FREITAG: Sie werden nicht müde zu betonen, wie verheerend der Preisverfall auf den internationalen Märkten für die Bauern der armen Länder sei. Jetzt steigen die Preise - wird nun alles gut?
MARCEL MAZOYER: Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Preise ungefähr einmal pro Generation explodieren, und dann wieder fallen. Zuletzt war das 1972 bis 1976 der Fall. Die armen Bauern konnten in der Zeit der Tiefpreise nicht einmal die Produktionskosten decken und mussten einen Teil ihrer Habe verkaufen. Wer irgendeine Hoffnung hatte, in Dakar, Abidjan oder Porto Alegre eine Arbeit zu finden, zog in die Slums. Wenn nun die Preise für ein paar Jahre höher sind: Glauben Sie, das befähigt diese Menschen, das Zebu wieder zu kaufen, das sie verkauft haben, und weiterzumachen wie zuvor?
Die Nachfrage steigt steil, weil sich immer mehr Menschen in den Schwellenländern Fleisch leisten können, weil Lebensmittel zu Agrotreibstoffen verarbeitet werden ...
... aber die Nachfrage steigt seit 200 Jahren stetig an. Sie steigt um etwa zwei Prozent pro Jahr, weil die Bevölkerung wächst und ein Teil dieser Bevölkerung sich mehr leisten kann. Aber man sollte nichts übertreiben, denn die zusätzlichen Mengen Soja und Getreide, die China importiert, nähren nicht in erster Linie die Chinesen, sondern die Tiere für die Poulets und Schweinssteaks, die nicht mehr in Europa produziert werden. Insgesamt steigt die Nachfrage heute weniger steil als vor 30 Jahren.
Weshalb wird trotzdem alles teurer?
Die jetzige Preisexplosion ist eine direkte Folge von Preisstürzen. In Zeiten, da das Angebot auf dem Weltmarkt ausreichend ist, sinkt der Preis auf das Niveau der weltweit tiefsten Produktionskosten. Wenn die Preise so tief sind, wird aber nicht mehr investiert. Deshalb können die Erträge irgendwann nicht mehr mit der steigenden Nachfrage mithalten.
Wenn hingegen das Angebot knapp wird, holt man das Getreide noch beim letzten Bauern im Himalaya, und die Preise explodieren. Aber das ist vielleicht die schlimmste Zeit für die armen Bauern, weil jetzt die Voraussetzungen für das Unglück entstehen, das sie in den nächsten Jahren trifft. Denn was geschieht nun? Die hohen Preise erlauben es dem Kapital, sich ohne jegliche ökologische und soziale Rücksichten die besten Böden unter den Nagel zu reißen wie in Indonesien, Argentinien oder Mexiko. So geschah es auch vor 30 Jahren. Im Süden fanden damals die Investoren beste Böden und billige Arbeitskräfte vor. Zudem wurden sie durch keine Umweltgesetze behindert. Erstmals seit den großen Zuckerrohrplantagen in der Kolonialzeit gab es wieder eine neokoloniale Bewegung. Das war neu und geschah nicht von einem Tag auf den anderen.
Heute aber - und das ist ein Unterschied - sind die Investoren schon dort und können viel schneller reagieren. Vielleicht werden die Preise diesmal nicht wieder ganz auf das Niveau von 2000 fallen, weil das Erdöl teuer und damit die Produktionskosten höher sind. Davon profitieren die Bauern aber nicht.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen den hohen Erdöl- und den hohen Agrarpreisen?
Nur insofern, als ähnliche Mechanismen wirken. Beim Erdöl sind die Investitionszyklen kürzer als in der Landwirtschaft, und zufälligerweise fallen sie jetzt gerade zusammen. Es ist aber nicht so simpel, dass die hohen Erdölpreise die Agrarpreise steigen lassen.
Ließe sich dieser Mechanismus durchbrechen?
Der Agrarmarkt hat immer so funktioniert. Einerseits ist die Nachfrage kaum preiselastisch. Das heißt, man kann nicht einfach weniger essen, weil es teurer ist. Andererseits lassen die Marktungleichgewichte die Preise schwanken.
Nun sind solche Schwankungen schon innerhalb eines Landes erheblich. Wenn jedoch die ganze Welt ein einziger Markt ist, wird das tausendmal schlimmer. Die Produktionskosten für Getreide schwanken zwischen 50 Euro pro Tonne in Argentinien oder der Ukraine und 500 oder 600 Euro in Ländern, wo noch von Hand gearbeitet wird. Der internationale Marktpreis ist nie der angemessene Preis. Es braucht daher stabile Preise, und die müssen so angesetzt sein, dass die Bauern überleben und investieren können. Der Preis muss überall auf der Welt gemäß den dort herrschenden Produktionsbedingungen festgelegt werden.
Das heißt abgeschottete Märkte.
Nicht unbedingt, es können auch mehrere Länder mit ähnlichen Verhältnissen einen gemeinsamen Markt bilden. Aber man sollte nicht eine Politik wie die EU betreiben und sich an den internationalen Preisen orientieren. Diese lagen in den neunziger Jahren bei 100 Euro pro Tonne Getreide. Da kann kein einziger europäischer Bauer mithalten. Also braucht es Stützzahlungen. Wenn man unbedingt Geld zum Fenster hinauswerfen will, kann man das besser tun als mit solchen Dummheiten.
Die hohen Preise haben also nichts mit dem Agrarpotenzial zu tun. Könnte eine globale Landwirtschaft - eine vernünftige Agrarpolitik vorausgesetzt - eine Bevölkerung ernähren, die auf zehn Milliarden Menschen anwächst?
Absolut. Die Welt ist nicht zu klein. Wenn es anderthalbmal so viele Menschen gibt wie heute und wenn auch die Menschen genug zu essen haben sollen, die heute an Unterernährung leiden, bräuchte man ungefähr den doppelten Ertrag. Das ist möglich. Die vorhandenen Landreserven, die ohne Bewässerung bebaut werden könnten, ohne dass man dazu Wald rodet, betragen etwa 70 Prozent der heutigen Flächen. In der Hälfte der Welt, deren Landwirtschaft nicht von der Grünen Revolution - der Modernisierung seit den sechziger Jahren in der Dritten Welt - profitiert hat, könnte man die Erträge verdoppeln.
Man bräuchte dazu nur die heute bekannten Techniken, man bräuchte eine Hellgrüne Revolution. Man muss ja nicht die Dummheiten wiederholen, die es anderswo gab, und voll auf nicht erneuerbare Ressourcen setzen. Landreserven plus Hellgrüne Revolutionen, das ergäbe weltweit mehr als eine Verdoppelung der Erträge. Allerdings: Für den Anbau von Agrotreibstoffen hat es dann nicht auch noch Platz.
Das Gespräch führte Marcel Hänggi
Marcel Mazoyer, Professor an der Universität AgroParisTech, ist Ko-Autor einer monumentalen Agrargeschichte von der Jungsteinzeit bis heute. Als entscheidend für die jetzige "Krise der Landwirtschaft" wertet er die globale Konkurrenz von Agrarsektoren, die aus unterschiedlichen Traditionen entstanden, mit unterschiedlichsten Mitteln arbeiten und unter unterschiedlichen geografischen Bedingungen existieren.
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