Eine soziale Therapie für den Exportjunkie

Gastkolumne In seinem Gastkommentar plädiert Verdi-Chefvolkswirt Michael Schlecht für ein beschäftigungswirksames soziales Gegenkonzept zur gegenwärtigen Lohndumping-Politik

Wir werden von der schwersten Wirtschafts- und Finanzmarktkrise seit 70 Jahren überrollt. Selbst die Regierung prognostiziert ein Schrumpfen der Wirtschaft um sechs Prozent. Früher waren die Einbrüche nie schärfer als minus 0,9 Prozent. Und es droht ein Anstieg der Arbeitslosigkeit auf fünf Millionen. Beruflich bedingt diskutiere ich mit anderen seit langem über das heraufziehende Unheil. Allerdings überrascht jetzt die Härte und Geschwindigkeit.

Die Regierungen haben unser Land in eine Sackgasse geführt. Jetzt stehen wir vor der Betonmauer. Immer höhere Exporte, so lautete die Strategie. 2002 lag der Exportüberschuss bei 100 Milliarden und wurde bis 2008 auf 160 Milliarden Euro gesteigert – in der Summe gigantische 900 Milliarden Euro. Länder, wie zum Beispiel die USA, die weniger exportieren als sie importieren, müssen sich verschulden. Bei den Ländern, die einen Exportüberschuss aufweisen – wie Deutschland, China und Japan.

Mit dem Platzen der Kreditblase bricht die schuldenfinanzierte Nachfrage zusammen. Absatzmärkte schrumpfen, die Weltwirtschaft kommt ins Trudeln. Besonders betroffen sind Exportjunkies wie Deutschland.

Wegen der „Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit“ wurde hierzulande der Druck auf die Lohnkosten ständig erhöht. Die Regierung drängte mit der „Agenda 2010“ immer mehr Menschen in prekäre Beschäftigung. Durch Lohndumping konnten deutsche Unternehmer immer mehr exportieren. Gleichzeitig kam die Kaufkraft im Lande nicht vom Fleck, die Binnennachfrage stagnierte. Jetzt, wo der Export zusammenbricht, wird dies besonders schmerzlich deutlich.

Der internationale Konkurrenzkampf wird an Schärfe dramatisch zunehmen. Hierzulande wird der Schlachtruf von der „internationalen Wettbewerbsfähigkeit“ umso schriller ertönen. Regierung und Unternehmer werden den Druck auf Arbeitsbedingungen und Löhne erhöhen. Da eine neuerliche Verschuldung vieler Länder nicht möglich und wünschenswert ist, wird eine Rückkehr zur alten Exportdynamik nicht gelingen. Jedoch droht eine weitere verhängnisvolle Beschneidung der Binnennachfrage.

Deshalb plädiere ich für ein soziales Gegenkonzept: Befristungen, Leiharbeit und Minijobs müssen zurückgedrängt und abgeschafft werden. Das Arbeitslosengeld II muss auf 500 Euro erhöht werden. Kurz: Die gesamte „Agenda 2010“ gehört auf den Misthaufen der Geschichte. Und ich trete für einen gesetzlichen Mindestlohn von 8 Euro ein, der schnell auf 10 Euro ansteigt. Dies ist sozialer und eine gestärkte Binnennachfrage ist wirtschaftspolitisch notwendig. Zudem werden so auch Importe erhöht und Ungleichgewichte im Außenhandel abgebaut.

Ein Umsteuern in der Wirtschaft muss zudem mit zwei Millionen zusätzlichen, tariflich abgesicherten Arbeitsplätze flankiert werden: eine Million im öffentlichen Dienst, eine weitere Million in der Privatwirtschaft. So werden bessere Bildung und Erziehung möglich, bessere Pflege in Krankenhaus und Altenheim. Der ökologische Umbau und die Infrastruktur kommen voran. Die exportlastige Wirtschaft kann mehr auf den Binnenmarkt umgesteuert werden. Etwa mehr Windräder als dicke Karossen für den Export. Und Beschäftigte, die in Exportbetrieben ihren Job verloren haben, erhalten eine neue Perspektive. Ein solches Zukunftsprogramm im Umfang von 100 Milliarden Euro jährlich kann durch die fünfprozentige Millionärssteuer und andere Steuern für Reiche finanziert werden. Das bringt jährlich 160 Milliarden Euro Mehreinnahmen.

Kluge Forderungen allein richten wenig aus. Das habe ich in jahrzehntelanger Erfahrung als Tarifpolitiker gelernt. Nur mit Aktionen und Streiks haben wir uns durchgesetzt. Auch in der politischen Auseinandersetzung ist möglichst viel „Unruhe“ wichtig für gesellschaftlichen Fortschritt. Ich bin mir sicher: Wird die Linke bei Wahlen gestärkt, wird unser Land sozialer.

Michael Schlecht ist Chefvolkwirt von Verdi und Mitglied im Vorstand der Linkspartei

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