Einheits- oder Einheiztag?

Stille Post Kolumne

"Morgen, schon wieder Morgen?", fragt jedes Mal leicht verwirrt Kriminalhauptkommissar Eugen Strobel aus der ARD-Serie Adelheid und ihre Mörder, wenn er zu Dienstbeginn von der Kollegenschaft begrüßt wird. "Schon wieder ein Jahr ´rum?", fragt erstaunt ein Schriftstellerfreund, wenn er kurz vor dem 3. Oktober zu Interviews oder Statements angerufen wird. Der Tag der Einheit ist der Tag der Ostdeutschen. Da sind sie so wichtig wie die Oma im Altersheim. Das Fernsehen zeigt DEFA-Spielfilme oder auch Neueres wie Good bye, Lenin. Reportagen widmen sich einfühlsam dem gewünschten beziehungsweise verwünschten Aufbau Ost. Der Bürger der neuen oder auch jungen Bundesländer sieht bei diesem Retrolook im vorgehaltenen TV-Spiegel meist ziemlich alt aus. Macht ja nichts, Hauptsache, für einen Tag Gast bei den Medien, die ansonsten für den Ex-DDR-Menschen klar umgrenzte No-Go-Areas sind, was Personal und Themen betrifft.

Komischerweise sind am Tag der Deutschen Einheit kaum westdeutsche Themen zu sehen. Vielleicht, weil es sie an den 364 anderen Tagen des Jahres gibt, vielleicht aber aus Rücksichtnahme. Am Frauentag im Osten spielten schließlich die Männer auch keine Rolle, außer als Kaffeeeingießer mit Schürzchen vor der Bierwanne. Frauen sind auch Menschen, gaben meine Kolleginnen einst "ihrem" Feiertag mit einem Satz die nötige Würde. Ostdeutsche sind auch Menschen, lautet die Botschaft des 3. Oktobers. Oder doch nicht?

"Hier wohnt der Hass. Ostdeutschland ist schön. Für Weiße", lautete die wenig einladende Botschaft des Aufmachers des Magazins der Süddeutschen Zeitung vor dem diesjährigen Einheitstag. Das Titelfoto zeigt Lausitzer Umgebindehäuser, Holzzäune, Wiesen mit Sonnenblumen, Wäsche auf der Leine und ein weidendes Schaf. So lebt er, der Rassist! In Gesprächsprotokollen berichten Farbige über ihren gefährlichen Alltag. Schlimm genug und Thema vieler antirassistischer Initiativen. Gerade im Osten!

Interessant sind die Schlussfolgerungen des Blattes. Die besorgte Frage "Gehört der Osten noch zum Westen?" beantwortet sich mit einem: Natürlich nicht. "Ist der Hass auf alles Fremde zur dortigen Alltagskultur geworden?", hinterlässt in seiner Pauschalierung nur noch Ratlosigkeit. Muss ich ab heute hassen, um der Kategorisierung der besorgten, mit Gratismut angefüllten SZ-Redakteure gerecht zu werden? Gehören Aachen und Mönchengladbach, in deren Bundesligastadien vor zwei Wochen ebenso ekelhafte rassistische Ausfälle wie in Rostock passierten, nicht mehr zum Westen? Sind jene Vermieter, die in Frankfurt, Köln oder München den farbigen Interessenten an der Tür mitteilen, die Wohnung sei "leider schon vergeben" über Nacht Ostdeutsche geworden? Da hilft es nichts, wenn die scheidende brandenburgische Ausländerbeauftragte, die couragierte Almuth Berger, beim Kampf gegen Rechtsradikalismus vor Hysterie warnt. Dass sie ausdrücklich dazu auffordert, bestimmte Ortschaften zu bereisen und sie nicht rechten Idioten zu überlassen. Differenzierung ist nicht à jour. Während man ratlos auf die Lausitzer Häuser schaut, hilft die deutsche Grammatik. Müsste unter dem idyllischen Foto nicht die Zeile stehen "Dort wohnt der Hass"? "Hier wohnt der Hass" liest sich wie eine Selbstbezichtigung des ansonsten geschätzten Blattes. Mal wieder in den Duden schauen, werte Kollegen.

Es bringt die Bundesrepublik nicht weiter, in diesen brisanten Fragen als geteilter Staat zu agieren. Wenn es auch dem Selbstgefühl hilft, einen Teil des Landes als gesellschaftliche Müllkippe zu benutzen, Probleme werden damit nicht gelöst. 16 Jahre nach der Vereinigung sollte aufgehört werden, sämtliche deutschen Statistiken und Umfragen säuberlich nach Ost und West zu teilen. Richard von Weizsäcker hat schon vor zehn Jahren gefordert, mit dieser Augenwischerei Schluss zu machen. In seinem jüngsten Programm bezeichnet der Kabarettist Georg Schramm das Ost-West-Kaspertheater als das, was es ist: Die uralte Herrschaftsmethode des "Teile und Herrsche". Komisch, dass außer ihm noch keiner drauf gekommen ist. Vielleicht sollte Schramm die Festrede am 3. Oktober 2007 halten zum nächsten Einheiztag.


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