Diplomatie der Defizite Die vermisste "europäische Position" zu einem möglichen Krieg gegen den Irak zeigt, wie sehr die einst hofierte "Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" der EU Fiktion blieb
"Außenpolitik soll Generalstabsarbeit für den Frieden sein", hatte Willy Brandt bereits 1964 formuliert. Und mit der "Europäischen Sicherheitsordnung", von der Jahrzehnte später viel gesprochen wurde, schien man sich dieser "Generalstabsarbeit" verschrieben zu haben. Dann aber entfernte sich die "Sicherheitsordnung Europas" von einer "Europäischen Friedensordnung". Ein Vorgang, der parallel zur wirtschaftlichen Integration der EU ablief. Je mehr man sich ökonomisch vernetzte, desto weniger war man zu koordinierter Sicherheitspolitik in der Lage.
Die im Amsterdamer Vertrag geschaffenen Instrumente und Mechanismen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik wird die neue Bundesregierung nutzen, um die EU auf dem Feld der internationalen Politik handlungsf
n Politik handlungsfähig zu machen und die gemeinsame Vertretung europäischer Interessen voranzutreiben." Was in der rot-grünen Koalitionsvereinbarung von 1998 noch gut klang, ist vier Jahre später kaum noch das Papier wert, auf dem es geschrieben wurde. Natürlich war es nicht die Bundesregierung allein, ihre wichtigsten Partner verhielten sich kaum anders, doch unter der Schröder-Fischer-Ägide wurde die Chance, eine eigenständige europäische - und deutsche - Außenpolitik zu betreiben, vertan. Da sie aber gleichzeitig objektiv notwendiger wurde, ist der Schaden beachtlich, den abzuwenden die Amtseide von Regierungschef und Außenminister verlangt hätten. Die jetzt allenthalben vermisste "europäische" Position zu den Kriegsplänen der USA gegen den Irak ist mehr als ein Indiz dafür. Gerade wenn sich Schröder aus erkennbar wahltaktischen Motiven als Kanzlers des Friedens präsentiert, der dem Weißen Haus die Stirn bietet, wird das offenbar. Unterstellt, es fehlte der EU nicht am Willen - was allerdings zu bezweifeln ist -, sich einem Abenteuer im Mittleren Osten zu verweigern, so sind die Instrumentarien schwach, diesen Willen - im Sinne politischer Handlungsfähigkeit - überzeugend zu artikulieren. Der deutsche Anteil am Verlust der Vision von einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Europäer ist bemerkenswert, hatte man doch bei einer aus SPD und Grünen gebildeten Regierung mehr Engagement dafür, vor allem mehr Distanz zur westlichen Führungsmacht, erwartet. Im Rückblick erscheint nun Helmut Kohl als konsequenterer Vertreter europäischer Interessen, was man vom jetzigen Kanzlerkandidaten der Union nicht sagen kann.Geborstene Säule EuropasDer "Vertrag über die Europäische Union" vom 7. Februar 1992 in Maastricht hatte einst die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) als zweite von drei Säulen einer künftigen europäischen Integration definiert. Sie sollte zugleich "Grundlage einer gemeinsamen Verteidigungspolitik" sein, bei der man die Westeuropäische Union (WEU) zur "Verteidigungskomponente der Gemeinschaft" ausbauen wollte. Als erste Säule galt den Autoren des Maastrichter Vertrages die Europäische Gemeinschaft selbst, die Ende der neunziger Jahre die Stufe einer "Wirtschafts- und Währungsunion" erreichen sollte. Als dritte Säule wurde die Harmonisierung der Innen- und Rechtspolitik betrachtet, mit der es unter anderem um eine koordinierte Asyl- und Einwanderungspolitik ging. Im Rückblick hat sich die Säule einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik als die am wenigsten tragfähige erwiesen - sofern man überhaupt davon sprechen kann, dass sie jemals wirklich zur europäischen Architektur gehörte. Schon während der Jugoslawien-Krise im Frühjahr 1999, wenige Monate nach dem Antritt Schröders, wurde die willfährige Übernahme amerikanischer Vorgaben offensichtlich. Die von Washington nicht zu Unrecht erhobene Forderung, Europa müsse sich der Konflikte auf seinem Terrain selbst annehmen, führte in Berlin zu fatalen Konsequenzen. Statt auf diplomatische Prävention zu setzen, wie es explizit im Koalitionsvertrag stand, folgte Schröder dem von Washington vorgegebenen Kurs gegenüber Belgrad, nicht ohne dabei die NATO noch propagandistisch - man denke an die Mär vom "Hufeisenplan" - aufzumunitionieren. Nebenbei bemerkt fiel der Luftkrieg gegen Jugoslawien ebenso in die Zeit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wie die Weichenstellung für eine europäische Eingreiftruppe. Parallel dazu wurde in Ottawa die neue Militär- und Nuklearstrategie der NATO abgenickt, deren dramatische Konsequenzen sich inzwischen in der Bush-Doktrin und der Nuclear Posture Review (*) zeigen, auch wenn 1999 noch festgestellt wurde, dass "die Umstände, unter denen ein Einsatz von Kernwaffen in Betracht zu ziehen wäre, in äußerste Ferne gerückt sind". Der präventive Interventionismus der neuen US-Doktrinen wurde durch die Bundesregierung bisher nicht einmal mit Verweis auf diesen Passus der gültigen NATO-Strategie kritisiert. Das Thema Irak wäre dafür bestens geeignet, sollte Schröder und Fischer wirklich an einem Containment der Amerikaner gelegen sein. Zurück zur GASP - auch bei anderen internationalen Krisenherden sind die Defizite einer "europäischen Diplomatie" eklatant. Im Nahen Osten etwa spielen die Europäer seit Jahren die selbst gewählte Rolle eines mahnend-moderierenden Zuschauers. Dabei verfügen die EU-Staaten gerade in dieser Region über gute Beziehungen zu beiden Konfliktparteien, die zu nutzen wären, um auf dem Verhandlungsweg ein Ende der Gewalt zu forcieren. Fischer selbst war auf einem guten Weg, doch nie bereit, ihn auszuschreiten. Offenbar hat die augenblicklich kaum mehr zu zügelnde Konfrontation von Israelis und Palästinensern bei einigen EU-Regierungen wenigstens das Bewusstsein für die Gefahren eines Waffengangs gegen Saddam Hussein für die gesamte Region geschärft. Die Drohung vom März aus London, gegen den Irak "im Falle eines Angriffs" auch Atomwaffen einzusetzen, blieb indes in Brüssel wie in den Hauptstädten der EU bis heute unkommentiert. Die Erklärung der "uneingeschränkten Solidarität" mit den USA nach dem 11. September 2001, was die kritiklose Akzeptanz militärischer Aktionen einschloss, war - gemessen an der bis dahin verfolgten Außenpolitik von Rot-Grün - nur folgerichtig. Zumindest in Europa hätte es nicht des Verweises aus dem Weißen Haus "Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns" bedurft, um sich den Schulterschluss im "Anti-Terror-Krieg" zu sichern. Ein Schub für den Unilateralismus der USA, der die Stabilität der internationalen Beziehungen wie das Völkerrecht bedroht. Diese Politik schränkt nicht nur den Spielraum der EU-Staaten ein, sie hindert die Union daran, internationale Interessen zu definieren, die mit denen der USA eben nicht identisch sind. Weder bei dem von den Europäern gewünschten Erhalt des ABM-Vertrages (**), noch in der Frage eines Raketenabwehrschilds (NMD), noch bei der Ächtung von Massenvernichtungswaffen, dem Klimaschutz oder der Entwicklungszusammenarbeit kam Washington seinen "Partnern" wirklich entgegen. Im Gegenteil: In ihrer Ablehnung des Internationalen Strafgerichtshofs ging man sogar soweit, ein Gesetz zu verabschieden, das es de facto ermöglicht, am Gerichtssitz in Den Haag zu intervenieren, um internierte US-Bürger zu befreien. Die Absicht, Amerikanern Immunität selbst bei Verdacht schwerster Rechtsvergehen zu gewähren, sei "nicht verständlich", hieß es in der EU lediglich, bevor der Kompromiss ausgehandelt wurde, zunächst für mindestens ein Jahr keinen US-Militär anzuklagen. Offenbar ist die EU nicht fähig oder bereit, endlich eine zeitgemäße und vor allem interessenfixierte Spielart ihrer gepriesenen GASP vorzustellen. Divergierende nationale Interessen mögen ein Grund dafür sein, das Wiedererstarken nationalstaatlicher Elemente ein anderer. Die Ablehnung der stabilitätsgefährdenden Politik, wie sie von Washington ausgeht, wäre heute Anlass genug, zu den einst in Maastricht entwickelten Vorsätzen zurückzukehren. Wann, wenn nicht jetzt? (*) Die USA behalten sich danach vor, schon auf die Absicht von Staaten, chemische oder atomare Waffen zu erwerben, mit einem präventiven Nuklearschlag zu reagieren.
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