Das Volk stürzt den Diktator vom Sockel. Seine Herrschaft löst sich auf und mit ihr die Angst vor Verfolgung, Folter und Tod. Die Menschen holen sich, was sie brauchen. Vor dem 20. März wären diese Szenen aus Bagdad, Basra und Mossul eine wundersame List der Geschichte gewesen. Bedroht von einem mörderischen Krieg, mit der Aussicht, dass sich fremde Herren in den Sessel des Tyrannen setzen, hätten die aufständischen Iraker das Land selbst in die Hand genommen und mit feiner Ironie die großen Traditionen der amerikanischen und französischen Revolution beschworen: Wir wollen weder den König George noch das alte Regime.
Was unter anderen Umständen Teil eines nationalen Aufstands hätte sein können, wurde zu verzweifelter Plün
Plünderei, von Rumsfeld - trotz Verwüstung von Krankenhäusern und Nationalmuseen - als Stunde der Freiheit gepriesen. Nach Jahrzehnten einer Diktatur, die in den siebziger Jahren noch einiges tat, um für die Entwicklung des Landes zu sorgen, danach vom Westen ausgerüstet und als sein dreckiger Degen in den Krieg gegen die iranischen Mullahs geschickt wurde und in den neunziger Jahren in völliger Isolation sich nur noch um die eigene Macht kümmerte, hatte das irakische Volk wohl keine Chance, Saddam Hussein aus eigener Kraft zu vertreiben. Seitens der Amerikaner gab es auch nie ein Interesse, dass der irakische Diktator das gleiche Schicksal erleidet wie vor ihm Marcos, Duvalier, Ceausescu, Mobutu und Suharto. Die Sanktionen, von Amerikanern und Briten stets erbarmungslos umgesetzt, waren gewissermaßen der letzte Garant, dass es zu eine Befreiung von innen nie kommen konnte. Nach dem Krieg bleibt den Irakern nun außer der Autorität einiger Mullahs nichts, worauf sie sich stützen könnten. Hilflos, abhängig in jeder Beziehung steht das Land der größten Militärmaschinerie der Geschichte gegenüber, die dem kurzen Intermezzo der anarchischen Privatisierung eine systematische des »Embedded Business« folgen lässt, aber auch beweisen muss, dass sie das koloniale Handwerk beherrscht.Vor dem Krieg ist über die Motive der Bush-Adminstration viel spekuliert worden. Dass es darum ging, UN-Sanktionen durchzusetzen und Saddam als Bedrohung anderer Länder zu beseitigen, haben bestenfalls die manipulierten amerikanischen Massen geglaubt. Auch das zweite Motiv, den Einsatz und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu verhindern, hat sich als nichtig erwiesen. Wo sind die 25.000 Liter Anthrax und die 500 Tonnen Sarin, Senf- und Nervengas, die Präsident Bush noch Anfang Februar in seiner Rede zur Lage der Nation als Kriegsgrund nannte? Wenn es in diesem Ausmaß biologische oder chemische Waffen gegeben hätte, wären sie von einem mit dem Rücken zur Wand stehenden Regime doch wohl eingesetzt worden. So bleibt es bei den Motiven, die in den USA nur wenige, aber in der übrigen Welt fast alle erkannt haben: das Öl, die Neuordnung des Nahen Ostens und die Machtdemonstration gegenüber dem Rest der Welt.Im Moment weiß allerdings niemand, in welchem Verhältnis diese Ziele zueinander stehen und welche Prioritäten gesetzt werden? Die Repräsentanten der Ölindustrie, die in Bushs Regierung zahlreich vertreten sind, könnten der Versuchung erliegen, sich allzu gierig auf die Ressourcen des Irak zu stürzen, ohne hinreichend auf die Stabilität des Landes zu achten. Die Strategen im Pentagon könnten geneigt sein, den Schwung des Sieges für einen Angriff auf Syrien zu nutzen, ohne zu berücksichtigen, dass damit die Legitimation der Vereinigten Staaten vollends zerstört wäre. Sollte es dennoch dazu kommen, dürften alle künftigen Zielstaaten noch mehr als bisher die Schlussfolgerung ziehen, dass man sich besser ein kleines, möglichst nicht-konventionelles Drohpotenzial gegenüber den Amerikanern bereit hält. Nicht auszuschließen ist allerdings auch, dass die Bush-Administration jetzt, da sie zunächst alle Trümpfe in der Hand hat, ganz nüchtern Bilanz zieht und angesichts der Dimensionen des kolonialen »Nation Buildung« auf die Europäer und die UNO zugeht und ihnen mehr als erwartet Kooperation anbietet. So könnte sich die Kette geplatzter Gewissheiten durchaus fortsetzen. Denn vieles an diesem Krieg war anders als erwartet, zumindest anders als medial suggeriert. Im Vorfeld erstaunte das zähe Nein der französischen, deutschen und russischen Regierung zum Ermächtigungsvotum für Bush. Dass die USA Schwierigkeiten haben würden, die nicht-ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat allesamt einfach zu kaufen oder zu erpressen, war vorher ebenfalls nicht selbstverständlich. Überraschend auch die Dimension des weltweiten Protests: Viele Länder, namentlich Spanien und Großbritannien, erlebten die größten Demonstrationen ihrer Nachkriegsgeschichte. Auch der Verlauf des Krieges entzog sich den Vorhersagen: Zu Beginn der hartnäckige Widerstand der Iraker und die Anfälligkeit einer in jeder Hinsicht überlegenen Kriegsmaschine, zwischenzeitlich die Unsicherheit bei den Herren des Imperiums und schließlich die fast kampflose Einnahme von Bagdad, die niemand für möglich gehalten hatte.In welcher Welt leben wir, wenn das wirtschaftliche und soziale Desaster in weiten Teilen der Erde, die Gier der Reichen und Mächtigen, nun mit dem imperialen Diktat der Supermacht eine passende Ergänzung gefunden hat? Verzweifeln könnte man in der Tat darüber, wie ganze Nationen zum Spielball werden, wie Medien den Überlebenskampf von Millionen als Sportereignis inszenieren und am Ende im Zeichen des Siegers ihre Berichterstattung umkrempeln. Aber es gibt eben auch die andere Seite. Der Krieg, den die Amerikaner als Kampagne bezeichnen, war gleichzeitig eine einzigartige weltweite Aufklärungskampagne. Die Macht ihrer Waffen ist ins Unermessliche gesteigert, und die Legitimität ihrer Ziele ebenso ins Bodenlose gesunken. Irgendwann werden auch die Vereinigten Staaten einsehen müssen, dass ihnen die nackte Gewalt auf Dauer nichts nützt, wenn der Rest der Welt die Kooperation verweigert.
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