Elysium für Öko-Mafiosi

Italien Nach nur zehn Jahren aktiver Umweltpolitik holt die Rechtsregierung Berlusconi nun zum Gegenschlag aus und verpfändet Naturschutzgebiete für den Autobahnbau

Jetzt ist nicht mehr allein Richtern und Journalisten, Gewerkschaften und Oppositionsparteien der Kampf angesagt, auch Italiens Umwelt ist betroffen. Die derzeitigen Pläne des Verkehrs-, Finanz- und Wirtschaftsministeriums kommen einem Ende des Natur- und Landschaftsschutzes gleich. Diverse Infrastruktur-Projekte, etwa ein extensiver Ausbau des Autobahnnetzes, bedrohen letzte intakte Ökosysteme und Kulturlandschaften der Apenninenhalbinsel. Gemäß dem Prinzip des project financing sollen nach dem Willen Silvio Berlusconis ökologisch fragwürdige Bauvorhaben künftig durch Verpfändung und Verkauf staatlicher Immobilien und Liegenschaften - darunter ausgerechnet Naturschutzgebiete - an private Geldgeber finanziert werden. Die geplante Autobahn von Livorno (Toskana) nach Civitavecchia (Latium) etwa, die das lange, weitgehend unberührte Küstengebiet der Maremma zerschneiden würde, könne durch den Verkauf naturbelassener Inseln in der venezianischen Lagune an Privatpersonen bezahlt werden, meint der Premier. Es soll also hier ein Stück Natur verscherbelt werden, um dort ein anderes zu zerstören.
Dem zaghaft und spät begonnenen italienischen Umweltschutz droht so das endgültige Aus, nachdem die Umweltpolitik des "bel paese" zuletzt schon eine Serie von Rückschlägen einstecken musste. Dies betrifft vor allem die Abfallpolitik eines Landes, in dem Mülltrennung und Recycling noch immer als Anomalie gelten: Bereits im Sommer 2001 hatten diverse süditalienische Gemeinden den "Müllnotstand" ausgerufen, da viele der zwischenzeitlich privatisierten städtischen Müllabfuhren der enormen Abfallberge nicht mehr Herr wurden. Das Fehlen adäquater Entsorgungsanlagen ließ einzelne Kommunen ihren Müll sogar nach Deutschland "exportieren". Mülltransporte per LKW über Tausende Autobahnkilometer - aus ökologischer Sicht ein doppelter Irrsinn.
Bekanntlich wird seit dem Amtsantritt des Großunternehmers Berlusconi in Italien fast alles per Erlass entschieden - ohne parlamentarische Kontrolle. Die Natur ist einer der "historischen Verlierer" dieser Praxis. So werden nach einem Dekret des Umweltministers Geröll und Erdaushub entgegen den EU-Normen generell nicht mehr als Sondermüll behandelt - selbst wenn darin schwere Schadstoffe nachgewiesen werden. Privaten Tiefbauunternehmen (wie der auf Tunnelbau spezialisierten Firma des Berlusconi-Freundes und jetzigen Verkehrsministers Lunardi) verschafft das eine gewichtige finanzielle Erleichterung. Durch Erlass des Gesundheitsministers Sirchia dürfen auch gefährliche medizinische Abfälle künftig "nach einfacher Desinfektion" mit dem normalen Hausmüll entsorgt werden. Gleichzeitig aber forderte Sirchia in einem zweiten, momentan außer Kraft gesetzten Erlass, Mineralwasser "aus Hygienegründen" in Restaurants nur noch in 0,5-Liter-Plastikflaschen abzugeben, anstatt es wie bisher im Glas auszuschenken. Der in Italien ohnehin grassierende Plastikkonsum wird weiter steigen.
Der wegen gefährlicher Schadstoffemission von der Schließung bedrohten Erdölraffinerie im sizilianischen Gela garantiert der Umweltminister den Fortbestand, indem er - wiederum per Erlass - die Verbrennung petrochemischer Abfälle ausdrücklich genehmigt: das europaweit als stark gesundheitsgefährdend eingestufte pet-coke wird seither schlicht als "Brennstoff" deklariert. Und während die Mitte-Links-Regierung in der vergangenen Legislaturperiode den zahlreichen, ohne Genehmigung errichteten Hotels den Kampf angesagt hatte, die speziell in Süditalien die Küsten verunstalten, hat das Justizministerium Straffreiheit für Bausünder verfügt. Selbst, wenn sie sich in Landschaftsschutzgebieten niedergelassen haben. In Sizilien etwa, wo das Phänomen des abusivismo - des ungesetzlichen Bauens - weit verbreitet ist, wird gerade das archäologisch einzigartige "Tal der Tempel" bei Agrigento Stück für Stück zerstört.
Ein Erlass von Wirtschaftsminister Tremonti schließlich protegiert Industrieunternehmen, die eines Umweltvergehens überführt worden sind. Im krassen Widerspruch zum EU-Prinzip "wer verschmutzt, zahlt", sollen Lasten der Schadensbehebung sowie nötige Renaturierungskosten künftig vom Staat getragen werden. Eine Amnestie für Ökobetrüger und Ökomafiosi, die Italien verwüsten.
Umweltverbände sehen darüber hinaus durch die unlängst beschlossenen verfahrensrechtlichen Änderungen den Naturschutz an sich in Frage gestellt: die Frist zur Erstellung eines Umweltverträglichkeitsgutachtens soll drastisch auf sechs Monate verkürzt werden. Nach Ansicht der Fachleute eine viel zu kurze Zeitspanne, um die möglichen Konsequenzen der Eingriffe in ein Ökosystem erschöpfend zu untersuchen. Doch damit nicht genug: Künftig soll das letzte Wort beim Ministerpräsidenten liegen, der auf eigene Faust - natürlich per Erlass - die Umweltverträglichkeit eines "der Allgemeinheit dienenden Bauvorhabens" feststellen kann. Für Greenpeace hat diese Regierung damit "nach nur zehn Jahren Umweltpolitik die Gegenreform" ausgerufen.

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