Einen Espresso pro Jahr gespart

Italien Mitte-Links behauptet sich in drei von sieben Regionen, ein Referendum reduziert die Zahl der Abgeordneten um ein Drittel
Ausgabe 39/2020
Eine Pressekonferenz mit Italiens Premier Salvini kurz nach dem Referendum zur Reduzierung der Parlamentssitze
Eine Pressekonferenz mit Italiens Premier Salvini kurz nach dem Referendum zur Reduzierung der Parlamentssitze

Foto: Piero Cruciatti/AFP/Getty Images

Am Ende war es weniger knapp als befürchtet: Auch für die nächsten fünf Jahre werden die Toskana und Apulien von Mitte-Links regiert. Mit dem erwarteten Erfolg in der Campania endete der „election day“ am 20. und 21. September vier zu drei für die Rechten, die erwartungsgemäß in Ligurien, Venetien, dem Aosta-Tal und den Marken vorn liegen. Besonders der Wahlausgang in der Toskana war mit Spannung erwartet worden. In der ehemals roten Hochburg hätte ein Sieg der Lega und ihrer Bündnispartner dem rechten Lager landesweit Auftrieb gegeben und womöglich auch die in Rom regierende Koalition aus Partito Democratico (PD) und Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento Cinque Stelle/M5S) wanken lassen. Entsprechend groß war der Aufwand, den die Allianz aus der Lega, den postfaschistischen Fratelli d’Italia und Berlusconis Forza Italia betrieben hat. Mit Blick auf die Wähler der „Mitte“ gab man sich moderat und spielte die möglichen nationalen Auswirkungen des Urnengangs herunter. Spitzenkandidatin war die 33-jährige Susanna Ceccardi, Europaabgeordnete der Lega, eine wegen ihrer Eloquenz bei den Medien beliebte Interviewpartnerin, zugleich eine beinharte Rechtsauslegerin. Landesweit bekannt wurde sie mit ihrem Ansinnen, John Lennons Imagine aus den Schulen zu verbannen: Es handele sich um ein „kommunistisches und marxistisches Lied“, weil darin nicht nur vom Frieden, sondern auch von der Abschaffung des Privateigentums gesungen werde. Andere Länder – andere Wahlkampfthemen.

Nach ihrer Niederlage wird Ceccardi wieder nach Brüssel entschwinden. Matteo Salvini dagegen bleibt. Allerdings haben ihn die Niederlagen in der Toskana und Apulien geschwächt, zumal sein innerparteilicher Konkurrent Luca Zaia die Wahl in Venetien mit sensationellen 74 Prozent für sich entschieden hat. Im Regierungslager wiederum haben sich die Gewichte zugunsten des Partito Democratico (PD) verschoben, der in der Toskana 35 Prozent holte. Die Fünf-Sterne-Bewegung verlor überall deutlich, und auch die vom PD abgespaltene Gruppierung Italia Viva des ehemaligen Premiers Matteo Renzi kam selbst in ihrer Stammregion um Florenz über 4,5 Prozent nicht hinaus. Linke Bündnislisten liegen überall im Bereich von drei Prozent und darunter.

Eine zweifelhafte Reform

So konnte sich PD-Sekretär Nicola Zingaretti als strahlender Sieger präsentieren. Er war in den regionalen Wahlkämpfen – im Unterschied zu anderen Führungskadern seiner Partei – überall präsent. Im Stile eines Torjägers, der gerade dreimal getroffen hat, lobt er die Mannschaft. Nun komme es darauf an, die Milliarden aus dem Recovery Fund der EU sinnvoll einzusetzen und Gelder des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) für den Ausbau des Gesundheitswesens zu nutzen. Letzteres verheißt neuen Streit mit den Fünf Sternen, die den ESM grundsätzlich ablehnen. Ansonsten versucht diese Partei, ihre Wahlniederlage herunterzuspielen. Luigi Di Maio, ihr einstiger „capo politico“, der ein baldiges Comeback anstrebt, reklamiert nun das Ergebnis des Verfassungsreferendums, das landesweit parallel zu den Regionalwahlen stattfand, als persönlichen Erfolg. Bei einer Wahlbeteiligung von 54 Prozent votierten mehr als zwei Drittel der Abstimmenden dafür, die beiden Parlamentskammern (Abgeordnetenkammer und Senat) von 945 auf insgesamt 600 Mandate zu verkleinern. Dieses Herzensanliegen der Fünf Sterne hatte der PD stets abgelehnt. Erst kurz vor dem Wahltag war Zingaretti umgeschwenkt – wohl auch um den römischen Koalitionsfrieden nicht zu stören. Etwas zu viel Opportunismus gegenüber einer höchst zweifelhaften Reform, die von ihren Urhebern vor allem mit damit verbundenen Einsparungen gerechtfertigt wird. Nach unabhängigen Erhebungen, in die auch alle Folgekosten miteinbezogen wurden, sind diese freilich minimal. Pro Kopf der Bevölkerung gerechnet, könnte man davon jedem Italiener einen Espresso spendieren – pro Jahr.

Der politische Schaden ist ungleich größer, weil die Reduzierung der Mandate einer angemessenen politischen Repräsentanz eher schadet. Kleinere linke Listen werden es nun schwerer haben, Kandidaten durchzubringen. Eine Wahlrechtsreform, die so offensichtlichen Verfälschungen des Wählerwillens entgegenwirkt, wird zwar diskutiert, ist aber von der Umsetzung her weit entfernt. An Stoff für Streit unter den in Rom regierenden Parteien fehlt es also nicht, auch wenn der „election day“ eher undramatisch verlaufen ist.

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