David Trimble hatte sich exakt am 2. Dezember 1999 einem nicht ungefährlichen Selbstversuch ausgesetzt. Er wollte mit dem rechten Fuß gern weiter neben dem Zug herlaufen, den er an jenem Tage mit dem linken bestieg. Er wurde Premierminister Nordirlands und blieb Vorsitzender der Ulster Unionist Party (UUP). Fortan rangen zwei Seelen in einer Brust, vor allem aber zwei Politiker in einem. Das konnte nicht gut gehen, da besagter Zug tatsächlich abzufahren drohte. Folglich musste sich Trimble entscheiden, vollends draußen zu bleiben oder ganz und gar drinnen zu sein. Wider alle Vernunft hat er beides versucht, nahm am 2. Dezember seine Ernennungsurkunde als Chef der nordirischen Regional exekutive entgegen, um gleichzeitig (präventiv) sein Demissionsschreiben zu hinte
ben zu hinterlegen, datiert auf den 12. Februar 2000. Der Regierungseintritt synchronisiert mit dem Regierungsaustritt. Ein bizarrer Vorgang, dazu angetan, einem Sean O'Casey, der die Iren einst als "recht unzurechnungsfähiges Volk" bezeichnet hatte, amüsiert beizupflichten. Oder die Frage nach einer möglicherweise fortgeschrittenen Schizophrenie Trimbles zu stellen. Doch hieße das, die Wirkung statt der Ursache zu verklagen. Trimbles Verhalten zeugte eher von einem Missbrauch des Friedensprozesses, was allerdings irgendwann zu Schizophrenie führen kann.Aber nicht nur Trimble, nahezu alle Spieler der nordirischen Hängepartie kokettieren nach wie vor mit der Hoffnung, irgendwie bleibt doch alles, wie es war - nichts wird so, wie es nach dem Karfreitagsabkommen von 1998 eigentlich sein soll. Mit anderen Worten: Hinter dem wuchernden Streit um die Waffen der IRA steht eigentlich die Frage: Kommt Nordirland zu einer Autonomie, die als Koexistenz zwischen unionistisch-protestantischer und republikanisch-katholischer Community funktioniert oder gibt es eine Fortsetzung des Bürgerkrieges mit nichtkriegerischen Mitteln, wenn jede Krise sogleich den Kollaps des Friedensprozesses heraufbeschwört?Allerdings - eines steht außer Zweifel und gehört ebenfalls zu den Umständen des jetzigen Krachs: Das Karfreitagsabkommen - vor knapp zwei Jahren unterschrieben von allen nordirischen Konfliktparteien - hat klar mit einer Philosophie gebrochen, deren Credo in etwa lautete: Hier das unionistische Patriarchat, dort der republikanische Paria - notgedrungen nun in einer Regionalexekutive am gleichen Tisch, aber nicht mit gleichen Rechten. Schon gar nicht mit gleicher Glaubwürdigkeit und Reputation. Wer noch immer so denkt, verrät den Friedensvertrag und betreibt eine politische Landschaftspflege, die vorhandene Gräben vertieft anstatt sie einzuebnen. Der Preis, den die Sinn Fein Partei von Gerry Adams und die IRA für das Karfreitagsabkommen entrichten mussten, war nicht gering. Er bestand in einem weitgehenden (möglicherweise endgültigen) Verzicht auf die gesamtirische Vision - sprich: die Wiedervereinigung mit der Republik im Süden zu einem von Großbritannien unabhängigen Staat.Was die Republikaner bei einem solchen Einsatz - zu Recht - als Friedensrendite beanspruchen, ist die Ankunft in einem postbritischen Gemeinwesen, in dem es keinen unionstischen, gelegentlich zu exemplarischer Disziplinierung neigenden Patron mehr gibt. Einen unionistischen Vormund also, der die - notgedrungen - gemeinsame Sache mit den Republikanern als Gnadenakt für ein zu missionierendes Heidentum begreift. Arroganz und Dünkel des zum Elitären neigenden Unionismus können eine gefährlichere Blockade für den Friedensprozess sein als es die Waffenarsenale der IRA je waren.Im übrigen bietet eine Demilitarisierung der republikanischen Untergrundarmee keine militärische Garantie für die Unverwundbarkeit einer künftigen Friedensordnung. Wer sich entwaffnen lässt, kann jederzeit wieder aufrüsten. Das gibt der internationale Waffenmarkt allemal her - die IRA wie sämtliche paramilitärischen Verbände unionistischer Provinienz versorgen sich dort seit Jahrzehnten. Die Republikaner bleiben ja auch nicht deshalb unnachgiebig, weil sie bei einer Waffenabgabe um ihre Existenz fürchten müssten. Wer das ernsthaft glaubt, ignoriert die jüngste Geschichte des Konflikts. Schließlich kann sich die IRA darauf berufen, seit August 1994 - mit ihrem militärischen Potenzial im Rücken - mehrfach selbst Auslöser und Garant eines Waffenstillstands in Nordirland gewesen zu sein, ohne den es später kein Abkommen gegeben hätte. Die Nationalisten hatten Anfang der neunziger Jahre begreifen müssen, eine gewaltbereite Stadtguerilla war nicht nur ein Relikt der Vergangenheit, sondern auch der sicherste Weg, als Konfliktpartei auf Dauer disqualifiziert zu bleiben. Die gesamtirische Option - durchsetzbar nur über einen opferreichen Bürgerkrieg, der nicht zu gewinnen war - hatte sich als anachronistisch erwiesen, so sehr sich auch die Republikaner bis zur Stunde davor hüten, dies öffentlich einzuräumen. Wen jedoch die grobe Härte der Realpolitik so schmerzhaft zur Ader lässt, der will respektiert sein und sich keiner Politik der Erpressung unterwerfen müssen. Mit den Waffen hält die IRA an ihrer Ehre fest, nicht zuletzt deshalb hat sich die Sinn Fein Partei auch nie auf einen Abgabetermin verpflichten lassen. Immerhin war es der irische Premier Ahern, der bei seinen jüngsten Gesprächen mit Tony Blair, eine Suspendierung der nord irischen Autonomie als wenig taugliches Mittel zur Reglementierung der Republikaner bezeichnet hat. Diese Wahrheit hat - wie alle Wahrheiten - keine Chance, widerlegt zu werden.