Einsam

Im Kino "Go West Young Man" entführt an die Wallfahrtsorte des Western

Mit dem Western hat es eine besondere Bewandnis: Einerseits steht das Genre wie kaum ein anderes für originäres Leinwandkino. Andererseits dürfte ein Großteil der Fans ihre innige Bindung zum Genre an langen Sonntagnachmittagen vor dem Fernseher geknüpft haben. Dass sie den Western mit Kindheit und Television verbinden, sagen in Go West Young Man auch die holländischen Autoren. Dazu zeigen sie die Panorama-Aufnahme einer Landschaft, die man aus unzähligen Filmen zu kennen glaubt. Es müsste nur am Horizont ein einsamer Reiter erscheinen und schon könnte eine wunderbare Geschichte beginnen ...

Oft steht eine solche Aufnahme auch am Ende: Der Reiter entschwindet allein ins Nirgendwo, denn Einsamkeit ist eines der Hauptthemen im Genre. In wenigen Worten macht das etwa John Milius im Interview deutlich, wenn er John Waynes Rolle in The Searchers (Der schwarze Falke) beschreibt als archetypisch-rastlose Figur, die kein Zuhause hat. Liebevoll schildert Milius, wie genial John Ford das ins Bild setzt, wenn er am Ende seinen Helden aus dem dunklen Flur des Farmhauses heraus filmt: Dort steht er im Licht, wie ausgeschlossen, er kommt als einziger nicht ins Haus, sondern dreht sich um und geht davon ... Davor, so Milius, gibt es die rührendste Szene der Filmgeschichte: John Wayne jagt Natalie Wood hinterher, zuerst in der Wüste, dann sind sie plötzlich in einer Art Canyon, doch nie würde der Zuschauer das als "Anschlussfehler" wahrnehmen, so gepackt ist man da bereits, und dann bekommt John Wayne Natalie Wood zu fassen und hebt sie in die Luft, die richtet die Fäuste gegen ihn, aber John Wayne sagt nur: "Lass uns nach Hause gehen, Debbie." Wer da nichts empfindet, hat ein Herz aus Stein.

Go West Young Man gleicht einer Pilgerfahrt zu solch emotionalen Höhepunkten. Sei es Monument Valley, die rauen Berge Wisconsins, der heute vollkommen leere Ort, an dem einst Shane gedreht wurde oder das übrig gebliebene Filmset des Spätwesterns Monte Walsh - überall hat sich die Fiktion der Landschaft eingeprägt. Heute sind Genre und Land so eng miteinander verbunden, dass kaum zu sagen ist, was zuerst da war, ob die Geschichten aus der Landschaft kamen oder die Landschaft erst mit dem Western Bedeutung erlangt hat.

Wie bei Pilgerfahrten üblich, besteht der Film aus lauter Fundstücken. Von einem erfahrenen Stuntman lassen sich die Filmemacher die unterschiedlichen Todesarten vorspielen: eine 38er Derringer trifft anders als ein 45er Colt ("the gun that won the West") - gekonnt wirft er sich mit mehr oder weniger Schwung auf den Boden, ganz so, wie man es als Kind nach dem Fernsehen auch geübt hat. Die Stuntmen warten übrigens noch immer darauf, dass Hollywood in die leeren Sets zurückkommt.

Natürlich gibt es auch diejenigen, die die "wahre" Geschichte des Westens gegenüber der gefilmten hochhalten: Minutiös erklärt ein Billy-The-Kid-Spezialist am Originalort den Verlauf einer Schießerei. Dass "the kid" und Pat Garret Freunde gewesen sein sollen, wie das Sam Peckinpah in seinem Pat Garret Billy the Kid zeigt, sei zwar dramatisch, aber leider historisch nicht korrekt.

Zwischen Beobachtungen und Interviews zeigen die Filmemacher immer wieder die Straße, die mitten durchs weite Land führt. Das endlose Band löst eine unbestimmte Sehnsucht aus, nicht nur nach der Kindheit, in der die Filme, die hier spielten, einen regelrecht einzusaugen vermochten, sondern auch nach diesen heute rar gewordenen Filmbildern.

Zum Schluss besuchen die Dokumentaristen mit William Fraker zusammen das Set von Monte Walsh, der das Ende der Cowboy-Ära verhandelt. Der Film sei zur falschen Zeit heraus gekommen, sagt der Regisseur, denn sechs Monate zuvor habe ein Film namens Star Wars das All zur neuen "Frontier" gemacht. Die These klingt bündig, muss aber präzisiert werden: Zwischen Monte Walsh und Star Wars liegen immerhin sieben Jahre. Trotzdem führt Go West Young Man eindrucksvoll vor Augen, was mit dem Sternenkriegergenre verloren ging: die Rolle der Landschaft, die sich im dramatischen Spiel von Wind und Wolken, von Licht und Schatten keineswegs erschöpft und sich im Computer nicht mal annähernd nachahmen lässt. Wer lange keinen Western mehr im Kino gesehen hat, wird staunen darüber, welch großen Unterschied es macht, ob tatsächliche Rinderherden und Reitertrupps sich durch reale Landschaften bewegen oder ob sie von Software dazu veranlasst werden. Nicht umsonst ist das Urbild des Westerns der einzelne Reiter am Horizont.


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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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