Eine Zukunft, die nicht statt fand

Witzig und lasziv Thomas Ostermeier inszeniert Fassbinders "Ehe der Maria Braun" an den Münchner Kammerspielen

Ein Kuhhandel: Maria Braun tauscht Zigaretten gegen die Brosche der Mutter, diese gegen eine Flasche Korn und ein Abendkleid, in diesem ihren Körper gegen Geld und Lektionen in der englischen Sprache. So geht es immer weiter, erklimmt Maria die Leiter des Wirtschaftswunderdeutschlands, bis sich ihr Haus en miniature auf der Bühne dreht - eine schöne Hülle, die ebenso leer ist wie Maria. Denn die Liebe außerhalb jeder ökonomischen Abhängigkeit, die sie imaginiert, gibt es nicht. Und so steht Maria am Ende mit noch leereren Händen da wie der märchenhafte Tauscher "Hans im Glück".

30 Jahre nach Gründung der BRD fasste Rainer Werner Fassbinders Film Die Ehe der Maria Braun präzise die Stimmung der Jahre zwischen Kriegsende und Fußball-WM 1954 zusammen. Maria steht dabei für eine ganze Generation von Frauen: Sie heiratet Hermann Braun im Krieg, kämpft sich auf dem Schwarzmarkt durch, beginnt ein Verhältnis mit dem schwarzen Soldaten Bill. Als sie vom heimkommenden Hermann überrascht werden, erschlägt sie den Lover. Hermann geht an ihrer Stelle ins Gefängnis, während sie als Referentin des Strumpffabrikanten Oswald Karriere macht, um für die erwartete Rückkehr ihres Mannes eine gesicherte Zukunft aufzubauen.

Doch diese Zukunft findet nie statt. Nach seiner Entlassung verschwindet Hermann und kehrt erst nach dem Tod Oswalds zurück. Gemeinsam erben sie dessen Vermögen. Jetzt erfährt Maria, dass sie, die "Mata Hari des Wirtschaftswunders", selbst nichts weiter war als Ware und Vertragsgegenstand. Fassbinders kommerziell erfolgreichster und international wirksamster Film ist dabei keine bloße Geschichtsstunde, sondern eine politisch-ökonomische Analyse im Geist der Siebziger. Vordergründig erzählte er sie als Melodram in der Tradition Douglas Sircks, hinterging aber eine Identifikation mit der Titelheldin durch irritierende Kamerabewegungen und Hintergrundgeräusche.

Mit dem Drehbuch von Peter Märthesheimer und Pea Fröhlich übernimmt Thomas Ostermeier an den Münchner Kammerspielen auch die Tonspur: Adenauers Reden gegen und für eine Remilitarisierung Deutschlands, Presslufthammergeräusche, Herbert Zimmermanns WM-Reportage. Wes Geistes Kind die Frauen aus Marias Generation sind, hatte Ostermeier gleich zu Beginn gezeigt: Marschierende BDM-Mädel, verzückt jubelnde Frauen und Bomber werden auf die Bühnenrückwand projiziert. Die Trümmerfrauen und Mütter des Wirtschaftswunders kamen direkt aus dem Dritten Reich und bauten, pragmatisch verdrängend, das Land wieder auf. Sowohl Nina Wetzels saalartiger Raum voller Sessel, durch gerundete Träger gegliedert und von silbergrauen Vorhängen begrenzt, wie Ulrike Gutbrods Kostüme zitieren den daraus entstehenden Wirtschaftswunderstil. Käseigel und Neonröhrenlüster, Schlager-, Heimatfilm- und Werbezitate erinnern an die imaginierte heile Welt der Zeit. Merkwürdig distanziert und schnell läuft das auf der Bühne ab - ein Déjà-vu-Erlebnis zum Film im Zeitraffer.

Doch dabei bleibt es nicht. Ostermeier konfrontiert diesen Realismus mit einem klaren Bekenntnis zur Eigendynamik der Bühne. Szenenanweisungen werden eingelesen, eine Nebelmaschine auf der Bühne eingesetzt. Ein Umbau geschieht während des Spiels. Kleidungsstücke wechselnd ihre Besitzer und Bedeutungen. In einer Restaurantszene heben die Kellner nach dem ersten Gang die beiden Teller aus, lassen sie wie in einem Jongleurs-Trick durch aller Hände gleiten, um sie schließlich als zweiten Gang vor die Speisenden zu platzieren.

Ebenso fließend wie diese Szenen sind die Rollen der Männer. Steven Scharf, Jean-Pierre Cornu, Hans Kremer und Bernd Moss wechseln fliegend die Kostüme und Geschlechter, während Brigitte Hobmeier ausschließlich Maria bleibt, die sie als eine Fantasie über Hanna Schygulla - Fassbinders Maria - anlegt. Sie trägt die gleiche Pudelfrisur, öffnet ihr Haar ebenso lasziv; ihr Schlafzimmerblick und ihre Gesten sind dabei die einer Diva und einer Hure - sie ist Schmerzensmutter mit kindlicher Anmut und bleibt doch stets die Unberührbare.

Ostermeier entdeckt viel Witz in Fassbinders Vorlage, kostet die Travestie-Nummern aus, inszeniert absurdes Ballett. Gerade hier, wo er sich vom Vorbild zu entfernen scheint, ist er ganz nah bei ihm. Denn durch den Witz wie durch die offenen theatralen Mittel gelingt es ihm, für Fassbinders Illusionsbrüche und Identifikationsverweigerung eine neue, eigenständige Bühnensprache zu finden.


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