Ob Homo-Ehe, Steuerreform oder die mittlerweile schon legendäre Abstimmung zum Zuwanderungsgesetz: Im Bundesrat wird Bundesparteipolitik gemacht. Gerhard Schröder hat dies, im Vakuum der Ungewissheit am Wahlabend über die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag, ungewohnt deutlich zugegeben - natürlich verbunden mit der üblichen Aufforderung an die Union, die nötigen Reformen im Bundesrat nicht zu blockieren. Aber es ist bemerkenswert, dass der Bundeskanzler das ausgesprochen hat, was für alle offensichtlich ist: Die Instrumentalisierung des Bundesrats für parteipolitische Ziele.
Länderinteressen, die zu wahren der Bundesrat eigentlich die Aufgabe hat, stehen bei dessen Arbeit selten im Vordergrund - sondern Parteibeschlüsse. Das ist langfri
st langfristig wenig befriedigend. Der berühmte "große Wurf" gelingt nicht, wenn Bundestag und Bundesrat von verschiedenen Lagern regiert werden und die Bundesratsmehrheit ihre parteipolitischen Einzelinteressen auf dem Weg der Ländervertretung durchsetzt. Und großer Würfe bedarf es gerade in den nächsten vier Jahren einiger: Das Gesundheitssystem muss stabilisiert, die Arbeitsmarktpolitik in einen größeren Zusammenhang gestellt und die ökologische Ausrichtung Deutschlands dringend intensiviert werden. Für Rot-Grün wird es nach der Wiederwahl nicht eben leichter: Schon kurz nach der Wahl hat Horst Seehofer eine Blockadepolitik im Bundesrat angekündigt, auch wenn Edmund Stoiber das schnell relativierte.Eine Große Koalition wäre nur scheinbar ein Ausweg aus dem Dilemma gewesen - eine Koalition mit verfassungsändernder Mehrheit steht per se unter dem Verdacht von Selbstzufriedenheit und Behäbigkeit. Andererseits: Niemand kann die Ländervertreter zwingen, sich an Länderinteressen statt an Parteibeschlüssen zu orientieren. Die strukturelle Crux der Institution Bundesrat: Die Länder verfügen nur noch über rudimentäre eigene Kompetenzen, sind mehr und mehr zu Verwaltungskörperschaften des Bundes geworden. Im Gegenzug regieren sie über den Bundesrat in die immer weitgehenderen Gesetze des Bundes hinein.Die Situation hat sich mit dem Streit um die Sitzverteilung im Vermittlungsausschuss in der vergangenen Woche noch zugespitzt. Das gemeinsame Gremium der beiden Organe besteht aus jeweils 16 Vertretern von Bundestag und Bundesrat. Aufgrund der bisherigen Machtverhältnisse stellten Rot-Grün neun und Schwarz-Gelb sieben der Bundestagsvertreter. Weil Rot-Grün im neuen Bundestag nicht mehr soviel stärker als Schwarz-Gelb ist, forderte die Union eine Aufteilung im Verhältnis 8:8. Die SPD lehnt dies ab: Die rot-grüne Mehrheit im Parlament müsse sich auch in der Besetzung des Ausschusses wiederfinden. Das leuchtet ein und entspricht dem staatsrechtlichen Grundsatz, demzufolge Ausschüsse in verkleinerter Form das Kräfteverhältnis im Bundestag möglichst präzise wiederspiegeln sollen. Aber: Für die SPD könnte es sich mittelfristig als Pyrrhussieg erweisen, auf diesen Grundsatz zu pochen. Die Union hat nämlich die Möglichkeit, auf Bundesratsseite nachzuziehen: Von dort werden derzeit jeweils acht Vertreter von unions- bzw. sozialdemokratisch geführten Ländern in den Vermittlungsausschuss entsandt. Das entspricht zwar der Anzahl der von den beiden Parteien geführten Länder, nicht aber deren jeweiligem Gewicht. Hier hat die Union mit 35 zu 34 Stimmen leicht die Nase vorn. Besteht die SPD auf einer Verteilung der Bundestagssitze im Vermittlungsausschuss entlang der Mehrheit, könnte die Union analog dazu im Vermittlungsausschuss neun der 16 Bundesratssitze fordern. Das Patt wäre nach einem kurzen Slalom wiederhergestellt.Dem grundsätzlichen Problem ist weder durch Sitzarithmetik noch durch den obligatorischen Gang nach Karlsruhe beizukommen. Die Lösung wäre vielmehr eine Verständigung aller Parteien darauf, die Rolle der Länder und des Bundesrates neu zu bewerten. Die Länder sollten erheblich mehr Kompetenzen erhalten, auch fiskalische, damit ihre Eigenstaatlichkeit wieder deutlicher wird und sie in einen Wettbewerb der Ideen eintreten können. Im Gegenzug sollten sich die Länder bei Bundesratsabstimmungen darauf beschränken, Länderinteressen wahrzunehmen. Sicher: Erzwingbar wäre ein solches Abkommen nicht. Der politischen Kultur stünde es jedoch gut an. Der zweite Teil der Abmachung müsste eine Rückbesinnung auf die Grundfunktion des Vermittlungsausschusses sein: Statt dort wie bisher zu proben, welchem der beiden Lager beim Tauziehen der Strick zuletzt aus der Hand fällt, sollte wieder der Ausgleich zwischen Bundes- und Länderinteressen im Mittelpunkt stehen.Die Bildungspolitik im Windschatten der Pisa-Studie und die mit ihr untrennbar verbundenen familienpolitischen Aufgaben bieten sich als Probe eines solchen föderalistischen "New Deals" an. Hier könnten SPD wie Union zeigen, wie ernst es ihnen mit der Modernisierung des Landes wirklich ist.