Das Phänomen Schill Marco Carini und Andreas Speit suchen in ihrem Buch "Ronald Schill. Der Rechtssprecher" Gründe für dessen Erfolg mit rechtspopulistischen Slogans
Vor Wochen debütierte Hamburgs Innensenator Schill vor dem Deutschen Bundestag. Am Ende dieses Auftritts, der anlässlich der Debatte über die Flutopferhilfe stattfand, stand ein politischer Eklat: Ausländerfeindliche und rassistische Ausfälle führten zum Entzug von Mikrophon und Rederecht - und der Hamburger Senat hatte eine Regierungskrise. Dass das bundespolitische Debüt des Begründers der Schill-Partei keine Überraschung darstellt, beweist die Neuerscheinung Roland Schill. Der Rechtssprecher. Hier arbeiten Marco Carini und Andreas Speit sorgfältig und detailgenau die Geschichte eines Mannes auf, der in der Politiklandschaft für Überraschungen sorgte: So gelang es Schill auf einzigartige Weise, in nur wenigen Monaten eine nach i
ine nach ihm benannte Partei zu gründen, die auf Anhieb mit 19,4 Prozent in ein Landesparlament einzog.Es liegt auf der Hand, diese Erfolgsgeschichte als seine persönliche Errungenschaft zu werten, zumal sich der gesamte Parteiapparat auf Schill als Medienmagnet konzentriert. Doch in diese, die Wirkungsweise einer Einzelperson überschätzende Interpretationsfalle stolpern Carini und Speit dankenswerterweise nicht. Vielmehr schärft ihre umfassende Analyse den Blick auf jene Bedingungen, die das Phänomen Schill erlauben. Dass im Zuge dieser Untersuchung einige Entwicklungen zu Wort kommen, die auch im nationalen und europäischen Rahmen greifen, ist in diesem Kontext nur angemessen. Schließlich ist es bedenkenswert und zugleich erschreckend, dass knapp 150.000 WählerInnen einer bundesdeutschen Großstadt eine deutlich erkennbare Programmatik gutheißen, die jede differenzierte Sichtweise zugunsten von Sündenbockpolitik verabschiedet. Rechtspopulismus nennen Carini und Speit dieses Erscheinung, die sie sorgfältig auf seine Überschneidungen und Unterschiede zum Rechtsextremismus hin untersuchen. Da mittlerweile viele europäische Länder vom ihm heimgesucht worden sind, ist diese Genauigkeit notwendig.Zwar dominieren in der Schill-Partei klassisch rechtsextreme Themen wie Innere Sicherheit und Ausländerkriminalität sowie die Schwäche des National- und Wohlfahrtsstaats. Dennoch sehen Carini und Speit den entscheidenden Unterschied in der Argumentationsform, die sich die "Verteidigung des Wohlstands und der Sicherheitsbedürfnisse der gesellschaftlichen Mitte" auf die Fahnen schreibt. Schill argumentiere nicht biologistisch und nationalistisch, so Carini und Speit, aber er nutze gesellschaftliche Ausgrenzungsmechanismen gegenüber sozialen und politischen Randgruppen: Sozialhilfeempfänger, Langzeitarbeitslose, Asylbewerber, Drogenabhängige, jugendliche Straftäter und Obdachlose sind Zielgruppen, mit denen Schill und seine Partei unbarmherzig ins Gericht geht. Indem den "Anderen" mit Repression gedroht werde, wird der Gegner für die "eigene" Verunsicherung festgemacht: Eine klassische Figur des Rechtspopulismus, die auf der anderen Seite Marktradikalismus nicht ausschließt. Zugleich wird linksgerichteten politischen Gegnern eine generelle Gewaltbereitschaft unterstellt und den etablierten Parteien Dekadenz und festgefahrene Strukturen ("der Hamburger Filz") sowie fehlendes Durchgreifen und Täterschutz im Bereich der Kriminalität. So dienen, folgt man Carini und Speit, der Schill-Partei soziale Ressentiments, ohne sogleich als rechtsextremistisch gebrandmarkt zu werden. Dabei seien die personellen Überschneidungen, trotz öffentlicher Distanzierung von rechtsextremistischem Gedankengut, unverkennbar. Die Schill-Partei beherbergt ehemalige Mitglieder der Republikaner, der DVU sowie anderer rechtsextremer Splittergruppen und Burschenschaften.Dass Schill und seine Parteigenossen am liebsten kräftig nach unten treten, während sie gesellschaftlich Etablierte verschonen, beweisen zahlreiche Skandale, von denen Carini und Speit unermüdlich berichten. So werden demokratische Prinzipien wie die Trennung von Amt und Mandat außer Kraft gesetzt, finden rechtsradikale und wegen Gewaltdelikten vorbestrafte Leibwächter bei Schill eine Anstellung, werden Wirtschaftskriminalität und eine Verquickung mit dem Rotlichtmilieu bei Parteigängern festgestellt. Hiermit hat Schill offensichtlich weniger Probleme als beispielsweise bei Asylbewerbern, die ihre Aufenthaltsgenehmigung fälschen, um arbeiten zu können. Als Richter verurteilte er deswegen einen Libyer zu 16 Monaten Haft, da sein Arbeitswille angesichts von Arbeitslosigkeit "besonders verwerflich und sozialschädigend" sei. Hier zeigt sich, mit welcher Janusköpfigkeit und Doppelmoral sich die Schill-Partei etabliert. Trat sie an, um Kriminalität zu bekämpfen, so ist es insbesondere die Straffälligkeit von gesellschaftlich Ausgegrenzten, die gebrandmarkt werden soll.Durch die Pleiten und Pannen, wie Carini und Speit herausstellen, erweist sich gleichfalls Schills geschickte Medientaktik: Die Angriffe des Gegners vorwegnehmend und einkalkulierend, gelingt es Schill, trotz haarsträubender Verstöße gegen demokratische Prinzipien, sich zum Opfer von Diffamierungskampagnen zu gerieren. Diese Sichtweise verstärkt sein popularisiertes Bild des Anti-Politikers. Als Rächer der kleinen Leute zieht Schill ins Politikfeld und sammelt dabei WählerInnenstimmen, die auf der Suche nach einer Führungspersönlichkeit sind und die "einfache Wahrheiten" lieben. Und dafür liebt sie Schill zurück: "Wer den Stammtisch verteufelt, verteufelt das Volk", so seine Devise. In Hamburg haben die etablierten Parteien Schills Siegeszug nicht aufhalten können. Auch hier bieten Carini und Speit einen überzeugenden Grund: Anstatt soziale und demokratische Konzepte und Errungenschaften zu verteidigen, folgte die Hamburger Parteienlandschaft Schills thematischen Vorgaben in vorauseilendem Gehorsam und bereitete so den Boden für eine steigende Entsolidarisierung mit jeder und jedem, die sich zu Randgruppen zählen können. Und das, so könnte man meinen, hat in Deutschland Tradition.Marco Carini, Andreas Veit: Ronald Schill-Der Rechtssprecher. Konkret-Literaturverlag, Hamburg 2002, 205 S., 15 EUR
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