Eine Tür geht auf

Film In „Phoenix“ erzählt Christian Petzold von Schwindelgefühlen der Geschichte im Nachkriegsberlin
Ausgabe 39/2014
Ronald Zehrfeld und Nina Hoss
Ronald Zehrfeld und Nina Hoss

Bild: Presse

Mit Phoenix geht etwas zu Ende, der neue Film von Christian Petzold wird eine Zäsur im Werk des Regisseurs bilden. Der Tod von Harun Farocki Ende Juli raubt Petzold künftig einen wichtigen Partner, creditiert als Ko-Autor, für die gemeinsame Arbeit. So verdankt sich schon die Anregung zu Phoenix dem Freund und Kollegen, wie Petzold in Interviews erzählt; Farocki war es, der ihm in den 80er Jahren das Buch Der Asche entstiegen des Franzosen Hubert Monteilhet gegeben hatte.

Das bildet nun die Vorlage für die unerhörte Geschichte, die Phoenix entfaltet: Nelly, eine jüdische Deutsche, Sängerin, kommt nach Berlin zurück, als der Krieg aus ist. Sie hat eine Kopfverletzung, ihr Gesicht muss operativ wiederhergestellt werden, ihr einstiger Gatte, Johnny (Ronald Zehrfeld), der sie am Klavier begleitet hat und nun einfache Dienste tut in einer Bar, die von US-Amerikanern frequentiert wird, erkennt sie nicht. Nur die Ähnlichkeit zu seiner Frau, die er umgebracht in den Lagern wähnt – weshalb er mit Nellys Hilfe an deren Vermögen zu kommen versucht.

Die Geschichte ist 1965 bereits von J. Lee Thompson verfilmt worden, mit Ingrid Thulin und Maximilian Schell in den Hauptrollen (der deutsche Titel lautete seinerzeit: Eine Tür fällt zu). Das ist bei einem klugen Regisseur wie Petzold nicht die einzige Referenz, die Phoenix umgibt. Die Geschichte von ein und derselben Frau, die den Interessen männlichen Begehrens folgend sich selbst ähnlich gemacht werden muss, hört im Kino auf den Namen Vertigo, Alfred Hitchcocks einflussreichen Film von 1958. Einen weiteren Hintergrund von Phoenix bilden Petzolds eigene Filme, vor allem jene mit Nina Hoss, die hier Nelly spielt – also Toter Mann (2002), Wolfsburg (2003), Yella (2005), Jerichow (2008) und Barbara (2012).

So sieht das pittoresk verfallene Krankenhaus, in dem Nelly zu Beginn von Phoenix von einem unterhaltsam-zynischen Arzt (Michael Maertens) nach Wünschen bei der plastischen Chirurgie befragt wird (Zarah Leander ist als Modell gerade nicht mehr so en vogue), wie der Schauplatz aus Barbara aus – der Ort, an dem Nina Hoss als titelgebende Ärztin arbeitete, auch wenn realitätsgeschichtlich über 30 Jahre dazwischenliegen. Aber Christian Petzolds Werk bezeichnet in seiner ästhetischen Strenge eine eigene Welt, in der leicht variiert die Abstraktion eines Melodrams gegeben wird, dem es egal ist, vor welchen historischen Hintergründen es spielt. In Barbara war die DDR eine Christian-Petzold-Landschaft, nun ist es das Nachkriegsberlin.

Filmemachers Affäre

Was nicht heißt, dass Phoenix sich nicht für Geschichte interessiere würde. Für die zumeist um Verdrängung bemühte deutsche Nachkriegsfilmhistorie bilanziert der Film die Situation nach 1945 nüchtern. Durch den Disput zwischen Nelly und ihrer Freundin Lene (Nina Kunzendorf) schaut der Betrachter auf die Geschichte zu Beginn durch zwei jüdische Perspektiven: die Lenes, die aus dem deutschen Verbrechen die Verpflichtung für den neuen Staat in Palästina ableitet, und die Nellys, die ihr altes Leben zurück will – und dafür in Kauf nimmt, dass ihr der Mann bei der Rekonstruktion hilft, der sie vermutlich verraten hat.

Phoenix (2014) von Christian Petzold – Trailer

Phoenix erzählt in großer Strenge, die sich nicht immer sicher ist, wie sehr sie die theatral-artifiziellen Bilder in die geschmeidige Routine eines Genrefilms überführen kann. Immer wieder gibt es Szenen, die unendlich langsam und unklar hölzern wirken, um dann in einer ungemein präzisen Darstellung zu resultieren. Den größten Effekt macht in diesem Sinn der Schluss, an dem die wiederhergestellte Nelly ihrem alten Leben sich präsentiert, um nicht zu sagen: sich zu erkennen gibt.

Die Unentschiedenheit von Phoenix lässt sich auch durch die Darstellerinnen illustrieren. Während Nina Hoss den ersten Teil des Films nicht zu sehen ist hinter ihrem Verband, bringt Nina Kunzendorf einen ungewohnten Ton in die Reduziertheit eines Petzold-Films: Anstelle von Hoss’ Minimalismus regiert plötzlich das souveräne Kunzendorf’sche Flöten und Greinen, das selbst da, wo es einer Angestellten nur ein Wort mit auf den Weg gibt, wie fröhliche Lyrik klingt. Insofern wäre Phoenix auch der Film, in dem Christian Petzold mit einem anderen Modell des Schauspiels flirtet, ehe er doch zu dem zurückkehrt, mit dem er seit langem liiert ist. Mal sehen, was diese Affäre für die Zukunft bedeutet.

Phoenix Christian Petzold D 2014, 98 Minuten

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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