem Interview von einer "tschechischen Ausformung des Provinzialismus", der sich in einer Europaskepsis und einem Verhaltensmodell äußere, das "auf einem egozentrischen Verhältnis zur übrigen Welt" beruhe. In der Tat war der nationalpatriotische Firnis des vor der Abstimmung am 14./15. Juni 2002 geführten Wahlkampfes nicht zu übersehen. Der Erfolg der Sozialdemokratischen Partei (CSSD) bei diesem Votum war ohne Zweifel auch darauf zurückzuführen, dass die Debatte um die Benes?-Dekrete just in dieser Zeit wieder so heftig entbrannt war wie seit der deutsch-tschechischen Erklärung von 1997 nicht mehr.
Schließlich darf ebenso nicht übersehen werden, dass die Roma weiterhin wie Fremde im eigenen Lande behandelt werden. Auf welche breite Akzeptanz in Tschechien der Anti-Ziganismus treffen kann, wurde erst 1998/99 deutlich, als die städtischen Behörden in Usti nad Labem, ohne dass es zu irgendwelchen Protesten der Bevölkerung gekommen wäre, die Gettoisierung der Roma organisierten: Die Polizei sperrte im Stadtteil Nestemice zunächst die Mietskasernen der Roma zu der von Tschechen bewohnten Siedlung durch Stacheldraht ab, dann errichteten Bauarbeiter eine 65 Meter lange und 1,80 Meter hohe Mauer. Der Oberbürgermeister der nordmährischen Industriestadt, der das Bauwerk als Symbol von "Recht und Ordnung" pries, verweigerte zunächst eine Ortsbesichtigung für die Arbeitsgruppe Roma-Fragen des Europa-Rates. Erst als daraus ein handfester internationaler Skandal zu werden drohte, der die EU-Anwartschaft Tschechiens erheblich belastete, intervenierte die Prager Regierung und zwang die lokalen Behörden zum Einlenken. Ein gravierender Kurswechsel in ihrer Roma-Politik blieb jedoch aus.

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