Elon Musk: Kolonialherr mit Raketen

SpaceX Texas: In einer der ärmsten Gegenden der USA verfolgt Elon Musk rücksichtslos seine Weltraum-Pläne. Hier entstehen die Trägersysteme für Raketen, die im All neue Planeten erobern sollen. Anwohner:innen sind nicht einverstanden. Ein Besuch
Exklusiv für Abonnent:innen | Ausgabe 01/2023
Ungewöhnliche Nachbarschaft: Ein Starship-Prototyp in Brownsville (Texas)
Ungewöhnliche Nachbarschaft: Ein Starship-Prototyp in Brownsville (Texas)

Foto: Loren Elliott/Getty Images

Der Weg zu den Sternen hat Schlaglöcher. Der Highway 4 an der Südspitze von Texas verläuft über einen schmalen Landstreifen zwischen Brownsville und Orten mit Meerblick. Links und rechts der ramponierten Fahrbahn kündigt ein üppiger Salzwasser-Sumpf den Atlantik an. Das Meer ist zu riechen, lange bevor man es sieht. An ihrem Ende wird die Straße plötzlich abschüssig, versandet und verschwindet schließlich ganz unter anbrandenden Wellen.

Seit 2019 führt der Highway 4 außerdem in den Orbit und angeblich bald auch zu fremden Planeten. Kurz vor der Küste beherrschen die gigantischen, unmissverständlichen Formen von Raumschiffen die Landschaft. „Starships“ heißen die Großraketen, die von der Firma SpaceX entwickelt und getestet werden. Hinter Maschendrahtzäunen stehen die Trägersysteme, mit deren Hilfe die metallisch schimmernden Weltraumgefährte ins All starten. Geht es nach SpaceX-Chef Elon Musk, soll ein „Starship“ mit einer Nutzlast von über 100 Tonnen so etwas wie der LKW für die Eroberung neuer Planeten werden. „Auf unserem Testgebiet in Brownsville haben wir jede Menge unbewohntes Land. Wenn dort einmal eine Rakete explodiert, ist alles cool“, meinte Musk 2019 in einem Interview, bevor hier die ersten Tests begannen.

Abgestürztes Raumschiff

Im Frühjahr 2021 explodierte tatsächlich ein „Starship“-Prototyp mit der Bezeichnung SN11 über dem angrenzenden Boca-Chica-Beach-Gelände. Drei Tests hatten zuvor zu Bruchlandungen geführt. Für das Terrain am Meer hat SpaceX bei der US-Luftfahrtbehörde, der Federal Aviation Administration (FAA), eigentlich nur die Erlaubnis für die weitaus kleineren Falcon-Raketen eingeholt. Der Start einer „Super Heavy“-Rakete, mit der die „Starships“ fliegen, ist auch in einer Entfernung von zehn Kilometern noch zu spüren.

Boca Chica Village, eine kleine Gemeinde, die direkt vor den Toren des „Starbase“ genannten Raumflughafens liegt, hat SpaceX größtenteils aufgekauft. Die Häuser der Einwohner, die ihre Grundstücke allen druckvollen Angeboten zum Trotz bisher behalten haben, erkennt man daran, dass sie noch nicht mit den monochromen Firmenfarben versehen wurden. Wenn SpaceX Raketentests durchführt, werden die Restbewohner aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen und nahe gelegene Hotels aufzusuchen. Schließlich könnten die Druckwellen dazu führen, dass Fensterscheiben zerspringen oder mehr. „Wir bauen die Stadt Starbase, Texas“, schrieb Musk am Tag vor der Explosion von SN11 auf Twitter. Der Lokalregierung wurde bereits angekündigt, dass Boca Chica Village so bald wie möglich diesen Namen tragen soll. Über die Social-Media-Plattform des Twitter-Konzerns, den Musk Ende Oktober 2022 für 44 Milliarden Dollar übernahm, bewirbt er seine fiktive Stadt, als gäbe es sie schon: „Bitte überlegt euch, nach Starbase oder in die Region zu ziehen.“

Über dem Boca-Chica-Beach-Gelände in Brownsville explodierte 2021 ein Starship-Prototyp von SpaceX

Foto: Jim Watson/AFP/Getty Images

Bekah Hinojosa sitzt in einem kleinen Bistro in der Innenstadt von Brownsville und findet klare Worte für das, was Musk in der Gegend tut. „Das ist Kolonialismus“, findet sie. „Genau dasselbe, was hier immer wieder probiert wird.“ Hinojosa gehört zum aktiven Kern von Umweltschützern aus dem Rio Grande Valley, zu dem Brownsville und ihre Heimatstadt Weslaco zählen. „Das Tal“, wie die Region in Texas genannt wird, liegt in dem spitz zulaufenden Dreieck, das durch den Atlantik und die Grenze mit Mexiko gebildet wird. Im Rio Grande Valley sind mehr als 90 Prozent aller Einwohner Latinos oder Hispanics und damit nichtweißer Abstammung. Fast ein Drittel von ihnen lebt unter der Armutsgrenze, das Tal zählt zu den ärmsten Territorien der USA.

„Elon tut so, als wären hier keine Menschen. Er verhält sich nicht anders als europäische Siedler, die einst hierherkamen“, sagt Hinojosa im Namen vieler Aktivisten aus ihrer Gegend. Was insofern zutrifft, als SpaceX im Rio Grande Valley größtenteils ohne die geringste Zustimmung der Anwohner zu Baumaßnahmen und Raketentests handelt. Bekah Hinojosa: „Den Carrizo/Comecrudo-Stamm, für den das Gebiet um Boca Chica heilig ist, haben sie gleichfalls nicht um Erlaubnis gefragt.“ Mit den mexikanischen Behörden auf der anderen Seite der Grenze gebe es ihres Wissens auch keinerlei Absprachen. „Seit Musk angefangen hat, das Tal zu bewerben, haben sich die Dinge hier drastisch geändert“, bekräftigt Gloria Thomas, die zum lokalen Ableger der Partei Democratic Socialists of America gehört.

Für das Image des derzeit schwer angeschlagenen Nerd-Königs gibt es wohl keine bessere Ressource als die Raumfahrt. Der zweitreichste Mensch der Welt posiert gern in T-Shirts, auf denen „Besetzt den Mars“ steht. „Eines Tages wird ‚Starship‘ auf dem rostigen Sand des Planeten Mars landen“, hatte Musk am 27. August 2019 verkündet. Und nun erlaubt es ihm SpaceX, den Traum von der „multiplanetaren“ Spezies zu befeuern – mit ihm als Alphatier. In seiner Fantasie „entfliegt“ die Menschheit den Problemen eines sterbenden Planeten. Ermöglicht werde das durch die Produkte seiner diversen Unternehmen. Der Erbe einer südafrikanischen Edelstein-Mine, der sich das Recht, als „Gründer“ von Tesla zu renommieren, von den Ingenieuren hinter den Patenten des Autoherstellers gekauft hat, weist den Weg zu den Sternen. Bevor der Name „Starship“ auftauchte, hieß das Raumschiff „Mars Colonial Transporter“.

Katarina Damjanov kann dem vermeintlichen Altruismus der Raumfahrtindustrie wenig abgewinnen. „Hier geht es um Profite“, lässt sich die Wissenschaftlerin von der University of Western Australia in Perth zitieren. „Musk strebt vor allem danach, Technologien für den Markt zu testen.“ Damjanov beschreibt, wie im orbitalen Raum in den vergangenen Jahren ein weitgehend ungehemmter Wettbewerb zwischen kommerziellen Anbietern ausgebrochen ist. „Erinnern Sie sich, wie SpaceX einen Tesla ins All geschossen hat?“, fragt Damjanov und verweist darauf, dass Musk 2018 eines seiner Elektroautos ins All bringen ließ. Er hatte die Aktion seinerzeit als Versuch beschrieben, „die Menschen über die neuen Möglichkeiten im Weltall zu informieren“. Damjanov, die sich unter anderem mit dem Phänomen des Weltraumschrotts beschäftigt, fragt, ob es sein kann, dass ein einzelner Mensch das All mit seinem Werbemüll bestücken darf. Leider sei dies ein weitgehend rechtsfreier Raum. „Niemand kann Musk daran hindern.“ Ebenso wenig ließe sich das Vorhaben aufhalten, Tausende von Internet-Satelliten zu platzieren, mit denen Elon Musk zum größten digitalen Anbieter der Welt aufsteigen möchte.

... den Protest hat dieser Absturz nur noch angeheizt

Foto: Mark Felix/Bloomberg/Getty Images

Tatsächlich macht SpaceX jetzt schon immense Profite, ohne auch nur in die Reichweite des roten Planeten gekommen zu sein. Rund zwei Milliarden Dollar hat die Firma allein 2021 verdient, was sie zu großen Teilen lukrativen Verträgen mit der US-Regierung zu verdanken hat. Neben den fünf Milliarden, die SpaceX allein für die Raumfahrt-Missionen der NASA bis 2030 einstreichen wird, geht es hier vorrangig um Verträge mit dem Militär. Mit der Space Force verfügen die Vereinigten Staaten mittlerweile über eine eigene Streitmacht für einen Einsatz im Weltall und investieren massiv in neue Satelliten sowie Waffen- und Abwehrsysteme. Anstatt eigene Raketen und Abschussbasen zu bauen, verlässt sich die Space Force mittlerweile fast gänzlich auf die Infrastruktur privater Anbieter, unter denen keiner so erfolgreich operiert wie SpaceX. Als stärkster Konkurrent gilt das Unternehmen Blue Origin des Amazon-Gründers Jeff Bezos.

Die Mieten steigen

Die Aktivisten in Brownsville irren keineswegs, wenn sie von einer engen Zusammenarbeit zwischen SpaceX und den lokalen Behörden ausgehen. „Boca Chica ist eigentlich ein öffentlicher Strand, trotzdem wird SpaceX das ganze Gebiet überlassen“, sagt Gloria Thomas. „Früher war es ein Treffpunkt für Familien, jetzt schließt SpaceX einfach den Zugang, wenn ihre Tests bevorstehen.“ Trotz der Armut in der Region werde „Starbase“ stark begünstigt. „SpaceX werden von allen Seiten Steuererlasse und Subventionen zugestanden – vom Staat Texas, von der Stadt und von der Bezirksverwaltung“, erläutert Bekah Hinojosa. „Um negative Auswirkungen zu kompensieren, die der Raumflughafen für die Region hat, gibt es hingegen so gut wie keine Mittel.“ Zu den Folgen zählen auch Mietpreise, die seit der Eröffnung der Starbase in die Höhe schießen und zu immer mehr Verdrängung führen.

Wie nah sich Lokalregierung und Raumfahrtkonzern inzwischen sind, hat Bekah Hinojosa am eigenen Leib erfahren. Anfang 2022 wurde die Umweltschützerin und Aktivistin in Polizeigewahrsam genommen. Man bezichtigte sie, ein auf SpaceX zurückgehendes Wandbild in der Innenstadt von Brownsville mit der Aufschrift „Stoppt SpaceX“ versehen zu haben. Hinojosa wurde ohne Brille rund 24 Stunden in eine Zelle gesperrt, in der durchgängig das Licht brannte. Als sie nach Zahlung einer Kaution wieder auf freien Fuß kam, erfuhr sie, dass Trey Mendez, der Bürgermeister von Brownsville, ihr Foto mit vollem Namen auf seiner Facebook-Seite gepostet hatte – zusammen mit dem Hinweis, dass es sich bei Hinojosa um eine bekannte Gegnerin von SpaceX handle. Mendez gilt als begeisterter Unterstützer des Musk-Unternehmens, Hinojosa blüht ein Gerichtsverfahren.

An einem nebligen Nachmittag Ende Dezember wirken die schwarz und grau gestrichenen Gebäude der Starbase wie zweidimensionale Zeichnungen, die knapp über den umliegenden Sümpfen zu schweben scheinen. An einem der hohen Sicherheitszäune um das Gelände sammelt sich Plastikmüll, den der Wind herangetragen hat. Stellenweise liegt in den Schlaglöchern auf dem Highway 4 feiner Sand, den es vom Meer herüberweht. Das Gelände zu beiden Seiten des Raumflughafens gehört zu einem Naturschutzgebiet, das eine Zuflucht für seltene Vogelarten bieten soll. Bis heute liegen dort die Wrackteile eines abgestürzten Raumschiffs.

Johannes Streeck ist freier Autor für Journalism & Multimedia, Berlin

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