Einer für alle

Nachruf Weil es Birol Ünel gab, gab es uns auch, konnte, durfte es uns geben. Uns Ausländer und Ausländerkinder. In wem sonst sollten wir uns wiederfinden?
„Gegen die Wand“ machte ihn uns bekannt.  So grandios gescheitert wie Birol Ünel ist keiner von uns. Zumindest nicht öffentlich
„Gegen die Wand“ machte ihn uns bekannt. So grandios gescheitert wie Birol Ünel ist keiner von uns. Zumindest nicht öffentlich

Foto: imago images/United Archives

Birol Ünel ist tot. Das macht mich traurig. Nicht nur, weil er Gastarbeiterkind war, wie ich, darauf möchte ich ihn nicht reduzieren, sondern weil er so ein wunderbarer Schauspieler war, der seine Rollen auf eine so körperlich schmerzhaft spürbare Weise verkörperte, dass man allein vom Zuschauen schon mitten in seinem eigenen Trauma war. Denn weil es Birol Ünel gab, gab es uns auch, konnte, durfte es uns geben. Uns Ausländer und Ausländerkinder. Uns gescheiterte Selbstmörder. In wem sonst sollten wir uns wiederfinden, als in ihm, in unserer Generation gab es nicht so viele bekannte KünstlerInnen in Deutschland.

Fatih Akin hat ihn uns gezeigt. In „gegen die Wand“, vor die wir längst gefahren waren oder noch immer unseren Kopf dagegen stießen. Uns Alkoholiker von Alkoholikervätern. Uns saufende Moslems. Türken, Jugos, Albaner – und die Anderen, die Italiener, Griechen, Bulgaren, Rumänen, Portugiesen, Polen, Russen. Uns „Ihr sollt es mal besser haben als wir“, die wir an diesem großen Auftrag nur scheitern konnten. Aber so grandios gescheitert wie Birol Ünel ist keiner von uns. Zumindest nicht öffentlich. So sichtbar. So verletzlich. So wunderschön. Sich nicht zu verlieben in Birol Ünels Schmerz, in seine Traurigkeit, in sein seelenvolles Gesicht, in seine uns so vertraute Physiognomie, war unmöglich.

So wie er waren wir, die wir uns selbst nicht zu lieben vermochten. So wie er waren unsere Väter, die es nicht vermochten, ihre selbst empfangenen Schläge nicht an uns weiterzugeben, und die uns dennoch glaubhaft liebten. Vor fünf Wochen starb mein Vater, nun Birol Ünel, ein Albaner, ein Türke, beide Moslems, beide Repräsentanten ihrer jeweiligen Generation von Gastarbeitern und deren Nachkommen. Mein Vater, Bajram Kukic, Schlosser, starb mit 74, Birol Ünel, Schauspieler, mit 59. Beide zu früh, but...how much is a little..? In die Trauer um meinen Vater mischt sich die Trauer um Birol Ünel. Früher, wenn wir als Kinder im Sommer von Deutschland aus in die Heimat fuhren, bedauerten wir immer die Türken, da sie, wenn wir nach zwei vollen Tagen endlich angekommen waren, in Jugoslawien, nochmal dieselbe Strecke vor sich hatten, mit ihren vollgepackten Autos, bei der Hitze, mit den vielen Kindern. Wir standen gemeinsam im Stau. Jetzt bist Du früher da als ich, gute Reise, Kollega von andere Baustelle. Mein Mitgefühl den Hinterbliebenen, ich wünsche Ihnen sabr.

Nermina Kukic, 49, ist Schauspielerin und Autorin und lebt in Düsseldorf. Sie ist keine Alkoholikerin und ihr Vater war über 30 Jahre vor seinem Tod „trocken“. Er starb würdevoll, vielgeliebt und respektiert

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden