Es gibt Wohnungsbaugesellschaften, die vermieten ihre großen Gebäudekomplexe nicht an Ausländer, denn das würde den Marktwert senken: Ein Haus in einem Wohnviertel, in dem viele Ausländer leben, bringt weniger Geld ein. Das ist, meinen viele, unmoralisch. Nach geltendem Recht ist es zulässig. Aber nicht mehr lange, jedenfalls, wenn es nach dem Willen des Bundesjustizministeriums geht. Das Mittel: Antidiskriminierungsgesetz (ADG). Herta Däubler-Gmelin möchte damit ein Zeichen setzen gegen Intoleranz und Diskriminierung. Anlass für das jüngste Gesetz aus dem Hause der eifrigen Ministerin, das wie schon das Staatsbürgerschafts- oder das Lebenspartnerschaftsgesetz wiederum höchst umstritten ist, ist die sogenannte Anti-Rassismus-Richt
ssismus-Richtlinie der EU, die bis zum Sommer nächsten Jahres in deutsches Recht umgesetzt werden muss. Sie sieht das Verbot vor, Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer "Rasse" zu diskriminieren. Künftig sollen Vermieter, Versicherer oder Verkäufer gezwungen werden, auch mit Angehörigen solcher Gruppen, die ihnen aus irgendwelchen Gründen nicht in den Kram passen, Verträge zu schließen. Tun sie es nicht, wird eine Entschädigung fällig. Das gute Werk aus Brüssel zugunsten der ethnischen Minderheiten weckte Begehrlichkeiten auch bei anderen Interessengruppen. Ergebnis: Ins deutsche Bürgerliche Gesetzbuch soll ein Paragraph aufgenommen werden, der Diskriminierungen verhindert: Sei es wegen "Rasse", ethnischer Herkunft, Geschlecht, Behinderung, sexueller Identität, Alter, Religion oder Weltanschauung. Bislang ist eine solche Konstruktion vor allem den Jobsuchern bekannt. Nach § 611a des BGB, auch dieser Paragraph basiert auf Europarecht, müssen Stellenausschreibungen geschlechtsneutral formuliert sein. "Deine Nase passt mir nicht", dieser Spruch taugt in Zukunft nicht mehr, um einen Vertragsschluss, zum Beispiel in der Berufswelt, zu verhindern - jedenfalls solange die Nase für eines der Merkmale steht. Stark wird die Regelung durch eine Beweislastumkehr: Kann ein Betroffener ernsthaft behaupten, es könnte eine Diskriminierung vorliegen, müsste der vermeintlich Diskriminierende seine tolerante Einstellung nachweisen. Das kann schwierig werden. Noch vor der Bundestagswahl wollen die Reformer das Antidiskriminierungsgesetz verabschieden lassen. Doch, was gut gemeint ist, findet nicht jeder gut, und nicht jeder gut gemacht. Lobbies laufen Sturm, der Bundeskanzler hat vorerst die Powerfrau Däubler-Gmelin im Kabinett zurückgepfiffen. Selbst beim Deutschen Anwaltstag vergangene Woche in München gab es mit dem ADG-Entwurf keine Sympathien zu gewinnen, obwohl den Rechtsanwälten ein Haufen neuer Verfahren winken könnte. Vor allem die Lobbies der Wohnungseigentümer und Versicherungen stellen sich quer, sie sehen ihre Freiheiten beschnitten. Auch die etablierten Kirchen warnen, mit der Aufnahme von Religion und Weltanschauung in den Antidiskriminierungskatalog könnten unliebsame Sekten ein Kampfinstrument erhalten. Ein Vermieter, der Scientology ungern einen Raum geben möchte, könnte sich womöglich nicht mehr wehren. In der Tat wirft die pauschale Regelung Fragen auf: Was ist mit Jugendermäßigungen oder Seniorenwohnanlagen? Was ist, wenn sich ein Vermieter auf seine tiefen religiösen Überzeugungen beruft, und deshalb andere Religionsgemeinschaften nicht im Hause will? Wo bleibt der Schutz für Alleinerziehende? Ministerialrat Jürgen Schmidt-Räntsch kündigte beim Deutschen Anwaltstag an, dass Alter und Religion beziehungsweise Weltanschauung vermutlich aus dem Katalog gestrichen werden. Um die Kriterien "Rasse" und ethnische Herkunft kommt man - der EU sei Dank - nicht herum. Behinderung, Geschlecht, sexuelle Identität, das sind die Streitpunkte, mit denen rot-grün über die Vorgaben aus Brüssel hinausgeht. Beim Anwaltstag jubelten die Juristen nicht dem Ministerialrat zu, sondern dem erzliberalen Rechtsprofessor Eduard Picker aus Tübingen. Ihm geht es in seiner Kritik am "sozialengagierten Gutmenschentum" des Bundesjustizministeriums nicht um Vordergründigkeiten, ob nun Homosexuelle die Ehre oder bloß ein grünes Wahlgeschenk brauchen. Picker geht es um die Privatautonomie, um die Freiheit des Einzelnen, seinen Willen durchzusetzen, so unvernünftig der Wille sein mag: "Ein Staat, der seine offizielle Moral dem Bürger durchs Gesetz aufdrängen will, entwickelt etwas Totalitäres." So wichtig die Anliegen seien, warnt Picker, so wenig dürfe man den bevormundenden Staat zulassen. Jeder soll selbst entscheiden dürfen, mit wem er Geschäfte macht. Ein besonders heikler Punkt ist die Beweislastumkehr: Man stelle sich ein biederes Ehepaar vor, das ein trautes Heim sein Eigen nennt. Die Einliegerwohnung, die bislang die Kinder bewohnten, will man nun vermieten. Ein Schwuler bewirbt sich, aber Schwule mag das biedere Ehepaar nicht, schon gar nicht im eigenen Heim. Also verweigert man ihm den Mietvertrag und gibt die Wohnung lieber einem anderen. Nach dem neuen Gesetz könnte der Schwule das Ehepaar vor Gericht zerren, und wenn dies den Seelenstrip nicht will, nicht darlegen will, dass es, ach wie rosig, gar nichts gegen Homos hat, dann muss es womöglich zahlen. Einen solchen mittelbaren Druck zum Vertragsabschluss gab es bislang nur bei Monopolstellungen: Der einzige Wasserversorger im Ort muss auch die Haushalte beliefern, die er lieber nicht beliefern würde. Oder, wie es das Landgericht Karlsruhe kürzlich entschied: Der baden-württembergische Sängerverband muss auch einen schwulen Chor in seinen Reihen dulden - wenn er als Dachverband ein Monopol auf den guten Ton hat. Schmidt-Räntsch vom Bundesjustizministerium versteht die Aufregung nicht und empfiehlt einen Blick ins Ausland: Was in Deutschland noch so heftig umstritten sei, funktioniere in Großbritannien reibungslos, ja, sei anerkannt. Ohne den Race Discrimination Act beispielsweise hätten Inder und Pakistani nie Zugang zu den feinen "weißen" Stadtvierteln in London erhalten. "Auch in Deutschland gibt es Diskriminierung, und wir sehen uns in der Pflicht, dagegen endlich einen Bewusstseinswandel einzuleiten." Abzuwarten bleibt, in wessen Pflicht sich der Kanzler vor der Wahl noch sieht.
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