Einer weniger

Türkei Wirklich frei war die Presse im Land nie, Erdoğan schafft die Pressefreiheit endgültig ab. Der Chefredakteur von Cumhuriyet Can Dündar sitz nun in Haft
Ausgabe 19/2016
Dündar ist für Erdoğan ein Verbrecher
Dündar ist für Erdoğan ein Verbrecher

Bild: Bulent Kilic/AFP

Ob er jemals daran gedacht habe, das Land zu verlassen, wurde Can Dündar kürzlich gefragt. Nein, antwortete der Chefredakteur von Cumhuriyet. „Wenn die Verteidigung der Demokratie in der Türkei einen Preis hat, dann müssen wir den bezahlen. Dazu gehört auch, im Gefängnis zu sitzen.“

Dündar, der zu den wichtigsten Journalisten der Türkei zählt, wird diesen Weg nun gehen. Denn das Gericht verurteilte ihn zu fünf Jahren Haft. Dabei hatte er, streng genommen, noch Glück. Denn ein Mann schoss vor der Urteilsverkündung auf ihn. Glücklicherweise war es nur ein Streifschuss.

Dündar, Chef der linksliberalen türkischen Tageszeitung, und sein Hauptstadtbüroleiter Erdem Gül sind für Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan Verbrecher. Die Zeitung, eines der letzten unabhängigen Medien des Landes, hatte 2015 Fotos veröffentlicht, die Lastwagen des türkischen Geheimdienstes zeigen sollen, die Waffen über die Grenze nach Syrien transportieren. Daraufhin wurde ermittelt – gegen Dündar.

Dündars Geschichte steht für die beiden widerstreitenden publizistischen Kulturen. Hier Staatslenker Erdoğan, der rund 2.000 Journalisten, Satiriker, ja selbst Schüler verfolgen lässt. Dort Autoren und Schriftsteller, die vor nichts Angst zu haben scheinen. „Meine Straftat besteht aus einem Artikel, der die Regierung der Lüge überführt“, schrieb Dündar aus dem Gefängnis.

Wirklich frei war die Presse in der Türkei nie, aber Erdoğan schafft die Pressefreiheit nun ab. Regelmäßig bemüht er Gerichte, wenn ihm die Kritik zu weit geht. Legendär sind die Beleidigungsklagen des Staatspräsidenten. Ein Heer von Anwälten überzieht Kritiker im In- und Ausland mit Klagen. Der Satiriker Jan Böhmermann, der wegen seines Schmähgedichts von Erdoğan wegen Beleidigung verklagt wurde, ist also nur einer von vielen.

Dennoch birgt gerade diese Klage eine besondere Ironie – denn Erdoğan selbst saß einst, 1999, wegen Zitierens eines Gedichtes vier Monate im Gefängnis. 2002, als die von ihm mitgegründete AKP die Wahl gewann, kündigte er an: „Wir wollen eine Türkei, in der niemand wegen seiner Gedanken, Meinungen oder weil er ein Gedicht vorgetragen hat, ins Gefängnis kommt.“

Aber es kam ganz anders. Nach der Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ ist die Türkei binnen Jahresfrist von Platz 149 auf Platz 151 in der Rangliste der Pressefreiheit abgestiegen. Die Reporter listen Fälle ausgewiesener und inhaftierter Journalisten, Überfälle von Anhängern der Regierungspartei AKP auf Redaktionen, Nachrichtensperren, politisch motivierte Steuerfahndungen oder die Unterstellung von regierungskritischen Medien unter einen Zwangsverwalter auf.

Der Politikwissenschaftler Dündar gehört seit Jahren zu dem prominentesten Journalisten des Landes. Er schrieb für die Tageszeitungen Hürriyet und Sabah, arbeitete als Fernsehmoderator und produzierte 2008 eine vielbeachtete Dokumentation über den Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk. In diesem Film zeigte er den immer noch als „unantastbar“ geltenden Atatürk als Lebemann und Trunkenbold. Nebenher schrieb Dündar mehr als 20 Bücher zu politischen und gesellschaftlichen Themen.

Seit 2012 ist er Chefredakteur der Cumhuriyet. Er verpasste ihr eine neue Blattlinie. Zuvor war die Zeitung streng nationalistisch. Unter Dündar wurden sogar Sonderausgaben auf Arme-nisch gedruckt. Und Mohammed-Karikaturen veröffentlicht.

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