In der Frankfurter Allgemeinen vom 11. Juni geißelt der SPD-Vorsitzende unter dem Titel Das soziale Deutschland den Neoliberalismus der CDU und warnt davor, sich vor den sozialen Herausforderungen unserer Zeit wegzuducken. Politische Freiheit werde mit Privatisierung verwechselt - klagt Beck - der solidarische Bürger zum egoistischen Bourgeois degradiert. Das klingt nicht übel. Aber wo sind Konsequenzen für die praktische Politik? Wo bleibt das offene Bekenntnis zur Korrektur des bisherigen Kurses?
Die SPD hat mit ihrem Kanzler Schröder und ihrem damaligen Parteichef Müntefering den neoliberalen Kurs ganz wesentlich mitgeprägt. Es gab die Wende von Lafontaine als Finanzminister zu Eichel, die Subvention von Minijobs, die Agenda 2010. Die unter Kohl begonnenen Privatisierungen öffentlicher Einrichtungen wurden fortgesetzt, Hartz IV und ein erhöhtes Renteneintrittsalters beschlossen - alles ganz wesentlich das Werk von Sozialdemokraten. Dabei will ich gern gelten lassen, die SPD hat mit dem scheußlichen Abriss wichtiger sozialer und demokratischer Errungenschaften nicht begonnen. Das Lambsdorff-Papier von 1982 war ohne und gegen die SPD formuliert worden, aber die Partei hat sich diesem Trend maßgeblich angepasst.
Findet nun ein Kurswechsel statt? Beck rühmt sich: "Wir haben durch nötige Reformen in den letzten Jahren die Weichen für einen neuen Aufschwung gestellt." Das ist der übliche Blödsinn. Nehmen wir ihm die gute Absicht zur Umkehr dennoch ab - wie müsste die Praxis aussehen?
Betrachten wir nur die Personalpolitik. Beck hat zwei ausgewiesene Neoliberale als stellvertretende Parteivorsitzende nominiert: Außenminister Steinmeier war bei Schröder Chef des Kanzleramtes und hat als solcher ganz wesentlich die Agenda 2010 propagiert. Das so genannte Kanzleramtspapier vom Dezember 2002, zugleich ein Abschied und ein Bruch der Versprechen gegenüber den Gewerkschaften im Wahlkampf 2002, war die Vorlage für den Kurswechsel hin zum neoliberalen Durchmarsch im Frühjahr 2003. Genauso steht es um Peer Steinbrück. Er glaubt an die neoliberale Theorie von der Bedeutung gesenkter Unternehmenssteuern und wirbt für den Verkauf öffentlicher Wohnungsunternehmen an börsennotierte internationale Fonds. Werden diese beiden zu Becks Adjutanten kann das die neoliberale Färbung der SPD nur verstärken. Das Gleiche gilt für die als Schatzmeisterin nominierte Barbara Hendricks.
Nähme Beck seine Neoliberalismuskritik wirklich ernst, müsste er postwendend Franz Müntefering als Vizekanzler und damit obersten SPD-Repräsentanten in der Regierung aus dem Amt entfernen. Müntefering hat die Rente mit 67 in einer Zeit verfügt, in der 50-Jährige in die Arbeitslosigkeit oder 58-Jährige in den Vorruhestand entlassen werden, was nicht zuletzt dem Zweck dient, das Vertrauen in das Leistungsvermögen der solidarischen Altersvorsorge zu zerstören. Wenn es künftig bei einem Renteneintritt mit 65 einen Abschlag von zweimal 3,6 Prozent gibt, ist das ein Signal an die Jungen, privat vorzusorgen. Eine politische Entscheidung zur Förderung der Versicherungswirtschaft.
Wenn Beck kritisiert, dass heute "die politische Freiheit mit Privatisierung verwechselt" wird, sollte er sich einmal anschauen, was derzeit auf Basis des ÖPP-Beschleunigungsgesetzes geschieht, das kurz vor Ende der Regierung Schröder im Sommer 2005 durchgepeitscht wurde. Ein öffentliches Unternehmen nach den andern gerät unter das Joch der Teilprivatisierung. Was besonders sozialdemokratische Kommunal- und Landespolitiker in Jahrzehnten mithilfe der Steuerzahler an öffentlichem Vermögen aufgebaut haben, wird zusehends gefleddert. Warum tritt der SPD-Chef nicht gegen diesen Privatisierungsrausch auf? Dann wüssten SPD-Kommunalpolitiker zumindest, was ihr Vorsitzender von diesem Ausverkauf hält, an dem etliche Parteifreunde persönlich verdienen.
Kurt Beck beklagt weiter, durch den Hang zum Neoliberalismus würden geregelte Verhandlungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern "durch die einseitig ausgeübte Vormachtstellung der Kapitalgeber ersetzt". Auch diese Kritik könnte sofort in praktische Politik münden. Beck müsste dazu nur seinen Minister Steinbrück bei der nächsten Präsidiumssitzung bitten, in der ihm übertragenen Eigenschaft als Vertreter des Kapitalgebers Bund die Telekom-Führung zu ermahnen, bei den festgefahrenen Verhandlungen mit Ver.di nicht nur das Kapitalinteresse im Blick zu haben. Der Hintergrund: in der Verantwortung von sozialdemokratischen Bundesfinanzministern wurden 4,5 Prozent des Bundesanteils an der Telekom an die amerikanische "Heuschrecke" Blackstone verkauft. De facto hat der Bund schon bei der Auswahl des neuen Telekom-Chefs Obermann die Macht in diesem Konzern an den Minderheitsaktionär abgegeben. Hier wäre wirklich eine Intervention des SPD-Chefs gegen "die einseitig ausgeübte Vormachtstellung der Kapitalgeber" nötig, weil bei einem Sieg der Strategie von Obermann (und Blackstone) die Schleuse für Lohndrückereien auch andernorts weit geöffnet wird.
Als weitere wichtige praktische Folge aus der geäußerten Kritik Becks am Neoliberalismus ergäbe sich noch ein Auftrag an den SPD-Finanzminister: Nachdem eine übernationale Kontrolle der Hedgefonds (s. Freitag 23/07) und anderer Akteure auf den Finanzmärkten beim G 8-Treffen in Heiligendamm gescheitert ist, muss jetzt national geschehen, was national möglich ist. Niemand kann uns daran hindern, die von Schröder und Eichel zum 1. Januar 2002 eingeführte Steuerbefreiung für Gewinne beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen wieder abzuschaffen.
Nur einige wenige Beispiele dafür, wie aus den neuen Tönen Kurt Becks praktische Politik werden könnte, sollte ernst gemeint sein, was er formuliert hat. Jedenfalls macht die Schwalbe Mindestlohn noch keinen Sommer.
Der Autor ist Herausgeber der NachDenkSeiten.de / Zuletzt ist von ihm das Buch erschienen: Machtwahn Wie eine mittelmäßige Führungselite uns zugrunde richtet. Droemer Verlag 2006; Hardcover 19,90; Taschenbuch 8,95 Euro.
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