Günther Krause: Einer ist immer der Loser

Vergessener Einheitsmacher Seine Zeit als Bundesverkehrsminister dürfte wohl die bislang unbedeutendste Zeit in seinem Politikerleben gewesen sein

„Ah, da isser ja“, lauthalste taktvoll Regine Hildebrandt, als sich Ex-DDR-Staatssekretär/Ex-Bundesverkehrsminister Günther Krause in den Saal des einstigen DDR-Pressezentrums stahl. Die de Maizière-Regierung zelebrierte im geschichtsträchtigen Raum noch einmal eine Pressekonferenz, weil das Haus danach umgebaut werden sollte. Das war vor zwei Jahren, und Krause nahm eine der für ihn schon damals selten gewordenen Gelegenheiten wahr, öffentlich zu sein.

Journalisten werden mehr oder weniger regelmäßig von ihren Fehlurteilen oder Irrtümern eingeholt, doch selten ist das so klar wie im Fall Günther Krause: Am 8. März 1991 hatte ich im Freitag in einem Beitrag unter der Überschrift „Des Kanzlers Krause“ befunden: „Wer sich so oft wie Krause aus dem Fenster beugt, muß damit rechnen, dass zu gegebener Zeit wieder nachgefragt wird.“ Mein Irrtum: Wie sich geraume Zeit später herausstellen sollte, ist Günther Krause erstens wohl doch nie so richtig des Kanzlers Krause gewesen (und Schäubles Krause schon gar nicht...), und zweitens: Obwohl er sich auch nach seinem Ausscheiden aus der Bonner Politik immer wieder aus jeglichen sich ihm bietenden Fenstern zu beugen versuchte: Nachfragen, die er damit vielleicht stimulieren wollte, blieben meistens aus – der Politiker Krause war eines Tages nicht mehr gefragt. Nicht einmal regional. Er geriet nur noch als Pleitier in die Zeitungen und als einer, dessen Privatprobleme von der Boulevardpresse breitgetreten wurden, Stichworte: Putzfrauenaffäre, Ehescheidung. War Krause überschätzt worden?

Ob Kohl oder Schäuble, mit dem er als DDR-Staatssekretär den Einigungsvertrag ausgearbeitet haben will, ihn auch überschätzt hatten, darf angezweifelt werden. Die wussten, was sie an ihm hatten: einen brauchbaren Mann. Mehr nicht. Aber natürlich auch nicht weniger.

Dabei hatte sich für den Wismarer Informatiker der Wechsel gut angelassen. Krause, so hatte es einst an den Stammtischen der Wismarer Technischen Hochschule geheißen, sei immer zur rechten Zeit da und zur rechten Zeit krank gewesen. Gemeint waren mit dieser – selbstverständlich übel gemeinten – Nachrede jene Probleme, die Professor Krause bei technischen Versuchen hatte: Immer, wenn das von ihm entwickelte Computerprogramm für den Containerumschlag gestestet werden sollte, soll ihn eine gnädige Grippe davor bewahrt haben, im Rostocker Hafen seinem wissenschaftlichen Scheitern beiwohnen zu müssen. Da habe auch die Etikettierung des Projekts als „Parteitagsinitiative“ wenig geholfen. Öder Wissenschaftlertratsch. Und zudem Schnee von vorvorgestern. Aber als der Kanzler rief, war Krause eben nicht „krank“.

Auch das ist lange her, doch nach wie vor einigermaßen rätselhaft. Denn Krause, obwohl seit seiner Studentenzeit in Weimar CDU-Mitglied, war politisch nie sonderlich aufgefallen. Weder so, noch so – weder als Dissident, noch als „Durchsteller“. Und seine inzwischen fast vergessene Äußerung, in der er die neuen Möglichkeiten für Ostdeutsche, jetzt unbegrenzt billige Ananas essen zu können, gepriesen hatte, kann es ja wohl auch nicht gewesen sein, die ihn legitimierte, in Bonn an den Tisch zu dürfen. Denn als er das sagte, war er ja schon auserwählt.

Vielleicht verfielen Kohl Schäuble auf ihn, weil er sich so gut auf Versprechungen verstand. Es dürfte schon damals klar gewesen sein, dass die meisten nicht eingehalten werden würden. Aber für das, was Krause versprach, waren schlecht Kohl oder Schäuble haftbar zu machen. Dachten sie. Die Berliner Zeitung vom 17. Juli 1995 erinnerte an ein Krause-Versprechen von 1990: „Die Tatsache, dass der Einigungsvertrag auch die Festlegung enthält, dass die DDR-Sparer für ihren 2:1 getauschten Betrag zu einem späteren Zeitpunkt ein verbrieftes Anteilsrecht am volkseigenen Vermögen erhalten, wertete Dr. Krause als eingelöstes Wahlversprechen der Ost-CDU, deren Fraktionsvorsitzender er ist.“

Nachdem die politischen Eliten der Altbundesrepublik ihr erstes Einheitsheu in der Scheune hatten, wurde Krause zur Verwendung frei. Doch seine Zeit als Bundesverkehrsminister dürfte, so wir die Archivlage als Indiz nehmen wollen, wohl die bislang unbedeutendste Zeit in seinem Politikerleben gewesen sein. Er machte nicht einmal mit einem einspurigen Transrapid von sich reden.

Inwiefern er nur den ostdeutschen Watschenmann abgab, der einfach nicht begriffen hatte, wann er den Mund aufzumachen und wann er ihn geschlossen zu halten habe, bedürfte näherer Untersuchung. Doch selbst wenn Krauses Scheitern nicht nur mit seiner mangelnden Kompetenz und seinem leicht blasierten Naturell zu tun gehabt haben sollte, sondern mit seiner (geographischen) Herkunft – auf eines kann sich Günther Krause hundertprozentig verlassen: Er wird weit und breit von fast niemandem bemitleidet, weder in Ost noch in West. Da muss er durch. Wenn er überhaupt noch will. Es hat nicht eben viele Leute gegeben, die sich darüber wunderten, dass er im Frühsommer 1997 wegen des Verdachts von Steuerhinterziehung in die Medien kam. Lieber schlecht als gar nicht vorkommen? Auch als der Spiegel im Oktober 1998 nachlegte und über ein „Elf-Geheimtreffen mit Ex-Minister Günther Krause“ schrieb, das es Ende 1992 gegeben habe und bei dem es um die Verscherbelung der Minol-Tankstellen gegangen sein soll, wurde sich nicht gewundert. Da spielt es absolut keine Rolle mehr, ob die Verdächtigungen richtig oder falsch waren – ist der Ruf erst ruiniert ...

Zum zehnjährigen Wende-Jubiläum fand im Kloster Neuzelle, Märkisch-Oderland, eine Art „Loser-Treffen“ statt: Der letzte DDR-Kulturminister und später als Brandenburgischer SPD-Kulturpolitiker geschasste Herbert Schirmer hatte Björn Engholm und Günther Krause zu öffentlicher Debatte eingeladen. Krause sagte auf dieser Veranstaltung: „Nur vierzig Prozent der im Einigungsvertrag vereinbarten 5.500 Regelungen sind überhaupt erfüllt worden“. Leider oder glücklicherweise?

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