Einmal Hoppelpoppel, bitte ...

Berliner Abende "Endlich reechnet dit wieda". Welch hoher Grad an Selbstverleugnung liegt in diesem Satz eines jungen Menschen zu einem anderen jungen Menschen, ...

"Endlich reechnet dit wieda". Welch hoher Grad an Selbstverleugnung liegt in diesem Satz eines jungen Menschen zu einem anderen jungen Menschen, gesagt am Nachmittag eines Maitages auf dem Berliner Alexanderplatz. "Die Berliner müssen doch verrückt sein, die gehen ohne Schirm", entfährt es dagegen einem älteren Menschen mit Prinz-Heinrich-Mütze, der seine Frau über den menschenleeren Platz geleitet. Ein kraftvoller Aufschrei aus der touristischen Provinz. Der Alex polarisiert halt, wie er da so herumliegt in seiner quadratkilometernen Leere, die unsere gestalterische Phantasie anregt.
Gerade erst haben ihm aufs Neue Architekten einen bunten Strauß voll Hochhäuser in Aussicht gestellt. Sechs neue Blöcke sollen in den nächsten Jahren dort entstehen, auf denen sich 150 Meter hohe Türme erheben werden. Ein guter Ort für Größenwahn, schon immer. Als Kind las ich begeistert davon, dass auf dem Berolinahaus am Alexanderplatz ein Hubschrauberstart- und landeplatz errichtet werden solle, von dem man in Windeseile zur Friedrichstraße gelangen könne.
Ein Auftakt zur treuen Alex-Zukunftsmusik, die mich mein Leben lang begleiten sollte. Gerade kommt aus Richtung Südost ein kleines Flugzeug herangebrummt, mit einem zweiten im Schlepptau. Es verschwindet hinter der blauen Fassade des Hotels Stadt Berlin. Wie heißt es heute gleich noch? Von meinem Standpunkt aus scheint es mitten ins Hotel zu rasen. Eine optische Täuschung. Das 140 Meter hohe Hotel verdankt seine Existenz den Bombasmen der sechziger Jahre. Damals wurden alle Gebäudereste, die den Bombenkrieg überlebt hatten, von Baggern abgeräumt. Eine riesige Baugrube entstand für Hotel, Warenhaus und andere Zukunftstempel. Jenseits der Bahn wuchs der Fernsehturm auf seine 365 Meter Höhe.
Ich berichtete als junger Lokalreporter begeistert über das zerstörerische Aufbauwerk. Eines Tages durften wir mit dem Bauaufzug, der seitlich am Hotel hochfuhr, in den 37. Stock gelangen, um den Rohbau zu besichtigen. Der damalige Berliner SED-Vizeparteichef Konrad Naumann schaute stolz übers noch vorhandene dünne Häusermeer. Sein Blick blieb auf dem Flachdach des Volkspolizeipräsidiums in der Keibelstraße hängen, wo die dortigen Untersuchungshäftlinge gerade Freigang hatten. "Das muss weg", schimpfte er los.
Zum 20. Jahrestag der DDR 1969 war die ganze Pracht fertig, ein Kollege und ich hatten eine Einladung zur Einweihung der Hotelterrasse. Der Mann neben uns stammelte der Kellnerin seine Bestellung entgegen: "Einmal Hoppelpoppel, bitte ..." Der Vorgänger-Alex war in trojanische Schichten versackt, wo ihn schon seine Platzkollegen aus Vorzeiten begrüßten, beispielsweise die von 1930, als die U-Bahnlinie D gebaut wurde und die beiden Hochhäuser von Peter Mendelsohn. Alles bei Alfred Döblin nachzulesen. In einem Gebäude hockt heute die Berliner Bankgesellschaft, das andere wartet auf seine Renovierung mit dem aufmunternden Schild: "Shopping am Alex im Berolinahaus. Alleinvermietung." Vor allem das letzte Wort hat etwas ungemein Tröstendes. Vielleicht hat deshalb im Platzregen eine evangelikale Filiale ihr Zelt aufgeschlagen, die uns alle zum 31. Mai ins Hotel Maritim an der Friedrichstraße einlädt zu einer "Göttlichen Offenbarung". Vermutlich nicht per Hubschrauber. Einige Meter entfernt flüstert ein Polizist ein paar Worte ins Handy, während er den einsamen Offenbarer im Blick behält. Ein Hauch Osten. Der Regen platscht, der Brunnen rauscht. Ihn schuf einst der Künstler Womacka, und der Volksmund verlieh dem farbenfroh ornamentierten Werk den Titel "Nuttenbrosche". Was vermutlich als Kompliment gedacht war, aber den Schöpfer verdross. Der Religionsbote schaut von seinem Stand zum Brunnen hinüber, vielleicht überlegt er, ob man ihn für Taufen nutzen kann.
Schön ist es am Alexanderplatz. Eine Zeitlang spielten die Fenster im Haus des Lehrers, einem Hochhäuschen der frühen Sechziger, verrückt. Sie erleuchteten das menschenleere Haus im ständig wechselnden Rhythmus. Sinfonie der Großstadt ohne Publikum. Gerade spielte der Alex jedoch wieder jene Rolle, die er am besten kann: Gastgeber für Demos, diesmal gegen Bush. BDI-Präsident Dieter Hundt regte sich auf, es sei pervers, dass diese Demonstrationen "ausgerechnet im Osten Berlins" stattfänden. Wenn er jetzt noch erfährt, dass der einstige Vieh- und Kohlenmarkt nach dem russischen Zar Alexander I. benannt ist, setzt das ein dickes Ausrufezeichen hinter sein eher schlichtes Weltbild.

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