Eingeschüchtert vom Uni-Bluff

Im Gespräch Das US-Netzwerk "Akademiker mit Arbeiterhintergrund" tagt am Wochenende zum ersten Mal in Deutschland. Asta-Referent Andreas Kemper über die Notwendigkeit des Kongresses

Der Freitag: Herr Kemper, geht es den Studierenden und Akademikern mit Arbeiterhintergrund an deutschen Universitäten so schlecht?

Andreas Kemper: Es gibt etliche Studien, die eine Bildungsbenachteiligung von Arbeiterkindern feststellen. Ein paar Beispiele: Wer keine Akademiker als Eltern hat, studiert seltener im Ausland, hat weniger Kontakt zu Professoren und Kommilitonen, kriegt seltener eine Stelle als Tutor oder Tutorin.

Woran liegt das?

Das hat viel mit Geld zu tun: Teuer bezahlte Nachhilfe gehört in der Schule inzwischen zum Standard, an den Unis folgen dann Studiengebühren und Verschuldung durch Bafög. Arbeiterkinder haben oft wenig Geld. So müssen zwei Drittel von ihnen neben dem Studium jobben, bei Studierenden aus wohlhabenderem Elternhaus sind es nur halb so viele. Für ein schnelles Studium ist die Arbeit nebenher ein klarer Nachteil.

Ist mangelndes Geld das einzige Problem?

Nein, es gibt auch kulturelle Unterschiede. Arbeiterkinder lassen sich stärker vom Uni-Bluff einschüchtern, treten weniger souverän auf, lassen sich stärker verunsichern. Sie haben größere Probleme mit der Kälte und Anonymität des Studiums. Arbeiterkindern fällt es schwerer, Kontakte zu Professoren aufzubauen und umgekehrt kommen auch die Professoren schneller mit Akademikerkindern in Kontakt. Arbeiterkinder sind daher vor allem in Fächern wie Sozialpädagogik zu finden, wo es von der Atmosphäre „wärmer“ zugeht als beispielsweise in Jura.

Gibt es weitere Unterschiede bei den Fakultäten, etwa zwischen Geisteswissenschaften und Ingenieurwissenschaften?

Es gibt starke Unterschiede, aber nicht unbedingt zwischen Geisteswissenschaften und Ingenieurswissenschaften. Wenn man mal von Medizin absieht, studieren Arbeiterkinder eher Fächer, mit denen man später praktisch etwas machen kann. Maschinenbau und Sozialpädagogik unterscheiden sich da kaum, in beiden Fällen ist greifbar, warum man studiert. Es scheint auch so, als würden die Arbeiterkinder mit Hilfe ihres Studiums ihrem Herkunftsmilieu etwas zurückgeben wollen. Sie sind in den eher praktisch ausgerichteten Fachhochschulen häufiger zu finden als in den theoretisch orientierten Hochschulen.

Sie arbeiten an der Uni Münster im Referat für „finanziell und kulturell benachteiligte Studierende“. Wie kam es zu dessen Gründung?

Systematische Benachteiligungen haben in den 1970er und 1980er Jahren zu diversen Selbsthilfe-Referaten an den Hochschulen geführt. Es gibt Referate für ausländische Studierende, für Frauen, für Schwule und Lesben, für behinderte und chronisch kranke Studierende. Es lag daher nahe, dass sich endlich auch die Arbeiterkinder selbst organisieren.

Was macht das Asta-Referat konkret?

Wir bieten persönliche Beratung an und helfen in Einzelfällen. Eigentlich ist es aber ein bildungspolitisches Referat. Wir organisieren Veranstaltungen zur Bildungsbenachteiligung und machen Lobby-Arbeit zugunsten von Arbeiterkindern.

Welche Möglichkeiten gibt es denn, Diskriminierung durch soziale Herkunft zu verhindern oder zu kompensieren?

Es gab in den 1970er und 1980er Jahren bereits viele Maßnahmen – vom Erziehungsgeld bis zu den Gesamthochschulen. Das wird wieder zurückgefahren. Es geht also nicht um die Entwicklung neuer Modelle, sondern um die Durchsetzung dieser Modelle.

Der aktuelle Kongress in Münster wird von der US-amerikanischen Organisation der "Akademiker mit Arbeiterhintergrund" veranstaltet. Wer ist das?

Die „Working Class / Poverty Class Academics“ (WCPCA) ist ein informeller Zusammenschluss von Hochschullehrenden, die aus dem Arbeitermilieu stammen. Sie verständigen sich über eine E-Mail-Liste und führen einmal im Jahr eine Tagung durch, wo es hauptsächlich um die verschiedenen Facetten von Bildungsbenachteiligung geht. Zu der diesjährigen Konferenz in Münster werden benachteiligende Strukturen in verschiedenen nationalen Bildungssysteme verglichen. Zudem werden verschiedene neue Projekte für Arbeiterkinder vorgestellt.


Das Gespräch führte Rudolph Stumberger

Andreas Kemper ist Referent für finanziell und kulturell benachteiligte Studierende beim Asta der Uni Münster

Die 15. Jahrestagung der Working Class Academics (WCPCA) findet vom 8. bis 10. Juli 2011 an der Universität Münster statt. Weitere Infos.

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